Mit dem ersten Blick auf Grünewalds aufgeschlagenes Buch wusste ich, dass in meiner Hand etwas lag, das für mich von grossem Wert ist. Dieses Buch ist für mich deswegen sehr nützlich, weil darin scheinbar alle Missverständnisse, mit denen ich mich im Beginn meines Weltanschauungsstudiums herumschlagen musste, und mehr, fast systematisiert aufgeführt sind. Dies mag vielleicht absurd oder gar spöttisch klingen, aber so ist es nicht gemeint. Wohl weil mir schwer fällt, das Denken anderer Menschen vorauszuahnen, weil ich generell Mühe habe, das Denken anderer Menschen zu begreifen, hilft mir dieses Buch in dieser Weise. Es zeigt auf, wo die einzelnen Begriffe zu verzerrenden Assoziationen führen können, die von den eigentlichen Weltanschauungen wegführen. Es ist vielleicht bedauerlich, dass es der Sache der dutzend Weltanschauungen so dienlich ist, das Buch in widerlegender Weise (in Abgrenzung zum ‘bekannten’ Weltanschauungsprinzip wie es von R. Steiner dargestellt wurde) zu gebrauchen, besonders weil es ein recht ehrliches Werk ist. Es sei aber mit aller Deutlichkeit betont, dass es hier nicht darum geht, dieses Buch durch den Dreck zu ziehen, sondern allein darum, dass effektiv daraus gelernt werden kann. Ich weiss, dass Grünewalds Buch in der Zukunft viele für mich frustrierende Gespräche bedeutend vereinfachen wird, weil es mir hilft zu durchschauen, welche Missverständnisse hinter bestimmten Fragen liegen können. Dieses Buch hilft mir in meiner vielleicht grössten Schwäche, und dafür bin ich Lars Grünewald äusserst dankbar.
Grünewalds Ehrlichkeit
Grünewalds Werk (“Zwölf Weltanschauungen und ihre Anordnung in zwei Kreissystemen”) ist in meinen Augen gegenteilig zum Werk von Sigismund von Gleich (“Die Wahrheit als Gesamtumfang aller Weltansichten”, WGW). Von Gleichs Werk zeugt von lebendigem Verständnis zu Steiners Vortragsserie “Der menschliche und der kosmische Gedanke” (Abkürzung MKG). Weil Von Gleich aber keine persönliche Erfahrung mit nur einem Wort erwähnt, beschränkt sich Von Gleichs Werk in meinen Augen darauf, seinen intellektuellen Verdauungsprozesses zu begleiten, was das Werk durch seine eindrückliche Kenntnis von Steiners geäusserten Ideen zu anderen Denkern, die in Von Gleichs WGW überall vorhanden sind, durch deren Vielfalt zu einer anspruchsvollen Lektüre werden liess, deren roten Faden nicht zu verlieren einem einige Konzentration abverlangt. Die Kombination einer ‘luftigen’ Weltanschauung (Idealismus) mit einer ‘luftigen’ Visibilitätsstufe (Transzendentalismus) endet leider in unzähligen Sätzen, von denen es keiner wirklich ins Konkrete schafft, wo dann eine handfeste Aussage für sich stehen kann. Solche Werke können ein Gefühl für eine Sache vermitteln – ist man aber auf der Suche nach originellen Ideen, widerlegbaren Aussagen, Begriffsdefinitionen und dergleichen, so kann es frustrierend sein, stets nur nach Luft zu greifen. Deswegen setzen sich Kombinationen im Weltanschauungsprinzip besser aus andersartigen Teilen zusammen. Gerade weil seine Weltanschauungsschrift eine Zitatkollektion ist, die eine Menge ideenwissenschaftliches Vorwissen der Zeit des deutschen Idealismus voraussetzt, baute er in meinen Augen eine idealistische Hürde (!) zwischen Steiners Vortragsserie (‘Zyklus’) und potenziellen Weltanschauungsstudenten. Ich weiss zumindest von niemandem, der in den 43 Jahren zwischen 1957 (der ersten Auflage der WGW) und dem Milleniumswechsel über die dutzend Weltanschauungen schrieb. Vielleicht lag es auch an den Nationalsozialisten, die den Begriff Weltanschauung für ihre einseitige Ideologie missbrauchten, was dem Begriff für einige Zeit eine abstossende Färbung gab. Damit genug zu Von Gleich.
