Wahrheit ist für die zwölf WA ein zentrales Thema, und der Begriff hat für die WA (zumindest hier auf weltanschauung.org) eine Bedeutung, die vielleicht etwas ungewöhnlich ist. In diesem Artikel ist die Grenze der Sprache um Wahrheit auszudrücken beschrieben, die Beziehungen der WA zum Wahren und die Natur der Wahrheit selber.
Inhalt
Wahrheit und Sprache
Der Begriff ‘Wahrheit’ muss in den WA etwas erfüllen, das, so wird man versucht sein zu denken, eigentlich unmöglich ist, weil das Prinzip der WA behauptet, dass jede WA sowohl eine Opposition hat, wie auch eine Wahrheit repräsentiert. Der Widerspruch im Begriff der Wahrheit soll hier kurz näher betrachtet werden, und vielleicht erschliesst sich auch, wie es sich um die Wahrheit im Prinzip der WA verhält.
Leibnitz sagt in den Theodizee, dass keine Wahrheit einer anderen widersprechen kann. Dies ist für die WA zwar richtig, jedoch müssen wir die Sache noch etwas feiner betrachten, um sie richtig zu verstehen. Dass Problem ist nämlich, unabhängig davon wie Leibnitz es gemeint hat, dass dieser Satz zwar für Begriffe (d.i. Vorstellungen des Geistes) zutrifft, jedoch nicht für Worte, also die Sprache. Denn die begriffliche Wahrheit ist ein ganz anderes Tier als die sprachliche. Der Begriff ist dasjenige, das über der Sprache ist, er ist (grossteils) unabhängig von dieser. Begriffe können eine Vielfalt haben, welche von Worten der Sprachen der Gegenwart nicht erreicht werden kann.
Möchte man einen Begriff einem anderen Menschen erklären, so hat man den Begriff zu ‘übersetzen’, oder anders gesagt: ‘in Sprache umzuwandeln’. Ist der Begriff in der Sprache drinnen, und wird durch Worte mitgeteilt, so hat er einen Teil seines Wesens aufzuopfern, bei manchen Sprachen kann er seinem Wesen eher noch treu bleiben, bei anderen geht das meiste verloren. Es kommt auch auf den Menschen, und wie gut dieser eine jeweilige Sprache gebrauchen kann, darin, ob der Begriff seine eigentlichen Inhalte in die Sprache hinein tragen kann.
So kann die lateinische Sprache Begriffe von WA wie des Rationalismus, des Mathematizismus, des Materialismus und des Sensualismus gut darstellen, während die slawischen Sprachen, oder die altgriechische Sprache für Begriffe des Dynamismus, des Monadismus, des Spiritualismus und des Pneumatismus feine sprachliche Unterscheidungen ausgearbeitet haben, um sich differenziert in diesen WA ausdrücken zu können. Sprachen des fernen Ostens sind eher geeignet für WA rund um den Spiritualismus, Sprachen des (fernen) Westens eher für WA rund um den Materialismus. Es gibt auch einiges dazwischen, besonders der mittlere Osten kannte in den Jahrhunterten, welche bis zu der ägyptischen Hochkultur führten, viel Abwechslung zwischen zum Geistigen und zum Materiellen strebenden Kulturen. Es ist jedoch noch nie möglich gewesen, den Gegensatz aus Materialismus und Spiritualismus in einer einzelnen Sprache zu vereinigen, denn es wäre erstens eine ungeheuer komplexe Sprache, und zweitens eine, die Gegensätzliches in sich vereinigen müsste, was vielleicht nicht möglich ist. Die Gelehrten, welche heute sowohl Latein wie auch Altgriechsisch lernen, bekommen einen tiefen Einblick in beide Extreme, wenn sie sich so weit in diese Sprachen hinein leben können, dass sie deren WA erkennen.
Wo ein Begriff vorhanden ist, ist etwas vorhanden, das für seine Existenz im Prinzip etwas Neues schafft, das sich mit keinem anderen Begriff austauschen lässt. In der Sprache hat man diese Möglichkeit nicht, man hat immer wieder diesselben Worte, die man durch einen Kontext mit wiederum immer gleichen Worten einfärben muss. Man muss sich davon abhängig machen, dass die anderen Menschen nicht nur die Worte hören, sondern versuchen, den Begriff dahinter zu erspüren. Von jenen Menschen, welchen ein Begriff gelehrt wird, hat man vorauszusetzen, dass sie in sich die innere Beweglichkeit haben, sich nicht über die Sache zu stellen, und etwa zu erwarten, dass ihnen etwas geliefert wird, sondern dass sie mit einem offenen Wesen die Worte wirken lassen, bis sich nach und nach der Begriff abzeichnet, mit dem sie sich dann verbinden können. Weil solche Dinge viel Zeit und Ruhe erfordern, gab es sogenanntes ‘esoterisches Wissen’, das heisst, vor der Öffentlichkeit verborgenes, wo das Ziel war, einigen wenigen Befähigten die Sache umfassend zu verstehen zu geben, und nicht, dass möglichst viele Menschen genügend verstehen. An dieser Stelle könnte man ausführlich kritisieren, was die universelle Allgemeinbildung der Gegenwart für Kompromisse machen muss, vor allem dort, wo es einen Teil der Studierten geben sollte, welche eine kompromisslose Form von Begriffen mit sich tragen sollten. Esoterik muss nicht spiritualistisch sein, sie muss lediglich etwas erzielen, das in seiner Tiefe durch öffentliche Institutionen und dergleichen, niemals getragen werden kann. Ohne Menschen, welche die Tiefe der Geschichte als Stütze für Entscheidungen mit grosser Tragweite nutzen können, steuert eine Gesellschaft irgendwohin.
