Zum Begriff: Freiheit

Den Begriff Freiheit definieren wir hier mit der Hilfe von Max Stirners zweiter Abteilung seines Hauptwerks ‘Der Einzige und sein Eigentum’. Stirners Werk hat zwei Abteilungen (Hauptteile), welche beide wiederum in mehrere Teile gegliedert sind. Manche dieser Teile haben wiederum drei Teile, hier eine Auflistung aller Kapitel.

  • Der Einzige und sein Eigentum
    • 1. Abteilung – Der Mensch
      • I. Ein Menschenleben
      • II. Menschen der alten und der neuen Zeit
        1. Die Alten
        2. Die Neuen
          1. § Der Geist
          2. § Die Besessenen
          3. § Die Hierarchie
        3. Die Freien
          1. § Der politische Liberalismus
          2. § Der soziale Liberalismus
          3. § Der humane Liberalismus
    • 2. Abteilung – Ich
      • I. Die Eigenheit
      • II. Der Eigner
        1. Meine Macht
        2. Mein Verkehr
        3. Mein Selbstgenuss
      • III. Der Einzige

In der Abteilung ‘Der Mensch’ scheint ein Kapitel zu fehlen, um die Ordnung des restlichen Werks einzuhalten. Ich will mir jedoch nicht anmassen zu wissen, was jenes nicht vorhandene Kapitel besprechen sollte (‘I. Ein Mensch’, ‘II. Eine Menschengruppe’, ‘III. Eine Menschheit’ unter ‘1. Abteilung – Der Mensch’?).

Stirner sieht in der Freiheit ein Widerspruch. Freiheit sei ein Ideal durch und durch, ein Ideal aber, das man aus folgenden Gründen nie im Realen umsetzen kann. Man vergegenwärtige sich, wie sich die höchste Idee von Freiheit in einem bildet – wonach richtet sich eine solche höchste Idee von Freiheit, wie verwirklicht sie sich? Sie lässt sich nicht verwirklichen, denn sie kommt im Realen sofort an Grenzen, die sie nur als Idee nicht erfahren muss. Ein jeder wird eine andere Idee der höchsten Freiheit haben. Geht es aber um eine kleine Freiheit, so beschränkt sich eine solche durch ihre Kleinheit bereits selber, will also nicht in alle Richtungen frei, und somit nicht eine umfassende Freiheit sein. Die Aussagen gegen das Christentum werden grösstenteils ausgelassen, da sie manche Leser nur verärgern, und von der eigentlichen Sache etwas ablenken werden.

“Wovon willst du denn frei werden? Von deinem Kommissbrot und deinem Strohlager? So wirf es weg! – Damit aber scheint dir nicht gedient zu sein; du willst vielmehr die Freiheit haben, köstliche Speisen und schwellende Betten zu geniessen. Sollen die Menschen dir diese »Freiheit« geben –, sollen sie dir’s erlauben? […]

“Du willst, wenn du es recht bedenkst, nicht die Freiheit, alle diese schönen Sachen zu haben, denn mit der Freiheit dazu hast du sie noch nicht; du willst sie wirklich haben, willst sie dein nennen und als dein Eigentum besitzen. Was nützt dir auch eine Freiheit, wenn sie nichts einbringt? Und würdest du von allem frei, so hättest du eben nichts mehr; denn die Freiheit ist inhaltsleer. […]

“Frei – wovon? O was läßt sich nicht alles abschütteln! Das Joch der Leibeigenschaft, der Oberherrlichkeit, der Aristokratie und Fürsten, die Herrschaft der Begierden und Leidenschaften; ja selbst die Herrschaft des eigenen Willens, des Eigenwillens, die vollkommenste Selbstverleugnung ist ja nichts als Freiheit, Freiheit nämlich von der Selbstbestimmung, vom eigenen Selbst, und der Drang nach Freiheit als nach etwas Absolutem, jedes Preises Würdigem, brachte uns um die Eigenheit: er schuf die Selbstverleugnung. Je freier ich indes werde, desto mehr Zwang türmt sich vor meinen Augen auf, desto ohnmächtiger fühle ich mich. Der unfreie Sohn der Wildnis empfindet noch nichts von all den Schranken, die einen gebildeten Menschen bedrängen; er dünkt sich freier als dieser. In dem Maße, als ich mir Freiheit erringe, schaffe ich mir neue Grenzen und neue Aufgaben; habe ich die Eisenbahnen erfunden, so fühle ich mich wieder schwach, weil ich noch nicht, dem Vogel gleich, die Lüfte durchsegeln kann, und habe ich ein Problem, dessen Dunkelheit meinen Geist beängstigte, gelöst, so erwarten mich schon unzählige andere, deren Rätselhaftigkeit meinen Fortschritt hemmt, meinen freien Blick verdüstert, die Schranken meiner Freiheit mir schmerzlich fühlbar macht. »Nun ihr frei worden seid von der Sünde, seid ihr Knechte worden der Gerechtigkeit« […]