Lars Grünewald (im Folgenden überall ‘Lars’) ist in den Dingen die ihm nicht aufgehen direkt: er macht sich einfach seinen eigenen, separaten Kreis, der für ihn besser funktioniert. Die Aussagen sind bei Lars, wenn auch nicht immer verständlich und klar von anderen Aussagen abgrenzbar, so doch vorhanden. Dass er handfeste Aussagen wagt, macht die manchmal künstlich umständlich formulierten Ideen vielfach wieder gut. Das Frustrierende ist bei Lars eher die Sorglosigkeit.
Ohne – z.B. folgenden – Kommentar ist Lars’ Buch nicht für jene zu empfehlen, die zu den dutzend Weltanschauungen, wie von Rudolf Steiner dargestellt, einen Einstieg suchen, weil es die vom bekannten Weltanschauungsprinzip gegebenen Polaritäten (trotz dem Titel des Buches der suggeriert, dass beide Kreissysteme gelten) nicht wirklich zu akzeptieren scheint und sich vor allem mit Larsens neuem Kreissystem beschäftigt. Lars gibt weder neue Weltanschauungen hinzu, noch nimmt er welche weg, er ordnet die Nachbarschaften aber neu an, und definiert dadurch mitunter neue Polaritätspaare. Den neuen Kreis stellt er neben (oder über) den ursprünglichen, und so bildet sich der Titel des Buches:
Zwölf Weltanschauungen und ihre Anordnung in zwei Kreissystemen
Lars’ neues Kreissystem sieht wie folgt aus:
Der Mathematismus und der Pneumatismus sind noch an ihrem Platz, alle anderen wurden um mindestens eine Position verschoben, der Realismus ging gar auf die andere Seite – und wird dann von Nachbarn umgeben, die im bekannten Weltanschauungsprinzip eine Polarität sind. Lars identifiziert ein zentrales Thema für eine jeweilige neue Polarität, und setzt die beiden einander dann gegenüber.

Lars’ Kreisschema folgt einer anderen Logik, als das bekannte; er teilt es in vier Quadranten ein:
- Aussenwelt (Realismus, Materialismus, Mathematizismus)
- Innenwelt (Sensualismus, Psychismus, Rationalismus)
- Trennung aussen-innen (Phänomenalismus, Monadismus, Dynamismus)
- Verbindung aussen-innen (Idealismus, Peumatismus, Spiritualismus)
Lars drückt die dutzend Weltanschauungen damit in eine verengende Richtung, denn die zweite Gattung des bekannten Weltanschauungsprinzips adressiert die Idee von innen und aussen bereits, ohne dass dafür der Kreis in Quadranten aufgebrochen werden muss: die drei Seelentöne (DST) decken Inneres und Äusseres bereits vollständig ab. Nach den DST ist jede Weltanschauung im Menscheninneren (“Intuitismus”) wie auch draussen in der Welt (“Naturalismus”) zu finden – und mit dem dritten Seelenton finden sich Weltanschauungen ausserhalb von Mensch und Welt, im Höheren (“Theismus”). Lars entfernt sich mit den Quadranten von den Weltanschauungen, weil er ihnen jeweils nur noch einen Seelenton erlaubt. Dies widerspricht der Idee der Kombinierbarkeit der vier Gattungen des bekannten Weltanschauungsprinzips. Selbst wenn Steiner geirrt hätte und es die drei Seelentöne nicht gäbe, macht es wenig Sinn mit den Quadranten auf ein Kreissystem zu beharren, weil die Nachbarschaften an den Grenzen der Quadranten keine nennenswerte Bedeutung mehr haben. Eine einfache Tabelle wird dann übersichtlicher. Dennoch ist es äusserst spannend zu untersuchen, welche Schlüsse Lars aus den Quadranten gewinnt, die sich für die daraus folgenden neuen Polaritätspaare ergeben, denn es ist vieles aus ihnen zu lernen (wenn auch darin, wie die Dinge nicht sind).
