Zum Wesen des Menschen

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Das Wesen ist zuallererst etwas Geistiges. Und wie alles Geistige vereint es Widersprüche in sich, denn das Geistige hat immer die Eigenschaft (oder Notwendigkeit), in gewisser Weise abgeschlossen zu sein. Abgeschlossenheit verliert automatisch den Luxus der Widerspruchslosigkeit, und deswegen ist alles Geistige in weltlichen Begriffen widersprüchlich – und das macht diesen Artikel etwas umständlich. Und beim Wesen, mehr noch als beim Bewusstsein (Spirit) und beim Sinn (Pneuma), die auch geistig sind, ist das Widersprüchliche ganz besonders ausgeprägt.

Im Wesen ist zwischen der Einheit und der Vielheit kaum zu unterscheiden – die Einheit ist die Vielheit, und umgekehrt. Wir können beim Wesen nicht bestimmen: hier ist allein ein Einzelnes. Es ist immer gleichzeitig ein Einzelnes und ein Vieles. Deswegen ist beim Wort „Wesen“ die Mehrzahl nicht von der Einzahl verschieden. „Das Wesen“ und „die Wesen“ deuten so auf eine besondere Eigenschaft von Wesen hin.

Für unser Projekt, die Ausarbeitung des Weltanschauungsprinzips, mit seinen allgemeinen Weltanschauungen, müssen wir aber ein Einzelnes bestimmen können, auch wenn sich dadurch eine wichtige Wahrheit abschälen mag. Dadurch werden wir der „Eigeschaft der Abgeschlossenheit“ des Wesens nicht mehr vollständig gerecht, aber gleichzeitig wird die Sprache klarer. Und so nennen wir ein „einzelnes“ Wesen Monade (in Anführungszeichen, weil jedes Wesen wiederum aus vielen kleineren Wesen besteht), und „mehrere“ Wesen Monaden, Mehrzahl. So viel zur Begrifflichkeit.

Wenn wir sagen: „das Wesen ist etwas Abgeschlossenes“, folgen der Aussage dann im gleichen Atemzug aber mit „im Wesen ist zwischem dem Vielen und dem Einzelnen nicht zu unterscheiden“, so haben wir einen Widerspruch. Wie kann das Wesen abgeschlossen sein, wenn wir bei ihm nicht bestimmen können, ob es erstens aus einer Vielheit besteht, ob es zweitens eine Einzelheit ist, oder ob es drittens zu einer höheren Vielheit gehört? Das Wesen kann nicht abgeschlossen sein, wenn es sich nirgendwohin abschliesst. Der Widerspruch erklärt sich dadurch, dass das Wesen nicht in seiner Teilhaftigkeit abgeschlossen ist (woran es teilhat, oder woran anderes an ihm teilhat), sondern in seiner Qualität.

Beispiele Münze und Wald

Liegt eine Münze auf dem Tisch, so können wir nach der oben liegenden Seite über die Münze entweder sagen „Kopf“ oder dann „Zahl“; und wenn die Aussage übereinstimt mit dem, was da liegend für uns sichtbar ist, so sagen wir etwas Wahres über die Münze. Wir sagen aber nicht etwas Wahres über das Wesen (die Monade) der Münze, wir sagen nur etwas Teilwahres über das Wesen (die Monade). Die Münze hat für sich immer beide Seiten, aber es wird noch immer nichts bedeutendes über die Monade gesagt, wenn gesagt wird „sowohl Kopf wie auch Zahl“, denn die Monade richtet sich nicht allein nach der Gravur. Zur Münzmonade gehört noch viel anderes dazu. Das Monadische an der Münze zeigt sich, wenn sie z.B. gebraucht wird (etwa wenn sie durch das Aufwerfen zu einer Entscheidung führt, oder wenn sie getauscht wird), oder wie sie gelagert wird, oder aus welchem Material sie besteht, usw. Das Monadische ist weiter die Vergangenheit und die Zukunft der Münze, es ist gar der Bezug der Münze von den winzig kleinen, für das gewöhnliche Auge unsichtbaren Mikroorganismen auf ihrer Oberfläche, bis hin zu allem Metallischen im Kosmos. Dieses Stück Währung streckt sich vom Kleinsten bis zum Grössten.

