Die Teile der Kritiken-Serie:
- Kritiken-Serie 1: Moderne Naturwissenschaft
- Kritiken-Serie 2: Moderne Politik
- Kritiken-Serie 3: Philosophie der Gegenwart
- Kritiken-Serie 4: Medien
- Kritiken-Serie 5: Akademia
‘Medien’ sind, seit ich mich erinnern kann, argumentationslos als die ‘vierte Macht im Staat’ bekannt. Der Begriff ‘Medialisierung‘ beschreibt, wie sich die Dynamik kollektiver Kommunikation nach Zeithorizonten, Selektionsregeln und Rollenvorgaben von Medien richtet. All dies vergrössert den Einfluss jener vierten Macht. Entzeitlichung, Enträumlichung und Vervielfältigung sind Phänomene, welche durch die vorhandenen exponentiellen, technologischen Fortschritte den Medien immer mehr Möglichkeiten schaffen.
Wirklichkeitsschaffende Medien
Jene Phänomene bewirken, dass die Medialisierung und die Wettbewerbspolitisierung der Wahrnehmung und den Handlungsspielräumen der Menschen immer mehr Grenzen setzt. Es ist immer schwieriger, unabhängig von den Begriffen und Bildern der Medien Erfahrungen zu machen, zu denken und zu handeln, speziell wenn es um Fragen geht, welche die gesamte Gesellschaft betreffen. Und es wird nicht nur zunehmend allein als wirklich verstanden, was durch Medien vorgetragen wird, Wirkliches wird durch die Formate der Medien diesen entsprechend geschaffen. Es finden sich Ereignisse, die allein durch das Vorhandensein von Kameras, Aufnahmegeräten und Reportern stattfinden.
Ein jeder Mensch hat Vorurteile, und der Einfluss der Vorurteile wird stets unterschätzt, besonders wenn es um die eigenen Vorurteile geht. Dass Reporter und Journalisten Vorurteile haben, wird niemanden überraschen, auch nicht Reporter und Journalisten. Wie schwierig es jedoch ist, Vorurteile in der Berichterstattung wegzulassen, selbst mit grösstem, bewusstem Bemühen, wird hingegen gewaltig unterschätzt, wenn die Objektivität von Medien zur Diskussion steht. Jede Berichterstattung bewirkt eine tiefe Beeinflussung eines jeden öffentlichen, demokratischen Prozesses. Für die Fairness einer Demokratie sind Medien ein grosses Problem, da Medien relativ zum individuellen Bürger eine ‘asymmetrische Informationsgewalt’ haben (hinter medialer Berichte stehen Gedankengänge, von denen die Leser kaum wissen können). Nun kann man dies abwägen gegen ihren Nutzen, da sie behaupten, die Bevölkerung zu informieren. Wenn das Informieren jedoch bedeutet, dass ein mehrheitlich zentralisierter Medienapparatus durch seine Omnipräsenz (und dadurch Lautstärke) jede Informationsvielfalt erstickt, so ist es nicht einfach, dieses Argument zu machen. Die Alternative müsste sein, dass die Bürger eines Landes ohne Medien völlig uninformiert wären. Dies ist schwer zu akzeptieren, und so scheint die Behauptung, dass die (eigentlich einsilbigen, monopolistischen) Medien zur Informiertheit beitragen, der Vorschlag eines faulen Kompromisses zu sein, der gar nicht gemacht werden müsste.
Faktenprüfer
In den letzten zwei Jahren, seit dem Beginn der Koronakrise, haben sich, neben all den zersetzenden medialen Wirkungen für die Informationsökologie unter den Menschen, zwei weitere Problematiken den Medien hinzugefügt. Es ist dies erstens die Behauptung von Wissenschaftlichkeit. Hiermit will nicht argumentiert werden, dass die Behauptungen der Medien an sich falsch seien, oder dass sie unwissenschaftliche Studien zitierten, sondern, dass die inneren Prozesse der Medien nichts mit Wissenschaftlichkeit zu tun haben. Medien arbeiten mit Aktualitäten, erzählbaren Ereignissen, Persönlichkeiten und dergleichen. Nichts an den Medien ist darauf ausgelegt, wissenschaftlich zu sein (auch nicht die Wissenschaftssektion im Morgenblatt). Und das Zweite ist die sich selber zugeschriebene Funktion des Faktenüberprüfers. Auch hier findet sich nichts an den Medien der Gegenwart, das eine solche Funktion rechtfertigen könnte. Es gab vor einigen Jahrzehnten den investigativen Journalismus, wo ein einzelner Journalist oder eine kleinere Gruppe an Journalisten auf eine längere, abenteuerartige Reise zur Aufklärung eines einelnen Themas gingen, und eine bestimmte Kultur, Menschen, Umgebung usw. für Wochen oder gar Monate auf sich wirken liessen, und dazu dann eine mehrteilige Artikelserie veröffentlichten. Daraus liess sich eine Realität schliessen, und solche Journalisten hatten eine gewisse Reputation aufrechtzuerhalten, und es war durchaus möglich, dass viel investierte Zeit ergebnislos blieb, und dann wurde halt das ‘Versagen’ zu einer häufig ebenso spannenden Geschichte.