Methodenfehler
Ich meine vielleicht den Grund des Erstellens des zweiten Kreissystems durch Lars gefunden zu haben, da ich vor einigen Jahren etwas versuchte, das mit mehr Hartnäckigkeit zu einer ähnlichen Folge gekommen wäre. Was ich nicht weiss ist, ob er über die Quadranten zu den Ausschlussätzen der Polaritäten, oder über die Ausschlussätze zu den Quadranten kam. Ist es Zweiteres, so trifft vielleicht das Folgende zu. Ein Ausschlussatz ist im Weltanschauungsprinzip (WAP) ein Satz, der beide Pole eines Polaritätspaares treffend beschreibt und unterscheidet (“Pol A ist dieses und beschäftigt sich mit X, Pol B ist jenes und beschäftigt sich mit dem genauen Gegenteil von X, nämlich Y.”).
Ich suchte z.B. ‘gemeinsame Sätze’ von Polaritäten (ich suchte auch ‘universelle Sätze’, die von allen Weltanschauungen vertreten werden, merkte aber bald, dass dadurch keine Aussage mehr möglich war). Dies scheiterte (weil es nur scheitern kann), aber ein Schluss wurde daraus gewonnen: es gibt nichts Gemeinsames zwischen Polaritäten, ausser, dass sie mit dem Gegenpol ‘äquivalente Polarität’ gegenüber haben; d.h. dass sie so gegensätzlich wie äquivalent zueinander sind. Die Äquivalenz betrifft hier das Ausmass der beiden Pole, sowohl innerhalb des Kreises des Dutzend, wie auch in der Bedeutung für die Welt. Die Einsicht in das Absolut dieses Schlusses versperrte mir den Weg zu Larsens Projekt: die Suche nach ‘gegenseitigem Ausschluss’. Der gegenseitige Ausschluss will treffend beschreiben, worin der Grundunterschied in einem Polaritätspaar liegt. Zwar ist ein Satz wie z.B.: “der Monadismus sucht die Qualität des Einzelnen, der Mathematizismus die Quantität des Gemeinsamen” gültig, gleichzeitig ist er ungenau. Denn die beiden Weltanschauungen in diesem Beispiel haben einen grundsätzlich unterschiedlichen Begriff sowohl von Qualität wie auch von Quantität. So vorsichtig ein Ausschlussatz auch formuliert wird, aus der Sicht einer betreffenden Weltanschauung ist mindestens der Teil über die andere bedeutungslos. Werden solche unvermeidbaren Fehler nicht erkannt, und wird ihre Gültigkeit fälschlicherweise dennoch als erwiesen bestimmt, so beginnt eine endlose, unerfüllbare Suche nach dem Wahren.
Kennt man die Strenge der Polaritäten nicht (die so streng polar sind, dass nicht nur das Gemeinsame, sondern selbst das Gegenteilige (!) unidentifizierbar wird), und versucht dennoch auf Gedeih und Verderb Ausschlussätze zu erstellen, muss es, wenn man ehrlich zu den eigenen Resultaten ist, zu einer Krise führen. Lars löste diese Krise vielleicht mit seinem neuen Kreissystem auf. So ein weiterer Schluss: gegenteilige Ausschlussätze sind bei extremen Polaritäten (Spiritualismus-Materialismus) unmöglich und bei weniger extremen (Idealismus-Realismus) noch immer unwahrscheinlich.
Lars’ Polaritäten
Die Nachbarschaften weisen nach dem Schema von Lars oftmals nicht mehr genügend viel Ähnlichkeit auf, um den “Übergang über die Ränder” (mithilfe der sieben Visibilitätsstufen) weiterhin zu erlauben. So ecken die Nachbarschaften nun teilweise an – das erste Beispiel zeigt dies anschaulich.
