Im ersten Teil zu Subjektivität, Objektivität, Aprosität wurde erwähnt, wie die gegenwärtig führende anglikanische Welt grosse Mühe hat, den Individualismus, den sie vorlebt, mit dem Begriff des ‘Ichs’ zu verbinden. Die anglikanische Welt tut sich sehr schwer damit, diesen Begriff des ‘Ich’ so zu verstehen, wie er im Deutschen verstanden wird, und sie tut sich sehr schwer damit, sich die dazu wichtigen Überlegungen zu machen. Dadurch fällt es dem Menschen unter solcher Sprache schwer, sich selbst zu verstehen; und der Mensch der sich selbst nicht gut verstehen kann, der hat es schwerer, die Welt gut zu verstehen.
Gleichzeitig finden sich im fernen Westen Entwicklungen, welche eine bestimmte philosophische Grundlage benötigen, um nicht schädlich zu wirken. Warum im Anglikanischen nicht an diesen Grundlagen ordentlich gearbeitet wird, ist ein Rätsel. Vielleicht denkt man dort, dass Philosophie eher etwas Ästhetisches, Stilistisches, oder etwas Historisches sei, als dass sie wirklich einen Nutzen hat. Es kommt den Anglosachsen allerdings noch viel Unangenehmes entgegen, wenn sie den tiefen Sinn von Philosophie nicht anerkennen. Wenn sie nicht begreifen, dass die Philosophie hilft, die wichtigen Fragen richtig zu stellen, damit Wege gefunden werden können, welche all die möglichen Irrwege erst erkennbar machen, welche von den sehr wenigen guten, unscheinbaren Trampelpfaden abzweigen. So werden sie wohl wieder und wieder die falschen Abzweigungen nehmen. Und das muss dann wieder mit extremen gegenteiligen Mitteln korrigiert werden – und da findet sich wiederum eine Unzahl schlechter möglichen Entscheidungen. Eine Gesellschaft ohne, oder mit mangelnder Philosophie, ist wie ein Pendel, der immer mehr ausschlägt, bis sie in einem verstrittenen Partisanismus auseinander bricht.
Eine dieser äusseren, physischen Entwicklungen des fernen Westens ist das Internet, wo sich eine Myriade von Möglichkeiten entfaltet. Viele dieser Möglichkeiten sind ohne ein geisteswissenschaftliches Fundament jedoch eher ein Problem als eine Möglichkeit. Eines jener Probleme soll hier speziell erwähnt werden, und das ist das Problem der ‘alternativen Fakten’, oder was sich davon ableitet, die ‘Faktenlosigkeit’. Die grosse Verfügbarkeit von Information durch das Internet hat einerseits allen Menschen mit Zugang zum Internet eine grosse Menge an Information zur Verfügung gestellt, aber es hat auch bewirkt, dass die Information nun dem Urteil von Laien ausgesetzt wurde, nicht nur dem Urteil von Experten. Es hat im Prinzip bewirkt, dass hochkomplexe Information in die Sphäre des Alltäglichen gelangte. Das bedeutet, dass die Dinge vereinfacht werden müssen, und nicht mehr den gleichen Anspruch auf Exaktheit haben dürfen.
Nun gab es alle möglichen Streite und Argumente unter diesen Laien, und es wurde auf einmal schwierig, zwischen Laien und wahren Experten zu unterscheiden – so mancher Laie wurde durchaus zum richtigen Experten. Andere Laien verblieben jedoch weniger wissend, waren aber dennoch sehr überzeugend darin, wie sie ihre Perspektive präsentierten. Es gab jedenfalls keinen geordneten Prozess mehr, um das wenige Wahre vom vielen Unwahren oder Halbwahren, oder Wahren aber Irrelevanten, für den gewöhnlichen Menschen, der sich nicht mit all den Themen eingehend beschäftigen kann, zu unterscheiden. Im Verlaufe der Entwicklung des Internets ging das von abstrakten Ideen mehr und mehr in sehr praktische Dinge hinein; diese Unsicherheit darüber, was wahr und was unwahr ist.