Die Monade ist abgeschlossen, weil sie sowohl sich wie auch ihre Gegenteile ist. In ihrer Abgeschlossenheit ist die Monade sich und jede mögliche geistige Art ihrer eigenen Umstülpung. Sie ist verbunden mit ihrer Gegenmonade, so wie sie verbunden ist mit dem „Monadenvielen“, dem sie zugehört.

Alles (!) Sein hat seine Monade. Vergleichen wir einen Wald mit der Idee der Monade, als ein weiteres Beispiel um den Monadenbegriff besser zu veranschaulichen. Der Wald ist ein Wald unter verschiedensten Wäldern die sich auf der Erde finden lassen, und er besteht aus jeweiligen, verschiedenen Baumarten. Die Bäume im Wald sind über die Wurzeln miteinander verbunden, sie haben ein begriffsloses Bewusstsein, das sie miteinander teilen. Im Wald hat es Tiere, Jäger, Wege, Gewässer, Gesteine, Gestrüpp, Dickicht, Lichtungen, Pflanzen, Pilze… Das ist und geschieht Verschiedenstes. Der Wald hat seine Geschichte und seine Zukunft. Er wurde über die Jahrhunderte und Jahrtausende seines Daseins geflutet, er hat gebrannt, er wurde von Schnee erdrückt, von Hagel beschossen und von Hitze ausgetrocknet. Armeen sind durch ihn gezogen, Scharmützel fanden statt, Menschen haben in ihm Zuflucht gesucht, andere Menschen hielten Feste darin ab. All das zusammen ist der Wald als Ganzes. Alle diese Dinge und noch endlos viel mehr sind Teil unserer Waldmonade, die all die genannten Dinge im Geistigen zusammenhält. Diese Waldmonade verbindet das kleinste Mikröbchen im Wald mit den absolutesten Prinzipien des Kosmos.

Die menschliche Monade

Es stellt sich nun die Frage, wie sich uns die Monade am Menschen zeigt. Das Ich ist der geistige Kern des Menschen. Was am Menschen geistig ist, das wird durch sein Ich umfasst, und mit der Hilfe des Ichs geschaffen. Die Monade ist aber noch mehr; in ihr wird alles im Geistigen zusammengebracht, das beim Menschen überhaupt zusammenkommt. Alle Eigenschaften des Menschen haben ihren geistigen Entwurf dahinter. Alle Gedanken, Notizen und Gespräche die z.B. zur Entstehung von einem Buch führten, haben ihren eigenen geistigen Abdruck in sich eingeschrieben. Alle Ideen die daraus möglich sind, die daraus entstehen werden, oder die in Vergessenheit geraten werden, sind gleichfalls im Geistigen eingeschrieben. Alles Geistige ist zu allem anderen mindestens durch einen feinen Faden verbunden. Manche Verbindungen sind deutlich, andere sind kaum aufzuspüren, aber es sind immer und überall Verbindungen vorhanden. Der Körper des Menschen ist an sich nicht geistig, aber die Monade hat in sich eine geistige Repräsentation des Körpers. Sie hat eine geistige Repräsentation von allem in sich, denn sie hat alle Eigenschaften am Menschen zu umfassen, weil sie in ihrem kleinen Bereich im Geistigen abgerundet, ja absolut zu sein hat. Weiter hat sie auch alle möglichen Gegenteile dieser Rerpäsentationen in sich zu umfassen. Die Monade hat keine Lücke, keine Vereinfachung, keine Lüge (aber sie hat Dinge die sich nicht bemerkbar machen); sie hat aber auch nichts Unnötiges. Jeder ihrer Bestandteile, und ihre Ganzheit überhaupt, folgt unumstösslichen geistigen Gesetzen, denen sie unmöglich widersprechen kann. Sie folgt ihrer Absolutheit entsprechend diesen Gesetzen.

Die Monadenwelt ist also eine gewaltige Welt, und in ihr ist es nicht immer leicht, zwischen dem Potential und dem momentanen Zustand zu unterscheiden.