Hier Lars’ Polaritäten; im Bild links immer das bekannte Schema (mit roter Linie ein jeweiliges Lars-Gegenpaar eingezeichnet), im Bild rechts das Schema von Lars:
Realismus – Phänomenalismus


- Es gibt einen guten Grund, warum die Weltanschauungen Realismus und Phänomenalismus im bekannten Weltanschauungsprinzip (wie es auf weltanschauung.org vertreten wird) Nachbarn sind: sie sind sich zueinander ähnlich. Lars meint, die beiden unterscheiden sich in der Frage nach der Gültigkeit einer behaupteten ‘objektiven Realität der Wahrnehmungswelt‘ so sehr, dass sie zur Polarität werden. Ein erstes Problem: Hier findet sich in der ‘Frage des Unterschieds’ der beiden einer der beiden betreffenden Begriffe bereits in der Frage. Dadurch wird die Frage wohl zugunsten des in der Frage erwähnten verzerrt, also zugunsten des Realismus. Und danach wird nicht aufgezeigt, warum genau denn der Schluss so ausfällt, wie von Lars gezeigt (der Realismus bejaht nach ihm die objektive Realität der Wahrnehmungswelt, der Phänomanalismus verneint sie). Denn er zeigt nicht, warum der Phänomenalismus sich in dieser Frage vom Realismus unterscheidet (d.h. warum Subjektivität und Objektivität sich so auf diese beiden Weltanschauungen anwenden lassen), oder warum der Phänomenalismus die Frage überhaupt verneinen kann. Auch nicht im 5. Kapitel des Buches (S. 74), wo er weiter darauf eingeht. Besonders in Kombination mit den sieben Visibilitätsstufen (DVS) scheint für beide beides möglich, jedenfalls wird der okkultistische Realismus darin zögern, die Frage nach der Objektivität der Wahrnehmung deutlich (mit “ja”) zu beantworten. Daraus erschliesst sich Folgendes zu den DWA-DVS-Kombinationen: jede Weltanschauung ist im Weltanschauungsprinzip mit allen sieben Visibilitätsstufen kombinierbar. Trifft ein Satz auf sechs von sieben Kombinationen zu, aber nicht auf die siebente, so ist der Satz für die ‘Weltanschauung an sich’ nicht gültig. Erst wenn er alle sieben Kombinationen umfasst, hat ein Satz Gültigkeit.
- Und selbst wenn diese Differenz zwischen diesen beiden Weltanschauungen vorhanden wäre, so ist fraglich ob es eine Differenz ist, die zu einer Polarität führen kann, oder ob diese Differenz auch unter Nachbarn, oder irgendwas dazwischen (des Nachbars Narchbar), möglich wäre. Schliesslich ist jede Weltanschauung zu ihren beiden Nachbarn (linker und rechter Hand) verschieden, denn es gibt auf dem bekannten Kreis nicht zwei Mal diesselbe Weltanschauung. Hier lernen wir etwas über Polaritäten: sie unterscheiden sich nicht in einer Ja-Nein-Frage (oder in obigem Beispiel in einer Ja-Vielleicht-Frage), sondern sie sind in jedem Sinne Umstülpungen voneinander. Unterschiedliche Antworten in Ja-Nein-Fragen sind eher bei Nachbarn anzutreffen, weil erst ihre Ähnlichkeit ihnen beiden zu einer bestimmten Frage eine konkrete Antwort erlaubt. Polaritäten aber sind zueinander so verschieden, dass sie kaum eine gemeinsame Sprache finden können (wobei das Ausmass hiervon von Polaritätspaar zu Polaritätspaar wieder verschieden ist). Ein spezifisches Thema ist unmöglich in beiden Seiten einer Polarität zuhause; eine der beiden Weltanschauungen muss sich in diesem Fall aus ihrem Bereich herausbewegen und anmassend sein, um sich dazu äussern zu können.
