Eine spannende Frage ist die, inwiefern Objektivität möglich ist, und ob es vielleicht eine andere Art des Kategorisierens braucht, um den Anforderungen, welche von den WA kommen, zu genügen. Denn Objektivität ist spätestens mit den Erkenntnissen des deutschen Idealismus zu einem umkämpften Thema (einem ‘Ideal’) geworden. Die Idee des ‘Ich’, auf das Subjektivität und Objektivität zurück führen, wurde durch die anglikanische Welt kaum philosophisch weiter untersucht und entwickelt. Die anglikanische Welt hat sich in der Zeit, in der sie sich etablieren konnte, nicht sonderlich für die Idee des Ich interessiert. Man kann so weit gehen, es als die Hauptsünde des Materialismus der letzten hundert Jahre zu bezeichnen, dass er die Idee des ‘Ich’ (im Englischen etwas lapidar mit ‘Ego’ übersetzt) untergraben hat.
Der deutsche Idealismus hat es verstanden, das ‘Ich’ des Menschen sehr gründlich zu untersuchen. In seinem Werk ‘Rätsel der Philosophie’ beschreibt Rudolf Steiner den Weg vom Menschen der Vorantike (“Altertum”) von einem Bewusstsein, das mit dem Bewusstsein der anderen Menschen zusammen hing, also in eine Art kollektives Bewusstsein getaucht war, hin zu dem sich abgrenzenden Bewusstsein des Individuums der Gegenwart. Der Höhepunkt dieser Entwicklung der Idee des Ich, stellt bis jetzt wohl der grosse Denker Max Stirner dar, der den ‘Einzelnen’ als das höchste Gut beschreibt.
Während für den Menschen der Antike, z.B. des antiken Griechenlands, der Mensch tendenziell eher noch ein Teil der Welt war, und er seine Erkenntnisse aus dieser schöpfte, so wuchs er über das Mittelalter hindurch nach und nach aus dieser Teilhabe heraus, spaltete sich ab von dem kollektiven Bewusstsein, und sah die Welt mehr und mehr als etwas an, das von ihm getrennt war. Aus diesem Geiste entwickelten sich die Wissenschaften, welche sich nun nicht mehr als Erstes vor der Natur verneigten, sondern den Blick auf sie gerichtet hielten, bis sie deren letzte Eigenschaften zu verstehen glaubten.
Es kamen daraus Fragen auf, welche die Philosophie nun zu bewältigen hatte. Es stellten sich nun Fragen, wie der Mensch z.B. in diesem neuen, von der Natur abgesonderten Standpunkt verstanden werden müsse. Da kam der grosse Philosophe Kant, welcher den Verstand in seinem Werk ‘Kritik der reinen Vernunft’ streng und systematisch von der Welt abzugrenzen wusste. Auf Kant folgte der grosse Denker Hegel, welcher diese Ansicht wieder hinterfragte, und den Verstand als etwas verstand, das nicht die ganze Fülle von den Ideen in der Welt abzudecken imstande war. Hegel war umgeben von den zwei brillianten Denkern Fichte (vorher) und Schelling (nachher). Schopenhauer und Stirner folgten auf diese, mit ihren jeweiligen Formen des Voluntarismus, und bauten darauf auf, was diese anderen vorbereitet hatten. Schopenhauer machte eher sein eigenes Ding und betonte den Willen, Stirner dachte die Idee des ‘Ich’ bis zu seiner letzten Konsequenz weiter und untersuchte darin vor allem die Frage der Freiheit des Einzelnen.
Diese Reihe von Philosophen im Zusammenhang zu sehen, ist von grosser Bedeutung um zu verstehen, was der Idealismus damals versuchte, und was der Materialismus bis heute nicht weiter führen konnte. Der Materialismus konnte es nicht, und wird es nie können, ein solches Studium weiter zu führen, weil er weder die Begriffe noch die Vorstellung für eine Idee wie das ‘Ich’ mit sich bringt. Das Ich ist mit Atomen und physikalischen Kräften weder zu beschreiben noch zu erklären. Der Individualismus entwickelte sich im Westen im praktischen Leben weiter und weiter. Die philosophischen Untersuchungen zum ‘Ich’ aber machten keine grossen Fortschritte mehr, jedenfalls nicht ausserhalb Deutschlands im anglikanischen Raum. Dort im anglikanischen Westen ist eigentlich die grösste Infrastruktur für Geisteswissenschaft vorhanden. Abgesehen vom fehlenden Begriff für das Ich, sind dort die besten Grundlagen zu finden, um Fortschritte in jenen Gebieten zu machen. Dort sollte Philosophie noch etwas erbauen können. Und doch geschieht in den Geisteswissenschaften in Universitäten wie Harvard, Yale, Cambridge usw, im Vergleich zu den grossen Fortschritten in Naturwissenschaften und Technik die sie machen, sehr wenig.
