2.4.09 Realismus (REM)

Für das Weltanschauungsprinzip ist der Idealismus die wichtigste Weltanschauung, denn es gibt das Weltanschauungsprinzip (WAP) nicht als etwas Greifbares. Es ist eine Idee. Um die dutzend Weltanschauungen zu verstehen ist es allerdings die erste wichtige Aufgabe, den Realismus zu verstehen. Erst wenn der Realismus verstanden wird, öffnen sich die Tore zur Vielfalt aller anderen elf Weltanschauungen.

Lässt man sich den Realismus erklären, so kommen meist mehr nichtssagende Erklärungen als sonst etwas, denn es erklärt nichts wenn z.B. gesagt wird, dass sich der Realismus mit dem Realen beschäftige (eine ‘Tautologie’; das gleiche gilt für den Idealismus und Ideales, für den Sensualismus und die Sinne usw). Es müssen andere Worte gefunden werden um den Realismus zu beschreiben, was gar nicht so einfach ist. Wird der Realismus einmal verstanden, so wird es erst wirklich möglich die dutzend Weltanschauungen zu verstehen, denn ohne den Realismus zu verstehen, steht der Realismus in jeder Weltanschauung drinnen, von der man sagt, dass es sie gibt. Denn den Realismus falsch zu verstehen bedeutet oftmals, dass vermengt wird was ‘ist’ und was ‘real ist’. Fantasie, reine Information, Muster, Durchschnittswerte, usw, all solche Dinge ‘sind’ durchaus, aber sie sind anders, als das Reale ist. Das Vermengen der beiden suggeriert, dass nur das Reale ist. Das kann es natürlich nicht sein, denn es würde mit strengem Denken bedeuten, dass es z.B. den Idealismus nicht gibt, wenn es tatsächlich so wäre, dass die vom Realismus entfernten Weltanschauungen an sich weniger Sein haben als die realismusnahen Weltanschauungen. Den Idealismus gibt es aber, genauso wie seine unmittelbaren (…) Nachbarn, sonst gäbe es das Weltanschauungsprinzip nicht, sonst könnten Gedanken keine Ideen tragen, sonst wären keine Erfindungen aus der Fantasie möglich (und es gäbe nur Erfindungen durch Experimente, die dann auch nichts Fantasievolles an sich haben könnten, und stets nur aus kausal Entstandenem, bereits Vorhandenem ableitbar sein müssten). So verlangt der Realismus nach einer brauchbaren, abgrenzbaren Beschreibung, damit er im WAP nicht zu allgemein ist.

Das Reale trifft auf alles Unmittelbare in der Welt zu. Was vor uns und um uns ist – sei es ein Gegenstand wie ein Tisch, sei es die gesprochenen Sätze eines Menschen neben uns, sei es die Atmossphäre in einem Raum, sei es etwas so Geistiges wie die reine Liebe – von all diesen Dingen ist ein Erleben möglich. Der Realismus hat nicht das Erlebnis zur Bedingung (das wäre eine spezialisierte Art von sogenanntem ‘intuitistischem’ Realismus, wenn nicht gar schon ein Phänomenalismus), aber es ist eine häufige Nebenwirkung, dass das Reale ein Erleben erlaubt. Schaue ich hingegen in ein Buch, und lese dort über abstrakte Konzepte, Formeln und Ideen, so sind diese nicht unmittelbar vor mir, sondern indirekt – im Buch wäre das über die Schrift. Die Schrift ist so mittelbar, so direkt vorhanden wie das Buch, wie es auch meine Gedanken oder meine Empfindungen zum Gelesenen sind; aber die eigentlichen Inhalte im Buch sind nur ein Hauch weit Mittelbarkeit.

Das Reale fügt zusammen, was der Materialismus und der Spiritualismus durch ihre jeweilge, extrem polare Wirklichkeit liefern. Wo die Polarität aus Materialismus und Spiritualismus zur gleichen Zeit zusammenkommt, ist der Realismus vorhanden. Heisst das nun, dass es den Realismus selber nicht gibt, dass er nur durch die anderen beiden besteht? Das bezweifle ich, denn um aus zwei Dingen die Waage zu halten braucht es eine Waage. Was hält die Dinge, was fügt sie zusammen, wenn da nichts zwischen den zwei extremsten Polaritäten wäre? Den Realismus gibt es somit für sich, nämlich durch seine Funktion des Waagehaltens. Ob es ihn noch gäbe, wenn da nichts zu halten wäre, dass ist dann eine schwierigere Frage. Vielleicht ist er eine ’emergente Eigenschaft’ aus der eben genannten Polarität, also etwas, das aus der Polarität Materialismus-Spiritualismus entstand, das dieser Polarität wieder neue Möglichkeiten brachte, was dann wieder den Realismus stärkte, usw.

Nun könnte man meinen, dass alles Abstrakte weit weg vom Realismus ist, und alles Unmittelbare nahe bei ihm.

Um sich dieser Aussage zu nähern, reicht die vierte Gattung des Weltanschauungsprinzips, d.h. die dutzend Weltanschauungen (DWA), allein nicht aus. Hierfür wird die Hilfe der dritten Gattung benötigt: die sieben Visibilitätsstufen (Abkürzung: DVS; genannt ‘sieben Weltanschauungsstimmungen’ bei Rudolf Steiner). Die DVS sind gegebene Arten, als die eine jede Weltanschauung angewandt werden kann. Es wäre sicher nicht falsch zu sagen, dass das Abstrakte vom Realismus weit weg ist, aber es braucht etwas mehr Genauigkeit, denn unter den sieben Arten des Realismus gibt es z.B. den mystizistischen, den transzendentalistischen oder den okkultistischen. Besonders beim okkultistischen Realismus ist nicht mehr viel Unmittelbares vorhanden. Was ist nun der okkultistische Realismus, wenn er weder unmittelbar noch abstrakt ist? Es ist nicht etwa ‘Abstraktion’, die mit dem Realismus durch den Okkultismus entsteht, sondern die ‘Suche nach immer subtileren Realitäten’.

Der Okkultismus ist eine generelle Herangehensweise, die sich durch alle Weltanschauungen wiederholt, mit ihm ist es durch jede Weltanschauung das Gleiche: die Inhalte einer Weltanschauung werden so sortiert, dass die interessantesten Inhalte unter einer dicken Schicht von weniger interessanten vergraben sind. Die weniger aussagekräftigen Inhalte deuten in dieser oder jener Weise auf die wichtigeren, wahreren Inhalte hin, aber der wichtigste, zentrale Inhalt bleibt hinter den Andeutungen immer komplett verborgen. Der Okkultist ist derjenige, der vorsichtig Schicht für Schicht entfernt, ohne jemals zu einer Gewissheit zu kommen. Zeigt sich ihm eine Gewissheit, so ist ihm diese sogleich allein ihrer Form wegen suspekt. Der Gnostizismus ist das genaue Gegenteil davon. Der Gnostizismus wie auch der Okkultismus sind nicht besonders verträglich mit dem Realismus, aber durchaus möglich, jeweils mit ihm zu kombinieren. Der okkultistische Realist wird sich auf die Feinheit der Erlebnisse beschränken, und z.B. das Erste Wahre, oder wie auch immer man den Kern des Seins nennen will, als unendlich feingliedrig, unendlich weit von unserer Sprache entfernt, unendlich dieses und jenes, und deswegen unendlich schwer zu erreichen, beschreiben.

Der Realismus unter den dutzend Weltanschauungen

Die dutzend Weltanschauungen kategorisieren sich wie folgt:

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