“Frei sein von etwas – heisst nur: ledig oder los sein. »Er ist frei von Kopfweh« ist gleich mit: er ist es los. »Er ist frei von diesem Vorurteil« ist gleich mit: er hat es nie gefaßt oder er ist es los geworden. Im »los« vollenden wir die vom Christentum empfohlene Freiheit, im sündlos, gottlos, sittenlos usw. […]

“Müssen wir etwa, weil die Freiheit als ein christliches Ideal sich verrät, sie aufgeben? Nein, nichts soll verloren gehen, auch die Freiheit nicht; aber sie soll unser eigen werden, und das kann sie in der Form der Freiheit nicht.”

aus der 2. Abteilung – Ich; I. Die Eigenheit

Stirner unterscheidet also zwischen ‘Freiheit’ und ‘Eigenheit’. Freiheit ist ihm, eine Sache nicht haben zu müssen, Eigenheit ist ihm, eine Sache haben zu können. Es ist dies zwar ein subtiler Unterschied, aber ohne solchen wird es uns nicht möglich sein, den Begriff der Freiheit zu bestimmen. Man könnte zwar unterscheiden zwischen ‘Freiheit von…’ und ‘Freiheit zu…’, doch läuft es auf dasselbe hinaus, denn die ‘Freiheit zu…’ ist noch immer die Weglassung einer Einschränkung, was dasselbe ist wie die ‘Freiheit von…’.

“Welch ein Unterschied zwischen Freiheit und Eigenheit! Gar vieles kann man los werden, alles wird man doch nicht los; von vielem wird man frei, von allem nicht. Innerlich kann man trotz des Zustandes der Sklaverei frei sein, obwohl auch wieder nur von allerlei, nicht von allem; aber von der Peitsche, der gebieterischen Laune usw. des Herrn wird man als Sklave nicht frei. »Freiheit lebt nur in dem Reich der Träume!« Dagegen Eigenheit, das ist mein ganzes Wesen und Dasein, das bin ich selbst. Frei bin ich von dem, was ich los bin, Eigner von dem, was ich in meiner Macht habe oder dessen ich mächtig bin. Mein eigen bin ich jederzeit und unter allen Umständen, wenn ich mich zu haben verstehe und nicht an andere wegwerfe. Das Freisein kann ich nicht wahrhaft wollen, weil ich’s nicht machen, nicht erschaffen kann: ich kann es nur wünschen und danach – trachten, denn es bleibt ein Ideal, ein Spuk. […]

“Alle Welt verlangt nach Freiheit, alle sehnen ihr Reich herbei. O bezaubernd schöner Traum von einem blühenden »Reiche der Freiheit«, einem »freien Menschengeschlechte« – wer hätte ihn nicht geträumt? So sollen die Menschen frei werden, ganz frei, von allem Zwange frei! Von allem Zwange, wirklich von allem? Sollen sie sich selbst niemals mehr Zwang antun? »Ach ja, das wohl, das ist ja gar kein Zwang!« Nun, so sollen sie doch frei werden vom religiösen Glauben, von den strengen Pflichten der Sittlichkeit, von der Unerbittlichkeit des Gesetzes, von – »welch fürchterliches Missverständnis!« Nun, wovon sollen sie denn frei werden, und wovon nicht? […]

“Freiheit wollt ihr alle, ihr wollt die Freiheit. Warum schachert ihr denn um ein Mehr oder Weniger? Die Freiheit kann nur die ganze Freiheit sein; ein Stück Freiheit ist nicht die Freiheit. Ihr verzweifelt daran, daß die ganze Freiheit, die Freiheit von allem, zu gewinnen sei, ja ihr haltet’s für Wahnsinn, sie auch nur zu wünschen? – Nun, so laßt ab, dem Phantome nachzujagen, und verwendet eure Mühe auf etwas Besseres als auf das – Unerreichbare. […]

“Was habt ihr denn, wenn ihr die Freiheit habt, nämlich – denn von euren brockenweisen Freiheitsstückchen will ich hier nicht reden – die vollkommene Freiheit? Dann seid ihr alles, alles los, was euch geniert, und es gäbe wohl nichts, was euch nicht einmal im Leben genierte und unbequem fiele. Und um weswillen wolltet ihr’s denn los sein? Doch wohl um euretwillen, darum, weil es euch im Wege ist! Wäre euch aber etwas nicht unbequem, sondern im Gegenteil ganz recht, z.B. der, wenn auch sanft, doch unwiderstehlich gebietende Blick eurer Geliebten – da würdet ihr nicht ihn los und davon frei sein wollen. Warum nicht? Wieder um euretwillen! Also euch nehmt ihr zum Maße und Richter über alles. Ihr lasst die Freiheit gerne laufen, wenn euch die Unfreiheit, der »süsse Liebesdienst«, behagt; und ihr holt euch eure Freiheit gelegentlich wieder, wenn sie euch besser zu behagen anfängt, vorausgesetzt nämlich, worauf es an dieser Stelle nicht ankommt, daß ihr euch nicht vor einer solchen Repeal [d.i. Aufhebung] der Union aus andern (etwa religiösen) Gründen fürchtet.”

aus der 2. Abteilung Ich; I. Die Eigenheit

Somit hat Freiheit weniger mit der äusseren Welt zu tun, als mit unserer inneren, respektive um die Unabhängigkeit der letzteren von ersterer, sofern es uns um die uns mögliche Freiheit geht.