Die kontinentaleuropäischen Idealisten, gegen Ende des achtzehnten und durch das ganze neunzehnte Jahrhundert hindurch, hatten also eine Idee davon geformt, wie sich das mit dem Ich des Menschen verhält. Mit Steiner kam dann noch einmal eine weitere Dimension dazu, da von ihm beschrieben wird, wie sich das Ich ganz genau verhält, als geistige Wesenheit. Steiners Arbeit wird jedoch tendenziell kaum behandelt. Warum genau das so ist, wird in einem anderen Artikel noch näher behandelt, da es auch die WA direkt betreffen wird.
Der Idealismus formte sich also diese Idee vom ‘Ich’. Es bildete sich über Hegel, Fichte, Schelling, dann Stirner, Schopenhauer und vielen anderen unterschiedliche Bilder vom Ich. Es stellte sich heraus, dass das Ich nicht einfach im Menschen drinnen sitzt, sondern an der Welt teilnimmt und darin aus dem Mensch heraus geht – schon bei Hegel findet man das, zwar noch in Ideen eingewickelt, aber doch ausserhalb vom Subjekt. Um die Jahrhundertwende, in das zwanzigste Jahrhundert hinein, kamen die Psychisten Freud und Jung, und der Phänomenalist Husserl und später dessen Schüler Heidegger. Die Linie der Phänomenalisten nimmt, wie alle Philosophie der Gegenwart, etwas an Kraft ab, zieht sich allerdings bis in die Gegenwart hinein. Die Linie der Psychisten ist nach Jung jedoch leider bald verstummt. Die zwei Strömungen, von Freud mit dem Psychismus ausgehend, und von Husserl mit dem Phänomenalismus ausgehend, haben sowohl wertvolle, wie auch seltsame, aber stets artikulierte Beiträge zur Entwicklung der Idee des Ichs gemacht. Bei Freud z.B. findet sich kein Ich, obwohl da das Es und das Über-Ich zu finden ist.
So viel zu den Entwicklungen, welche zum Ich führten – und leider wieder davon weg. Nun wollen wir zum eigentlichen Verhalten des Ichs übergehen, und sehen, wie es sich mit der Subjektivität und der Objektivität verhält.
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Subjektivität ist jenes, das von einem Subjekt ausgeht, oder ein Subjekt betrifft. In der Subjektivität wird nicht versucht, die Wirklichkeit zu beschreiben, sondern, wie man sich dazu verhält. So mag einer z.B. sagen: “Meine liebste Musik ist der Techno”, aber er kann nicht sagen: “Die beste Musik ist der Techno”. Sagt er zweiteres, so macht er eine falsche objektive Aussage – falsch, weil der Techno in der Musik in nichts am besten sein kann. Weder in Monotonie, noch in Komplexität. Da die ‘beste’ Monotonie ein gerader Ton wäre, und dies keine Musik ist, ist die beste Musik jene mit der grössten harmonischen Komplexität. Und so ist womöglich die Popmusik der Beatles, oder die klassische Musik Mozarts und dergleichen die beste Musik – unabhängig davon, ob man sie nun mag oder nicht.
Die persönliche Meinung, der Standpunkt des Ichs, wo das Ding im Ich aufgeht, das ist Subjektivität. In der Subjektivität geht die Sache zum Ich hin. Wenn wir nun objektive Aussagen machen, so müssen wir uns überlegen, wie unser Ich daran teilnimmt. Denn wir wollen wissen, wie wir uns mit der Objektivität von der Subjektivität unterscheiden. Dazu müssen wir das Ich näher betrachten.