Eigentlich ist die allgemein zugängliche Information überhaupt keine schlechte Sache. Wenn aber ein gewöhnlicher Mensch der Gegenwart sich mit all der hochkomplexen Informationen im Internet, neben allen Pflichten des Alltags, befassen muss, so wird er vermutlich Mühe haben, die Welt sinnvoll kategorisieren zu können. Ein Mensch, der sich selbst nicht so verstehen kann, wie es die Nutzung des Internets erfordern würde, wird es schwer haben, seinen eigenen Anteil im Verstehen der Themen zu sehen, und sich in der Flut aus Information in richtiger Weise zu orientieren. Ganz besonders, wenn er selber die Gültigkeit von Studien zu jeweiligen Spezialgebieten studieren müsste, nur um die vorhandenen Fakten zu kennen. Und darauf müsste er dann noch ein verständliches Urteil bauen, das nicht einfach aus ‘einerseits aber andererseits’ besteht.
Weil das nicht möglich ist, hat sich ein Phänomen geschaffen, das man als ‘Faktenlosigkeit’ bezeichnen könnte. Die Fakten sind zwar da, aber weil es schwierig ist, herauszufinden, ob sie unter all der anderen Information Gültigkeit haben oder nicht, sind sie nicht als Fakten erkennbar. Die Wahrnehmung von all der Information gibt sich als Faktenlosigkeit wieder. Diese Faktenlosigkeit hat sich in viele Bereiche ausgebreitet, selbst zurück in die Universitäten, wo die Philosophie sich nun mit allerlei konstruktivistischen Kinderkrankheiten beschäftigen muss, auf die hier nicht näher eingegangen werden soll.
Dort wo Laien, Politik und Expertentum fast zu einer Art komischer Steigerung finden, wo alle den Schein des Experten haben, aber niemand mehr wirklich Experte ist, präsentiert sich die problematische Seite der Faktenlosigkeit anschaulich. Für die Gesellschaft als Ganzes sind die Konsequenzen dieses ungeordneten Zustandes sehr unangenehm.
All das mag ja nun am geschehen sein, aber wie verhält es sich zu Subjektivität, Objektivität, Aprosität? Die technischen Fortschritte der äusseren Welt haben mit inneren Fortschritten einher zu gehen, um nicht schädlich zu wirken. So müssen Fortschritte in der Entwicklung des Ich, wie auch in der Entwicklung der Idee oder dem Konzept des Ich, stattfinden. Die äusseren, technischen, dinglichen Fortschritte, wie das Schaffen des Internets, sind derart schnell geschehen, dass die notwendigen geistigen, inneren Fortschritte im durchschnittlichen Menschen nicht mehr so mithalten konnten, wie nötig wäre. Was nun also geschehen sollte, ist, dass der Idee des Ich jene Züge hinzugefügt werden, welche für den gegenwärtigen Menschen angemessen sind. Dazu müssen wir das Ich in etwas höherer Auflösung betrachten, d.h. deutlicher abgrenzen von dem, das nicht Ich ist. Und hier kommt diese Idee der ‘Aprosität’ ins Spiel.
Es reicht nicht, nur Subjekt von Objekt zu unterscheiden, wenn, was Objekt ist, durch ebenjene Faktenlosigkeit, oder Kategorienlosigkeit, nicht mehr gesehen werden kann. Wir täuschen uns, wenn wir annehmen, dass es auf einmal keine ‘Realität’ mehr gäbe, oder dass Realität nun plötzlich relativ sei. Denn es gibt eine Realität – auch wenn sie sich stets am wandeln ist: es gibt eine ganz bestimmte Realität, für welche stets passende Begriffe verwendet werden können. Vielleicht klingt es absurd, dass so etwas gesagt werden muss, aber das ist nicht mehr für jeden so selbstverständlich.
Ob man es will oder nicht, die Objektivität hat Zugang zum Realen, auch wenn der Mensch als Subjekt die Objektivität stets mitformt. Man muss hier vielleicht noch einen weiteren Blick darauf werfen, was Objektivität denn genau ist. Es ist jedenfalls nie alles subjektiv. Objektivität ist nicht das neutrale, unbeteiligte Beschreiben einer Sache, sie ist nicht die ‘wahrere’ Aussage als es die subjektive Aussage ist. Objektivität ist viel mehr die Methode, wie etwas beschrieben wird. Im letzten Artikel wurde kurz gezeigt, wie am Beispiel der Musik eine falsche objektive Aussage gemacht werden kann.
