Die Körperlichkeit des Menschen

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Die Menschen die zum Geistigen neigen, verstehen die innere Sinnlosigkeit der Materie richtig. Und doch liegt ein grosses Missverständnis unter dem Urteil über die vielen Gefahren der Materie begraben, denn das Vorhandensein der Materie gibt dem Menschen einen Sinn. Materie für sich selber hat keinen Sinn, aber der Geist, der in die Materie hineingezwungen wird, erfährt durch diese Einschränkung eine bedeutende Bereicherung. Und diese Bereicherung hat einen Sinn. Somit sollte die Materie vom Menschen entsprechend gewürdigt und durchdrungen werden. Der Mensch braucht kein einziges negatives Urteil zur Materie.

Toter Körper, lebendiger Leib

Wir haben einen Körper oder Leichnam (beim Tier „Kadaver“), wenn beim Menschen etwas allein Materielles vorhanden ist. Wir haben einen Leib, wenn ein Körper belebt (beseelt) ist. Und wir haben schliesslich einen Menschen, wenn der Leib durch einen Geist bewegt wird. Durch die Seele (die Lebenskraft) wird etwas in den Körper hineingegeben, das den Körper zu einem Leib werden lässt. Der Körper ist noch immer da, auch wenn er durch die Seelenkräfte zum Leib wird, nur wird er durch das ganze Erdenleben nie als Körper erlebt, sondern immer als Leib. Sprechen wir von der Materie am Menschen, so sprechen wir vom Körper, nicht vom Leib.

Beim Menschen haben wir schliesslich etwas Männliches vor uns, wenn der Geist des Menschen so weit in der materiellen Welt aufgeht wie er nur kann, und wir haben etwas Weibliches vor uns, wenn der Geist sich nicht in gleichem Masse inniglich mit der Materie verbindet.

Wenn wir von Geburt, Leben und Sterben reden, so gehen wir (wie in allem hier) vom Menschen aus, nicht vom Geist (der Geist ist ein Anteil am Menschen). Somit betreffen die drei Worte „Geburt“, „Leben“ und „Sterben“ immer den Leib, denn der Leib ist, was am Menschen in einem Leben Anfang und Ende hat. Und nur das nennen wir „Tod“, das in einen leblosen Zustand übergeht, wie z.B. dasjenige, das vom Leiblichen zum allein Körperlichen übergeht. Was der Geist ist, wenn er ohne Körper ist, ist deswegen nicht „tot“ . Der vom Körper gelöste Geist ist aber auch nicht lebendig, oder real oder dergleichen, und so ist es nicht angemessen zu sagen, dass Tod und Leben für den Geist in umgekehrter Weise vorhanden sind, als für das Materielle am Menschen. Der Geist wird z.B. nicht in die geistige Welt „hineingeboren“, im Moment wo (eigentlich wann) der Körper stirbt, sondern der Leib stirbt, und das Menschenleben endet; das ist alles.

Der Geist hat hingegen eine ununterbrochene Kontinuität. Somit wird der Geist nie hineingeboren oder hinausverstorben (wie man denken könnte), sondern er „ist“ – unablässig. Er wird aus geistiger Sicht in das Menschenleben hinabgedrückt, weil die Verbindung mit der Materie zum Geist einen „substanziellen Widerspruch“ bedeutet, und der Geist wird durch den Menschentod in gewisser Weise wieder befreit, aber „Geburt“ und „Sterben“ sind nicht zutreffend, was den Geist anbelangt. Ist der Geist einmal tatsächlich nicht mehr, so ist er nie mehr. Dann ist aber auch der „Tod“ nicht zutreffend, denn der Tod ist ein Zustand, und der Todeszustand ist ein Zustand, der vom Zustand Leben verschieden ist. Der Zustand „tot“ trifft allein auf das Verbleibende zu, wenn der Körper alleine ist, und das nennen wir beim Menschen den Leichnam. „Nicht mehr sein“ ist aber überhaupt kein Zustand mehr, es ist auch nicht ein einsamer Zustand, es ist keine Art von Sein mehr, und so kann der Geist nicht einmal dann tot sein, wenn er nicht mehr ist. Der Geist der nicht ist, ist nicht tot, sondern schlichtweg „nicht“ (in gewissem Sinne: „war“).

Die Materie

Der Geist im Geistigen ist geführt und zusammengehalten von seiner Moralität. Die Moralität ist die härteste Grenze am Geist, und selbst sie ist all den „fliehenden“ Gesetzen des Geistigen unterworfen; der Teilhaftigkeit und Verbundenheit, der Randlosigkeit und der inneren Abgeschlossenheit (Widersprüchlichkeit).

In der Welt stehend, mit einem Leib verbunden, erlebt der Mensch das Gegenteil von dem, das er als Geist im Geistigen erlebte. Der Geist des Menschen ist erstens vor der Geburt, zweitens nach dem Sterben, und drittens während dem Schlafe im Geistigen. Er erlebt und unterliegt als Mensch den Gesetzen der körperlichen Welt, der Materie: die eindeutige Trennung und Abgrenzung zwischen allem, die strenge Gebundenheit an Raum und Zeit, der Zwang zu Einseitigkeit, usw.

Der Mensch lebt; dann stirbt der Leib und wird zum (toten) Körper; dann ist der Geist nicht mehr an den Leib gebunden sondern verbleibt für eine lange Zeit im Geistigen; dann kehrt er zurück zum Weltlichen, Leiblichen; dann lebt der Geist wieder als Mensch ein Menschenleben – bis der Leib wieder abstirbt und damit wieder zum Körper wird. Diesen Zyklus macht der Mensch wieder und wieder, und die Erfahrungen durch seine Menschenleben häufen sich an und bereichern den Geist.

Die aufeinander folgenden Erdenleben eines einzelnen Geistes nennt man Inkarnationen. Die Gesetze der Materie widersprechen den Gesetzen des Geistes, aber nach der langen Zeit, die der Geist zwischen zwei Erdenleben (zwischen dem Weltlichsein) in der Grenzenlosigkeit und Absolutheit des Geistigen verbrachte, ist ihm der ‚Abstieg‘ in die Eingeschränktheit und in die strenge Kausalität der Physis fast eine Erlösung.

Es ist durchaus gut, wenn in extremer Weise erlebt wird, wie zwanghaft die Kausalität der Materie ist, denn so entsteht dem Geist ein Verlangen danach, in das Geistige zurückzukehren, um dort wieder einen Ausgleich zur streng eingeschränkten Kausalität der Materie zu finden.