Das Ich kann nach Fichte zweierlei sein: 1) absolutes Subjekt, oder 2) Objekt der Reflexion des absoluten Subjekts. Zweiteres hat natürlich kein Bewusstsein, es ist einfach ein Ich, über das von einem anderen Ich nachgedacht wird. Es wäre vermutlich möglich, für das Zweite bessere Begriffe zu finden. Ein absolutes Subjekt unterscheidet sich darin von einem einfachen Subjekt, dass zweiteres zwar Dinge wahnehmen, aber sein eigenes Wesen nicht reflektieren kann, ein Tier wäre da z.B. zugehörig.
Objektivität ist nach dem Wörterbuch jenes, das 1) unabhängig von einem Subjekt und dessen Bewusstsein existierend ist, oder 2) ein Gegenstand, auf den das Interesse, das Denken, das Handeln usw gerichtet ist. Der zweite Punkt ist damit in gewissem Sinne im Widerspruch zum ersten, die zwei Definitionen schliessen einander fast aus. Wir lassen hier nur die zweite Definition gelten, für die erste Definition werden wir sogleich einen neuen Begriff suchen müssen.
Die Objektivität verschmilzt mit dem Ich notwendigerweise, wenn das Ich an der Wirklichkeit teilnimmt. Ohne den Betrachter und dessen Bewusstsein kann keine objektive Aussage gemacht werden. Wir haben mit der Objektivität also immer noch das Subjekt, das teilnimmt. Damit ist die Objektivität eine Art Synthese aus dem Ding da draussen, und dem Ich des Subjekts – worin für die Objektivität das Objekt nicht im Ich aufgehen darf, sondern das Ich im Objekt aufgehen muss. “Was ist die beste Musik da draussen?” mag eine Frage der Objektivität sein, aber nicht: “was ist mir in der Musik am liebsten?” Beim einen wird zum Objekt gegangen, beim anderen nimmt man das Objekt zu sich.
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Nun kommen jedoch die zwölf WA ins Spiel, und hier kommt ein Problem auf. Zwar findet sich auch mit ihnen eine Verschmelzung zwischen ihnen und dem Menschen, jedoch nicht darin, wie in ihnen die Wahrheit vorhanden ist. Denn die Wahrheit der WA ist auch ausserhalb dessen, was Erkenntnis erfordert. Erkenntnis erfordert ein Subjekt das erkennt, die WA (so eine der – notwendigen – Behauptungen des Weltanschauungsprinzips) benötigen dies jedoch nicht. Sie benötigen das Subjekt nur, um sich zu materialisieren, aber sie existieren auch ausserhalb davon – ‘materialisiert’ oder auch nicht.
Beim Studium der WA merkt man bald, dass man sie nicht notwendigerweise entwickelt, sondern oftmals nur auffindet. Man muss sich bei den WA selten Ideen erkämpfen, sie scheinen zumeist bereits vorhanden, man muss sich nur auf sie einlassen können. Es ist eher wie ein Buch zu lesen, als dass es wirkliche Arbeit ist, weil die WA durch ihre Stimmigkeit von selber alles erschliessen.
Für den Spiritualismus ist dies überall wahr, dass da etwas ist, ohne dass ein Mensch sein Bewusstsein darauf richten muss, da sich überall Geistiges findet. Und eigentlich ist es auch für den Materialismus wahr, denn der Wald verschwindet nicht, wenn ich meine Augen mit meinen Händen verdecke, und der Baum fällt im Wald auch dann um, wenn niemand in der Nähe ist. Und hier findet sich das Problem, dass wir eine Kategorie ausserhalb unserer Definition von Objektivität haben.
Anstatt den Begriff der Objektivität anzupassen, und dann das Problem zu haben, die Idee des Ich im Verhältnis zur Objektivität anpassen zu müssen, scheint eine Kategorie für eine weitere Ebene praktikabler. Ansonsten muss einem grossen Teil der Arbeit des deutschen Idealismus zum Thema Ich widersprochen werden. Es muss ein vom Ich unabhängiges Sein geben, mit ‘Subjektivität’ und ‘Objektiviät’ allein ist es jedoch schwierig, dies zuzugeben.