Nur müssen wir, am einfachsten durch den Realismus, verstehen, wie weit wir als Menschen mit diesem verknüpft sind. In anderen Worten muss man die Idee des Ichs dorthin entwickeln, wo mit den Entwicklungen der physischen Welt mitgehalten werden kann. Zumindest für die Anthroposophie sollte das geschehen, damit sie nicht in den nächsten Strudel hinein gerissen wird, sondern sehen kann, in welche Richtung die Dinge sich entwickeln werden. Wenn das weiter geführt wird, dieses Entfernen einfachster gesellschaftlicher Kategorien und Begriffe, so wird irgendwann ein Strudel aus Ideologien wohl unausweichlich.
Was ist nun ‘Aprosität’ im Zusammenhang mit Subjektivität und Objektivität? Der Begriff soll andeuten, dass es das zum Kern des Menschen Entfernteste beschreibt, aber dennoch denselben Raum bewohnt. Das soll heissen, dass der Mensch mit der Aprosität die Wirklichkeit teilt, aber dennoch in gewissem Sinne nicht zu ihr hin reicht. Für die WA ist dieser Begriff notwendig, weil der Teil ihres Wesens komplett vom Menschen unabhängig ist, der vom Menschen nicht erfasst wird. Ein Teil der WA lässt sich so weit erkennen, wie der Mensch zum Erkennen befähigt ist, der Rest verbleit ausserhalb des menschlichen Bewusstseins, existiert dort (ausserhalb) aber. Was an den WA vom Menschen erkannt und verstanden wird, ist nicht mehr Aprosität, sondern Objektivität, vielleicht auch Subjektivität. Was nicht gesehen wird, ist Aprosität. Man könnte es als die Aufgabe des Menschen bezeichnen, irgendwann alles Aprositäre, also alles ausserhalb Befindliche, in ‘Objekt’ zu verwandeln, näher zu sich zu bringen.
Für uns bedeutet es ganz praktisch, dass man, wo sich viele Informationen aber keine ausmachbaren Fakten finden, in sich wissen soll, dass wir mit jedem Studium jeglicher Information mit unserem Ich teilnehmen, und damit das eigene Wesen in all jenes einfliessen lassen, das wir studieren. Objektivität ist lediglich das externale Vermischen vom eigenen Wesen und Ding, während die Subjektivität das Ding internal mit dem Ich verbinden lässt. Diese externale Vermischung erst verwandelt Ding in Objekt. Ist eine Vermischung nicht möglich, so verbleibt das Ding als Aprosität, relativ zu uns. Was wir an Fakten kennen, ist mit unserem Ich in dem Moment vermischt, wo der Fakt verstanden wird. Und das ist Objektivität; dasjenige, das gesehen, erkannt, verstanden wird. Aprosität hingegen ist, was entweder verstanden werden könnte, aber noch nicht verstanden wird, oder was schlichtweg niemals verstanden werden kann. Das Ich geht zum Ding: so haben wir Objektivität.
Zwischen Objektivität und Aprosität zu unterscheiden scheint vielleicht etwas Kleinliches zu sein, aber es bewirkt durchaus einen Unterschied, und zwar darin, wie wir an Information heran gehen. Wenn wir unsere Sicht auf das eigene Ich verändern, so verändern wir auch unsere Sicht auf Objekte, Themen, WA usw. Vielleicht können wir gar uns selbst im Objekt erkennen, und dadurch sehen, wie wir das Objekt mit unserem eigenen Wesen einfärben. Dadurch lernen wir auch etwas über uns selbst, wenn wir unseren Blick in die Welt richten.
Der von Steiner so oft wiedergegebene, ursprünglich in etwas anderer Form von Schiller kommende Satz “Schaue in die Welt, erkenne Dich selbst, schaue in Dich selbst, erkenne die Welt” bewegt sich in dieser Richtung.
Im nächsten Teil, oder in den nächsten Teilen wird noch etwas genauer angeschaut, wie es sich denn mit der Aprosität verhält. Wir werden sehen, dass die Aprosität ein durchaus passender Begriff ist; dass sie ein ‘Potential’ haben kann, objektiv zu werden; dass auch Subjektivität ein bestimmtes Potential hat, und auch die Objektivität bestimmte Potentiale hat; und schliesslich, dass jeder individuelle Mensch seine eigene Aprosität hat – was dann wiederum die Frage aufwirft, ob Aprosität nicht widersprüchlicherweise subjektiv sei usw.
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