Wenn nun Menschen verschiedener WA miteinander sprechen, und dazu eine bestimmte Sprache verwenden müssen, so müssen die Begriffe für die Verständlichkeit der Sprache Kompromisse machen. So kann ein Mensch der einen WA das eine sagen, und ein Mensch einer anderen WA die genau gleichen Worte verwenden, aber die Begriffe dahinter sind gänzlich unterschiedliche. Es können nun beide Menschen etwas Wahres sagen, dafür gar die gleichen Worte verwenden, aber verschiedene Dinge meinen. Sie können einander zustimmen, in der falschen Annahme, tatsächlich dasselbe gesagt zu haben, und zu einem späteren Zeitpunkt davon überrascht werden, wie die andere Person auf einmal absurde Schlüsse zu ziehen scheint. Die Schlüsse scheinen absurd zu sein, weil von Beginn weg überhaupt keine Übereinstimmung vorhanden war, und nur durch den Schein der ungenauen Sprache von einer Übereinstimmung ausgegangen wurde.
Man hat in diesem eher unwahrscheinlichen Beispiel also mit beiden Menschen verschiedener WA Wahrheit, aber erst im Verlaufe der Klärung von Vorstellungen stellt sich heraus, dass ein Unterschied vorhanden ist. Was sich vielleicht nicht heraus stellen wird, ist, dass der Unterschied von Beginn weg da war. Wahrscheinlicher ist es, dass zwei Menschen verschiedener WA verschiedene Dinge sagen, und die Worte der anderen Person jedoch durch die eigene WA hindurch zu verstehen versuchen – was bei oppositionellen WA aber nicht möglich ist, weil sie in zu unterschiedlichen Welten leben. Man hat durch die gemeinsame Sprache dann den Schein von Verständigung, wenn von vornherein überhaupt nichts von der anderen Seite verstanden wird.
Was bewirkt dies nun für Leibnizens Satz? Es bewirkt, dass man in der Sprache auf Widersprüche treffen kann, die nur in der Sprache Widersprüche sind. Die Begriffe dahinter sind einander womöglich zu fremd, um von der anderen Seite überhaupt verstanden zu werden. Die Begriffe dahinter widersprechen einander folglich nicht, denn sie beschreiben komplett unterschiedliche Dinge, selbst wenn sie eine einzelne Sache betrachten. Wir haben mit allen ‘gewordenen’, oder vorhandenen Dingen ‘Kompositionen aus Wahrheit’ vor uns. Eine jede Sache hat verschiedene Ebenen, die betrachtet werden können, und die unterschiedlichen Arten des Betrachtens einer Sache sind gleichsam etwas, das Wahrheiten repräsentieren kann. Wirklichen Widerspruch kann es eigentlich nur innerhalb einer WA, oder unter benachbarten WA geben, wo noch vom Gleichen gesprochen wird. Und dort hat man durchaus nur eine Wahrheit, und diese Wahrheit kann in ihrer WA nur von einer Falschheit widersprochen werden.
Wahrheit und WA
Die WA an sich sind für den Menschen im Prinzip unmöglicher Widerspruch. Um die Bedingungen der 12WA vollständig zu erfüllen, und in ihrem Sinne allseitig zu sein, müsste man sich in zwölf Teilen, und gleichzeitig von zwölf verschiedenen Richtungen auf eine Sache schauen. Da dies nicht möglich ist, macht man es nacheinander, und setzt so die einzelnen Stücke nach und nach zusammen. Die Aufgabe des WAP ist es somit nicht, dem Menschen zu helfen alles allumfassend zu betrachten, sondern für bestimmte Bereiche die richtigen Werkzeuge zu haben (z.B. für Technologie den Rationalismus, für Lebendiges den Dynamismus, für Vorgänge des Denkens den Idealismus usw). Die allseitige Sicht, die ‘perspektivlose Perspektive’, ist etwa so weit vom Menschen entfernt, wie der menschliche Geist vom Tiere entfernt ist. So wie das durchschnittliche Tier nicht zu bewusster Abstraktion fähig ist (es gibt allerdings Tiere mit beeindruckenden Fähigkeiten, von Raben, Tintenfischen, Delphinen, möglicherweise manchen Walarten, Spinnen, und einigen Vogelarten), ist der Mensch nicht zu Allseitigkeit fähig.
Das Wesen des Wahren
Die Fehler die entstehen wenn man darüber nachdenkt was wahr sei, deuten darauf hin, dass das Wahre unabhängig davon ist wie wir darüber nachdenken. Wenn das Wahre und unsere Gedanken zum Wahren nie notwendigerweise verbunden sei müssen, wenn nie notwendigerweise beide gleichzeitig auftreten müssen, so liegt es allein an unserem Denken, dass sich dieses bessere.
Wir wollen jedoch nicht die agnostische Route der neueren rationalistischen Bewegungen gehen, die davon ausgehen, dass alles relativ sei, selbst das Wahre an sich. Es gibt eine absolute Wahrheit da draussen, aber unser Verständnis von ihr ist in einem Widerspruch. Der Mensch sieht die Dinge, wenn er sie betrachtet, perspektivisch, etwas anderes ist nicht möglich, aber die Natur des Wahren ist nicht darauf beschränkt, wie es aus einer möglichst guten Sicht betrachtbar ist. Ein Ausweg daraus ist die Vorstellungskraft, wo eine Sache mit ‘geschlossenen Augen’ betrachtet wird, aber auch hier ist man eingeschränkt, und nur durch viel Übung, durch eine Automatisierung bestimmter Vorstellungen, ist es möglich, das Bewusstsein aufzubrechen in mehr als einen Teil. Das Wahre braucht sich somit nicht uns anzupassen, sondern wir uns dem Wahren.