Solcher Journalismus ist tot, aber selbst wenn er nicht tot wäre, könnte dessen Methode niemals mit den Aktualitäten mithalten. Er findet sich in abgewandelter Form bei manchen Autoren von Büchern, aber die Kosten für solche ausgiebigen Recherchen kann oder will heute meines Wissens keine einzige der grossen Zeitungen mehr aufbringen, da die Kunden kaum noch dazu bereit sind für Informationen zu bezahlen. Medienkonzerne haben in einem regelmässigen Abstand eine bestimmte Menge an Artikeln zu veröffentlichen, ansonsten gehen die Konsumenten zur Konkurrenz. Worüber sie berichten können unterliegt einer Anzahl an Einschränkungen, eine ist z.B., dass das Aktuellste geboten werden muss, weil die anderen Medienfirmen ansonsten mehr Aktualität und dadurch in den Augen der Konsumenten einen berechtigten, massiven Wettbewerbsvorteil haben. Aktuelle Informationen unterliegen jedoch einer sich immer ändernden Beweglichkeit, es gibt hier keine festgelegten Fakten, alle Information kann sich schlagartig ändern. Es ist dies ein grundlegendster Widerspruch der Mainstreammedien der Gegenwart, dass sie bestimmte Fakten für sich zu beanspruchen versuchen, während sie in der Schnellebigkeit von Aktualitäten mit all den anderen mithalten müssen, und mittlerweile offen diffaminieren, wer zu jenen von ihnen beanspruchten Fakten anderes behauptet. Noch einmal: damit ist nicht gesagt, dass solche Medien falsch liegen, damit ist gesagt, dass sie keinen Mechanismus haben, um solche Ansprüche an ihre Informationen zu machen. Das einzige was sie können ist, ihre Quellen offenzulegen, auf Falschinterpretationen ihrer Artikel und Kolumnen zu reagieren, und Falschheiten in den Artikeln zurückzuziehen oder zu korrigieren. Alles darüber hinaus ist ein Würfelspiel auf Seiten jener Medien, da sie Informationen nicht in der Art beurteilen können, wie sie dies in der Gegenwart behaupten zu tun.
Ich wäre der erste, der Freudensprünge machen würde, wenn sich eine Methode fände, in einem Schnellprozess Wissenschaftlichkeit und Faktenlagen derart präzise zu definieren, dass sich davon Abweichendes sogleich klassifizieren lässt. Vielleicht kommt man dadurch darauf, wie absurd ein solches Unterfangen ist, wenn man daran denkt, wie sich unzählige der besten Köpfe selbige seit Jahrhunderten, ja Jahrtausenden allein darüber zerbrechen, wie man eigentlich zu einer Gewissheit kommen kann, wie man sie überhaupt, oder ob man sie überhaupt in Worte fassen kann usw. Diese Fragen sind nicht nur nicht abgeschlossen, die Philosophie scheint langsam erst den Umfang der Fragen zu begreifen, geschweige denn Antworten darauf zu haben. Medien scheinen jedoch so sehr wissen zu können, was Fakt ist, dass sie sich nicht nur zutrauen, zurecht dazu widersprüchliche Meinungen zu zensieren, sondern dass sie auf die Kenntnis um die Wahrheit hinauf auch noch wissen, wie sie jene der Verständlichkeit wegen vereinfacht kommunizieren muss, ohne Einbussen in den Nuancen zu äusserst komplexen Umständen zu machen. Die Verkehrtheiten die entstehen, wenn all diese Dinge zusammen kommen ist wirklich schwer in Worte zu fassen. Es ist wohl normal das Gefühl zu haben, sich ob all der nicht begreifbaren Widersinnigkeiten mit einem kleinen Kind zu unterhalten, wenn man sich mit Medien oder Politik beschäftigt. Die Selbstverständlichkeit und Überzeugtheit jenes Handelns versetzt mich viel zu oft in sprachloses Erstaunen, und ich nehme an, dass es den meisten Menschen wohl ähnlich ergeht.