Wir haben also die Ebene des Subjektiven, das sich direkt an den Menschen schmiegt. Dann haben wir die Ebene des Objektiven, dass sich überall um den Menschen findet, wo sein Bewusstsein hinreichen kann. Dann haben wir nun noch diese neue Kategorie notwendig, welche z.B. für die WA benötigt wird, aber eigentlich für alles ausserhalb von Subjekten gilt, auf das nicht gerade ein Bewusstsein gerichtet ist. Diese letzte Ebene soll als die ‘äusserste’ Ebene bezeichnet werden, da wir vom Menschen ausgehen, und nicht vom Ding.
Als Begriff für das ‘Unerreichbare’ bietet sich der Begriff der ‘Aprosität’ an. So soll dieser Bereich ausserhalb des Äussersten, nach aussen womöglich grenzenlose Ebene, wo sich das Ding ohne Teilnahme eines Ichs findet, die ‘Aprosität’ sein.
Damit haben wir Subjektivität, Objektivität und Aprosität (von ἀπρόσιτος aprositos, unnahbar, unzugänglich, siehe Link zu Begriff in der Bibel Timotheus 1:16).
- Die Subjektivität ist das Ich alleine (in der ein Ding verschmelzen kann, aber nicht muss).
- Die Objektivität ist die Verschmelzung draussen, von Ich im Ding – dies macht das Ding zum Objekt.
- Und die Aprosität ist das Ding alleine {in der, streng weiter gedacht, aus der ‘Sicht des Dinges’ ein Subjekt wie ein Ich verschmelzen kann – was dann das Subjekt (das Ich) in ein Objekt verwandeln würde -, aber nicht muss}.
Es sollte noch angemerkt werden, dass die Kategorie ‘Aprosität’ nur dann Sinn macht, wenn zwei Dinge erfüllt werden. Erstens, wenn ein Subjekt ohne ein Objekt möglich ist. Und zweitens, wenn man auch Göttliches zu Subjekten zählt, denn dann haben wir ebenso keine Notwendigkeit für den Begriff der Aprosität. Zum Ersten: Ist mein Bewusstsein nur das Verschmelzen meines Ichs mit der Aussenwelt, oder das Verschmelzen mit Ideen der Aussenwelt, so ist die Definition des Subjekts eine andere, als die, welche hier verwendet wurde, oder verwendet werden kann. Das Bewusstsein unseres Subjekts, wie wir das Bewusstsein hier verstehen, benötigt das Verschmelzen nicht.
Das Zweite ist, dass von einem jeden Ding man aus dem Spiritualismus gesagt werden kann, dass dieses nur durch das Bewusstsein der höheren Hierarchien möglich ist – was die Kategorie der Aprosität überflüssig machen würde. Dies würde jedes Ding sogleich zum Objekt machen, weil die dafür notwendigen Subjekte dann halt nicht mehr nur die Menschen, sondern auch die Wesen der höheren (Engels-)Hierarchien des Spiritualismus wären, welche jedem Ding überhaupt erst Substanz geben. Ist ein jedes Ding Objekt, weil das Bewusstsein der höheren Hierarchien überall ist, so braucht man die Kategorie der ‘Aprosiät’ auch nicht mehr.
Jedoch scheint die Aprosität für den Menschen durchaus eine nützliche Kategorie zu sein, nur schon um sich bewusst zu machen, dass es nicht möglich ist, als Mensch das Bewusstsein jemals ganz bis zum Ding auszustrecken; dass da immer etwas an okkulter Aprosität, also Unerreichbarkeit, verbleibt, welche nicht begriffen werden kann. Würde der Mensch der Gegenwart dies in sich vergegenwärtigen, so würde sich das sicher positiv auf das Gemüt auswirken. Der Inhalt dieser ganzen Webseite ist darauf ausgelegt, “anthropozentrisch” zu sein, das heisst, in allem stets vom Menschen auszugehen. Im nächsten Artikel, “Subjektivität, Objektivität, Aprosität 2”, findet sich mehr zu der Beziehung des Mensch der Gegenwart zu Information. Und wir werden sehen, wie das gewöhnliche Verständnis der Objektivität für diese Beziehung mit der gleichzeitigen Existenz des Internets hinderlich sein kann.
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