- Ursache des Bedürfnisses der Neuanordnung ist hier möglicherweise ein (nach WAP-Logik häufiges) Missverständnis zum Realismus. Der Realismus unterscheidet sich vom ‘Wirklichen‘ insofern, als dass zwar jede Weltanschauung ‘wirklich’ ist, aber nur der Realismus das tatsächlich Reale vertritt. So sind z.B. Ideen in gewissem Sinne ‘wirklich’ (sonst könnten sie nicht sein, wodurch wir nicht über sie sprechen könnten), aber sie sind nie ‘real’. Das Reale steht genau zwischen der Polarität Spiritualismus und Materialismus, der extremsten Polarität unter den sechs Polaritätspaaren. Der Realismus verschweisst die beiden; er bildet eine ‘Waage’ dazwischen (auch in seiner Zuordnung zum Tierkreiszeichen). Der Realismus ist dasjenige das vorhanden ist, wenn der Geist in der Materie lebt, wenn die beiden beisammen sind, zusammen und gleichzeitig auftreten. Erst das ist das Reale. Geist alleine ist, dem Begriffe nach, so wenig ‘real’ wie Materie alleine. Geistlose Materie ist so tot wie materieloser Geist stagniert; das Reale entsteht erst durch die Synthese der beiden in der Welt.
Materialismus – Monadismus


- Dieses Paar wurde um 30° verschoben, also auf einer Seite um eine Stelle (von STM zu MDM oder von MTM zu MLM). Damit findet sich noch viel Übereinstimmung zum bekannten Schema, aber es beginnt mit Ungenauigkeiten was den Übergang zu den Nachbarschaften anbelangt.
- Lars setzt den Gegensatz zwischen diesen beiden Weltanschauungen in unterschiedlichen Perspektiven zur ‘Existenzform der dem Weltgefüge zugrundeliegenden Einzelsubstanzen‘ (i.e.: ‘Was ist Grundsubstanz?’). Diese Unterscheidung liesse sich möglicherweise auf alle Polaritätspaare anwenden, das Problem liegt hier in seiner Definition der ‘Einzelsubstanz’, er schreibt auf Seite 21 mittig: “Materialismus und Monadismus stellen die Welt als eine Vielzahl gleichartiger, elementarer Einzelsubstanzen vor.” Der (versteckte) Fehler liegt darin, dass dem Monadismus in Wahrheit jede Monade etwas Individuelles ist. Monaden sind nie gleich, und kaum gleichartig.
- Das ist der hauptsächliche Unterschied zum Mathematizismus, dessen Einheiten zueinander wirklich gleich sind (1=1, 2=2…). Im Monadismus gibt es kein Gleichzeichen, und Kategorien lassen sich erst mit zusätzlichem Aufwand abgrenzen (was ist ‘sich selber’, und was ist ‘Teil von mehr’). Daraus zeugt sich der nächste Unterschied zwischen dem Monadismus und dem Mathematizismus: der Monadismus beschäftigt sich mit der Qualität der Dinge (dem inneren Wesen), der Mathematizismus mit der Quantität (den äusseren Grenzen und Form).
Mathematismus – Dynamismus


- Auch dieses Paar ist im bekannten Schema fast polar zueinander, und wurde von Lars um eine Stelle verschoben.
- Hier setzt Lars den gemeinsamen Punkt als die ‘der unmittelbaren Erfahrung unzugänglichen ‘anonymen Ursachen der gegebenen Wahrnehmungswelt‘. Damit ist wohl all das Ursächliche gemeint, dass ausserhalb des möglichen Erfahrungshorizontes des Menschen liegt. Mit anonym meint er wohl ‘unsichtbar’ (wortwörtlich bedeutet anonym ‘namenlos’). Die Unterscheidung der Grundstruktur der Welt lässt sich allerdings wohl wieder auf alle Weltanschauungen zueinander anwenden, ob nun auf die Wahrnehmungswelt bezogen oder nicht (die Unterscheidung ist hier meiner Meinung nach bezüglich ‘Wahrnehmung’ bei Psychismus-Phänomenalismus am deutlichsten, aber bei allen Polaritäten vorhanden).
- Ein kleines Detail fiel mir hier auf, nämlich das Wort ‘irrational’ in einem Abschnitt des Dynamismus (S. 22), aus dem wohl etwas gelernt werden kann (auch wenn es nicht eine Aussage jenes Abschnittes ist), mit dem ich selber haderte. Beim bekannten Kreissystem stehen sich Dynamismus und Rationalismus gegenüber, und da der Dynamismus foglich eine Umstülpung des Rationalismus ist, ist das Wort ‘Irrationalismus’ für den Dynamismus naheliegend. Allerdings ist es irreführend, denn eine Umstülpung lässt sich nicht in den Begriffen ihrer Polarität definieren, sie braucht ihre eigenen Begriffe. Dies habe ich weiter oben schon berührt, im zweiten Abschnitt zu Realismus-Phänomenalismus (‘Polaritäten: sie unterscheiden sich nicht in einer Ja-Nein-Frage, sondern sie sind in jedem Sinne Umstülpungen voneinander’). Die Begriffe einer Weltanschauung sind wie Werkzeuge für diese. Nehmen wir als Vergleich zwei Werkstätten: in der einen wird mit Metall gearbeitet. Dort wird Metall geschweisst, geschmolzen, gebogen, geschnitten, gekühlt, an der Oberfläche geschliffen, emailliert usw. In einer anderen Stätte werden Gegenstände gefärbt; dort hat es unzählige Farbkübel, Sprühgeräte, Filtersysteme, allerlei chemische Mischsysteme usw. Was will man nun mit einer Eisenstange in der Malerei? Und was will man mit einem Farbkübel in der Schlosserei? Die jeweils vorhandenen Werkzeuge und Maschinen passen nicht zum Gegenstand – sie sind für diesen mehrheitlich nutzlos. Und so ist ‘rational’ und ‘irrational’ nicht auf den Dynamismus anwendbar, wie ‘dynamisch’ und ‘statisch’ nicht auf den Rationalismus anwendbar sind. Die Umstülpung geht immer über die Begriffe ihrer Polarität hinaus.
Sensualismus – Idealismus


- Hier setzt Lars den Unterschied darin, wie die beiden Weltanschauungen das ‘Wesen der wahrnehmbaren Gegenstände‘ beschreiben. Dies unterscheidet sich kaum von der behaupteten Hauptfrage bei Rationalismus-Dynamismus soeben, nur dass es nicht mehr die Welt sondern Gegenstände betrifft, und nicht mehr Prinzipien sondern das Wesen. Warum das eine zum einen Paar, und das andere zum anderen gehört, ist mir schleierhaft. Die Begriffe sind austauschbar, besonders wenn andere Gattungen des Weltanschauungsprinzips hinzugenommen werden.
- Dem Sensualismus schreibt er ‘passiv empfangene, subjektiv erlebte Empfindungsqualitäten’ zu, dem Idealismus die ‘materielle Konkretisierung einer objektiven, schöpferisch-aktiven Idee‘. Dies ist eine weitere Einengung der Weltanschauungen. Der Idealismus kann genauso subjektiv sein wie der Sensualismus objektiv sein kann (das Wärmere ist immer wärmer als das Kältere, und dergleichen).
- Hier ist auch wieder nicht ersichtlich, wie die Differenz eine generelle Polarität bewirkt.
Psychismus – Pneumatismus


- Bei diesen beiden wird zur Polarität gemacht, was im bekannten Schema Nachbarschaft ist. Der Unterschied wird in der Frage nach der ‘einheitlichen Grundsubstanz der Welt’ gesetzt (ähnlich wie Larsens weiter oben zusammengefasste Materialismus-Monadismus-Polarität). Der Psychismus macht diese demnach beim subjektiven Geist fest, der Pneumatismus beim objektiven. Die gleichen Probleme wie bei Sensualismus-Idealismus. Die Unterschiede der jeweiligen Fragen sind an diesem Punkt Wortspielereien, d.h. ein austauschbares Nomen wird als ‘Seinsqualität’ in die Mitte gestellt, und dann wird eine darauf anwendbare Grössendimension bestimmt: Grundsubstanz – Welt; Wesen – Gegenstände; anonyme Ursache – gegebene Wahrnehmungswelt; Einzelsubstanzen – Weltgefüge; usw.
Rationalismus – Spiritualismus


- Die gemeinsame Frage wird hier in der ‘objektiven Fundierung und Verankerung des menschlichen Ich in der Welt und damit dessen realer Existenzform‘ gesucht. Es geht also um das Ich, und wie es gefestigt alleine stehen kann. Im Rationalismus sei es allein an das Denken gebunden, im Spiritualismus sei es Geist unter Geistern.
Schluss
Welche Negative können wir für Weltanschauungen generell aus Obigem lernen?
- Erstens wohl, dass ein Satz, der für nur eine einzelne Weltanschauung gemacht wird, nur dann von Wert ist, wenn er nicht auch für verschiedenste andere Weltanschauungen gilt.
- Dann, dass die dutzend Weltanschauungen nicht von den anderen drei Gattungen des Weltanschauungsprinzips (DAM, DST, DVS) abgekoppelt werden sollten, weil erst durch die Kombinierbarkeit der Gattungen die Eigenschaften der dutzend Weltanschauungen aufblühen.
- Dass das bekannte Kreissystem nicht nur durch die Polaritäten, sondern auch durch die Abstufungen der Nachbarschaften vieles aufschliessen kann.
- Das Verständnis der Begriffe bestimmt das Verständnis der Inhalte.
Aus welchen Positiven können wir durch Obiges für die Weltanschauungen dazulernen?
- Weltanschauungen müssen nicht nur nach Polaritäten gepaart werden.
- Die dutzend Weltanschauungen können in vielen Arten gruppiert werden.
Ganz zu Beginn versprach ich, dass das Buch zum Lernen verwendet werden soll; das Versprechen breche ich nun, denn ich finde es an dieser Stelle angebracht, eine Kritik zu machen. Denn ich frage ich mich, woran Lars seine Kategorien festmacht. Es sind wohl gültig machbare und interessante Gedanken, aber sie sind so leicht auf verschiedenste Paare anzuwenden, dass mir eine Kategorisierung danach fast anmassend vorkommt, denn die Auswahl der Weltanschauungen die zueinander als Polaritäten gesetzt werden, scheint mutwillig. Warum gilt bei der Rationalismus-Spiritualismusfrage nicht stattdessen Psychismus-Pneumatismus? Oder warum nicht Mathematizismus-Monadismus, die zueinander im gewohnten Schema tatsächlich eine umfassende Umstülpung sind? Polaritäten scheinen nach dem Quadrantenschema definiert zu werden (das durch die Gattung “drei Seelentöne” jedoch keine Berechtigung hat), deren Anordnung innerhalb eines jeweiligen Quadranten, speziell an der Grenzen zu anderen Quadranten, nicht schlüssig erläutert wird. Damit möchte ich anmerken, dass die bei jeder Weltanschauung vorhandene, unermessliche Fülle, durch jene als bestimmend dargestellten Fragen wie auch das Quadrantensystem an allen Seiten abgehackt wird, bis nur noch eine Scheibe übrig ist. Dies wird dem Reichtum der Weltanschauungen in meinen Augen nicht gerecht, erst recht nicht den Kombinationen mit anderen Gattungen. Vielleicht irre ich auch, und die Kategorien widerspiegeln etwas Wahres, das ich nicht sehen kann (was gerade bei den Weltanschauungen durch die Natur der Polaritäten keine Seltenheit ist).
Trotzdem verpflichtet es zum Dank, dass dieses Buch existiert und erhältlich ist, denn auch wenn es für mich weniger über die Weltanschauungen in der Welt lehrt, so lehrt es doch unermesslich viel über die Menschen, die bewusst die Weltanschauungen studieren (also die Weltanschauungen im Menschen). Es gibt noch viele Inhalte an diesem Buch die angeschaut werden sollten, wobei aber versucht werden sollte, das Urteilen darüber bewusst zurückzuhalten.
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