Vom Fernsehen sei hier noch nicht einmal gesprochen, aber man sei sich sicher, dass dort die Probleme durch Vereinfachungen, Auslassungen und Übertreibungen, die unheilige Trinität medialen Optimismus’, noch einmal um eine Grössenordnung ausgeprägter sind.
Ursache des ‘Faktenprüfens’
Alternative Medien (Blogs, kleine Webseiten, Podcasts usw) haben durch ihre Flexibilität mit den Technologien des Internet sehr viele Fortschritte darin gemacht, wie sie ihre Leser erreichen. Fortschritte in journalistischen Fähigkeiten sind allerdings weiterhin vielfach ausgeblieben. Für sie besteht das Problem, dass sie oftmals nicht einmal die Überprüfungsmechanismen der Mainstreammedien haben. Alternative Medien können praktisch behaupten was sie wollen, es gibt keine nennswerten Konsequenzen. Selbst wenn sie gröbsten Unsinn verbreiten, werden sich noch Unterstützer finden, die offen behaupten: “Der sagt noch, wie es ist!” “Der lässt sich nicht von den Zensurbehörden beeindrucken!” “Der hat keine Angst vor der Wahrheit!” usw.
Alternativen Medien hängt etwas Proletenhaftes an. Sie sind wie der Typ, der an der Strassenecke auf eine kleine Kiste steht, und von dort aus irgendwelche Dinge rausruft, während die Leute an ihm vorbeilaufen. Er kann erzählen was er will, es werden sich Menschen finden, die anhalten um ihm zuzuhören, selbst wenn es nur aus einer Faszination über die Verrücktheit ist. Dies muss nicht heissen, dass kein solcher irgendwas Sinnvolles von sich geben kann, aber meistens ist es Nonsens. Dass sich über Facebook, Telegram usw nun Plattformen finden, auf denen beliebige Dinge behauptet werden können, ist gleichsam ein Problem für die Demokratie. Wenn für positive Reaktionen (‘Likes’) berichtet wird, und das Berichten eine unbegrenzte Anzahl Menschen erreichen kann, muss man zusehen, dass die Informationsökologie nicht in all ihren Kategorien aus den Rudern läuft.
Die Mainstreammedien haben dagegen eine Lösung gefunden. Da die Lösung einem wettbewerbspolitischen Denken entspringt, ist es selbstverständlich mehr Aggressivität. Auf den grossen sozialen Medien wie Twitter, Instagram oder Facebook wird nun offen zensiert oder zumindest korrigiert. Die eigenen Berichte (von Reuters, AP und dergleichen) hingegen versuchen zu definieren was ‘akzeptable Information’ ist – und dadurch indirekt auch was inakzeptabel ist. In anderen Worten ist die Lösung lediglich eine Eskalation der bestehenden Probleme. Denn die Konsumenten, so träge ihre Wahrnehmung auch sein mag, bemerken es irgendwann doch, wenn nur noch eine Seite dargestellt wird, und sie beginnen, die Mainstreammedien zu hinterfragen. Gerade dies führt dazu, dass alternative Medien, die gerne das naheliegendste Verschwörerische behaupten, eine Zuwanderung erfahren. Die Ursache des Ganzen: man war sich zu schade, sich ordentliche Gedanken zum Problem zu machen. In anderen Worten machte man den Kardinalfehler aller Inkompetenz: man beschleunigte bevor man überlegte. Man tut das immer noch, und es ist keinerlei Wandel in jener Dynamik in Sicht.
Lösungsansätze
Mögliche Auswege aus diesem Kollisionskurs finden sich in meinen Augen bei Daniel Schmachtenberger. Es finden sich sehr interessante Vorträge von ihm auf Youtube, und einen davon bin ich am übersetzen, wie so oft kamen diesem Vorhaben vorerst jedoch andere, als wichtiger empfundene Projekte in den Weg. Es sollte sich jedoch massenhaft Auswege geben, wenn man solche nur einmal sucht. Vielleicht liegt das Problem viel ursprünglicher, nämlich beim einfachen Verstehen desselben – ich weiss es nicht. Ich sehe keinen Sinn darin, mir Gedanken zu Dingen zu machen, die von Menschen besetzt sind, die ihr Verhalten nicht reflektieren. Solchen Menschen kann man niemals helfen, ausser sie kommen einem von sich aus entgegen, fragen aktiv um Hilfe und ermöglichen Dialog – und damit das gemeinsame Formulieren von Lösungen.