“Die Freiheit lehrt nur: Macht euch los, entledigt euch alles Lästigen; sie lehrt euch nicht, wer ihr selbst seid. Los, los! so tönt ihr Losungswort, und ihr, begierig ihrem Rufe folgend, werdet euch selbst sogar los, »verleugnet euch selbst«. Die Eigenheit aber ruft euch zu euch selbst zurück, sie spricht: »komm zu dir!« Unter der Ägide der Freiheit werdet ihr vielerlei los, aber Neues beklemmt euch wieder: »den Bösen seid ihr los, das Böse ist geblieben«. Als Eigene seid ihr wirklich alles los, und was euch anhaftet, das habt ihr angenommen, das ist eure Wahl und euer Belieben. Der Eigene ist der geborene Freie, der Freie von Haus aus; der Freie dagegen nur der Freiheitssüchtige, der Träumer und Schwärmer.

“Jener ist ursprünglich frei, weil er nichts als sich anerkennt; er braucht sich nicht erst zu befreien, weil er von vornherein alles ausser sich verwirft, weil er nichts mehr schätzt als sich, nichts höher anschlägt, kurz, weil er von sich ausgeht und »zu sich kommt«. Befangen im kindlichen Respekt, arbeitet er gleichwohl schon daran, aus dieser Befangenheit sich »zu befreien«.

aus der 2. Abteilung Ich; I. Die Eigenheit

Weiter hat Freiheit weniger mit jenem zu tun, das uns gegeben wird, als mit jenem, das uns ohnehin gehört, wir aber zumeist nicht wahrnehmen (Stirner verwendet als Vergleich das Schaf mit der Redefreiheit).

“Laut erschallt ringsum der Ruf nach »Freiheit«. Fühlt und weiss man aber, was eine geschenkte oder oktroyierte [gegebene] Freiheit zu bedeuten hat? Man erkennt es nicht in der ganzen Fülle des Wortes, dass alle Freiheit wesentlich – Selbstbefreiung sei, d.h. dass ich nur so viel Freiheit haben kann, als ich durch meine Eigenheit mir verschaffe. Was nützt den Schafen, daß ihnen niemand die Redefreiheit verkürzt? Sie bleiben beim Blöken. Gebt einem, der innerlich ein Mohammedaner, ein Jude oder ein Christ ist, die Erlaubnis zu sprechen, was er mag: er wird doch nur borniertes Zeug vorbringen. Rauben euch dagegen gewisse andere die Rede- und Hörfreiheit, so verstehen sie sich ganz richtig auf ihren zeitweiligen Vorteil, da ihr vielleicht etwas zu sagen und zu hören vermöchtet, wodurch jene »Gewissen« um ihren Kredit kämen.

“Wenn sie euch dennoch Freiheit geben, so sind sie eben Schelme, die mehr leben, als sie haben. Sie geben euch dann nichts von ihrem Eigenen, sondern gestohlene Ware, geben euch eure eigene Freiheit, die Freiheit, welche ihr euch selbst nehmen müsstet; und sie geben sie euch nur, damit ihr sie nicht nehmet, und die Diebe und Betrüger obenein zur Verantwortung zieht. In ihrer Schlauheit wissen sie es wohl, daß die gegebene (oktroyierte) Freiheit doch keine Freiheit ist, da nur die Freiheit, die man sich nimmt, also die Freiheit des Egoisten, mit vollen Segeln schisst. Geschenkte Freiheit streicht sogleich die Segel, sobald Sturm oder – Windstille eintritt: sie muß immer – gelinde und mittelmäßig angeblasen werden.”

aus der 2. Abteilung Ich; I. Die Eigenheit

Viel mehr braucht dazu wohl nicht gesagt zu werden, ausser dass uns diese Erkenntnisse zu einer individuellen Freiheit führen müssen, da das Schaf die Redefreiheit nicht gebrauchen kann, so gibt es eine zu mir passende Freiheit, ob diese nun von der Idee jemals zum Realen kommen mag, oder nicht. Der Begriff der Eigenheit erschliesst sich durch einen solchen Artikel wie diesem eigentlich von selber.

Stirner hat noch sehr viele erklärende Ideen zum Begriff von Freiheit, jedoch ist er in seinem Denken derart konsequent, dass er sich auch nicht scheut, ein Wort wie Egoismus hochzuhalten. Kann man über solche beharrliche gedankliche Rigidität hinweg sehen, und es ertragen, dass einer sich weniger um die Folge des Gedankens in der Welt, als um die Folgerichtigkeit des Gedankens in sich selbst, kümmert, und dass er auch generell als nützlich gesehende Formen der Gesellschaft kompromisslos in ihren einschränkenden Arten hervorhebt, so sei diesem das Werk Stirners sehr empfohlen.

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert