Die Teile der Kritiken-Serie:
- Kritiken-Serie 1: Moderne Naturwissenschaft
- Kritiken-Serie 2: Moderne Politik
- Kritiken-Serie 3: Philosophie der Gegenwart
- Kritiken-Serie 4: Medien
- Kritiken-Serie 5: Akademia
Diese Kritik richtet sich an die moderne westliche (Schein-)Politik, an die von Wettbewerbsdenken unterwanderte Polis westlicher Gesellschaften. Dies wird im Folgenden ‘Wettbewerbspolitik’ genannt, die mit Politik dem Begriffe nach wenig zu tun hat. Die Kritik kommt aus solcher Gesellschaft. Bevor dieser Artikel gelesen wird, empfehle ich folgenden Artikel zum Begriff Politik, wie er im Zusammenhang mit Isonomie und dem Zufallslosverfahren im antiken Griechenland verstanden wurde:
In diesem Artikel soll angeschaut werden, wie sich ein Bild formen lässt, das, wenn möglich, die Gründe des Problems aufzeigen kann.
Um zu verstehen, was Tendenzen des Wirklichen sind, scheint es mir stets am Einleuchtendsten, die Ausschläger, die Extreme, zu betrachten, ohne aber die Extreme als zentralen Kritikpunkt zu verwenden (dies wäre ein ‘Strohmannargument’). Phänomene, auch Verhaltensweisen, die in einer Gemeinschaft auf einmal neu auftreten, deuten darauf hin, dass auch generell etwas Neues geschieht. Häufig sind neue Verhaltensweisen durch neue Technologien zu beobachten, besonders wenn die Phänomene plötzlich auftreten. Auch sonst sind Extreme aufschlussreiche Grenzmarker, die einem Hinweise darauf geben können, wo zwischen den Grenzmarkern die grosse Mehrheit vorhanden ist. Zweiteres soll für den folgenden Gedanken verwendet werden.
Die falsche Auswahl aus der wettbewerbspolitischen Linken und Rechten
Die Extreme des Wettbewerbspolitischen werden gerne als links und rechts bezeichnet. Hier ist die Gefahr, in einen vereinfachenden Dualismus zu verfallen, doch es geht eher darum, wie Wettbewerbspolitik oder die wettbewerbspolitischen Möglichkeiten von den Menschen gerne wahrgenommen werden. So gibt es das Linksextreme und das Rechtsextreme im wettbewerbspolitischen Aktivismus, und für gewöhnlich, d.h. bei wettbewerbspolitisch Gemässigten, werden beide als ungefähr äquivalente (in Qualität und Ausmass vergleichbare) Gefahren für den Frieden unter den Menschen gesehen. Diese beiden Extreme kann man etwas aussagekräftiger als ‘Progressivismus’ und ‘Konservativismus’ bezeichnen. Progressivismus möchte möglichst schnell, möglichst viele Veränderungen für mehr Gerechtigkeit, Gleichheit usw, während der Konservativismus das Alte beibehalten möchte, oder gar im Sinn hat, längst Vergangenes wiederzubeleben. Dies sind in etwa die groben Grenzmarker des gegenwärtigen wettbewerbspolitischen Denkens. Interessant ist, dass die Form der beiden im absoluten Extrem sehr ähnlich ist:
- Beide sind als Extreme autoritär, d.h. sie versuchen (auch durch Gewalt) ihre Ideen zu erzwingen, und das führt zu allen militärischen, menschenverachtenden Katastrophen, welche in der näheren Vergangenheit zu beobachten waren.
- Beide versuchen mit der Menschenmasse das Erreichen ihrer Ziele zu beschleuningen, wozu alle Konsequenzen, die damit einher gehen, gehören, wie Massenmedien, kollektivistischer Aktionismus und Gleichschaltung.
- Beide vereinigen Wirtschafts- Geistes- und Rechtsleben zu einer einzigen Einheit, dem Staat, wodurch alles zu Wettbewerbspolitik wird.
Im Folgenden geht es nicht darum, was tatsächlich Links- und Rechtsextremismus ausmacht, sondern wie die Worte im Volksmund ge- oder missbraucht werden. Die Feindbilder der jeweiligen Extreme bewirken, dass die zum Linken Tendierenden, gewöhnlich Denkenden, das Extrem des rechten Lagers vereinfachend und polarisierend faschistisch oder nazistisch nennen, und schreiben diesem dadurch obige Attribute zu, die zum Rechten Tendierenden hingegen nennen das Extreme des linken Lagers ebenso vereinfachend kommunistisch (und manchmal daraus heraus als faschistisch, sich auf den Nationalsozialismus beziehend), und schreiben jenem dadurch ähnliche abwertende Attribute zu. Linke sehen eher den Faschismus, rechte sehen eher den Kommunismus als die Gefahr. Mangels generellen Wissens darum, was einen Strohmann ausmacht, wird vor allem von den Linken definiert, was heute als faschistisch gilt, und es wird von den rechten definiert, was als kommunistisch gilt. Wer sich selber heute noch als Kommunist oder Faschist bezeichnet, spielt in Feindbilder hinein. In der Rhetorik scheinen sie sich zutiefst zu widersprechen, in der Handlung aber zeigt sich im Extrem vergleichbare Gewaltbereitschaft, Aktivismus und Suggestibilität für wettbewerbspolitische Polemik. In der Extremform verschmelzen die beiden, und Unterscheidungen sind nur noch durch geschickt formulierte Propagandasprüche, wie vereinfachende Feindbilder, ausmachbar. Im jeweiligen Übel ist die Form der beiden damit ähnlich.
Weniger stark im Extrem unterscheiden sich links und rechts darin, wie sie das Wirtschaftsleben beurteilen. Linke geben eine Emphasis für die Güte, das heisst das Solidarische im Wirtschaften, aber unterschätzen die Wichtigkeit natürlicher Anreize, die durch staatliche Intervention unterdrückt oder verzerrt werden. Die politische Rechte hingegen meint, dass durch ein freies Wirtschaften Anreize zu zunehmendem Wohlstand führen, aus dem für alle ein Überschuss entsteht, wodurch Güte nicht durch den Staat erzwungen werden muss, sondern durch natürliche Vorgänge entsteht. Die Rechten unterschätzen hierbei jedoch die Dynamik zu zunehmender Ungleichheit, die entsteht, selbst wenn Anreize gut funktionieren. Weiter erkennen die Rechten nicht, dass der Überschuss in westlichen Gesellschaften durch Energie subventioniert wird, die (Folgendes ist keine Übertreibung) 21 millionen Mal schneller verbraucht wird, als sie entsteht (Rohöl und Erdgas brauchen sehr lange um zu entstehen), und mit dünner Marge über dem Preis der Extraktion verkauft wird; sowie durch in sogenannte ‘Zweitweltländer’ exportierte, moderne Sklaverei (was anderes sind 2$ pro Tag); aber das alles ist vielleicht etwas für einen anderen Artikel.
So viel zu den Extremen der Gegenwart. Zwischen diesen beiden ist also, so scheint es, die friedliebende, friedfertige Gesellschaft. In dieser Gesellschaft nimmt man an, das Übel sei vermieden, wenn man die beiden Extreme in einem Ausgleich hält. So schön das auch wäre, es ist, wenn man es näher betrachtet, falsch. Denn die Annahme, dass das Zwischending das Gute sei, beruht auf der womöglich unbewussten Suggestion, dass diese beiden Extreme die einzigen Möglichkeiten seien, und darin liegt ein grundlegender Fehler. Es ist nicht notwendigerweise falsch, dass dazwischen etwas Gutes liegt, aber die Annahme ist falsch, weil sie das Mögliche künstlich einschränkt. Das ist der grundlegende Denkfehler fast allen politischen Denkens der Gegenwart, denn die Welt ist sehr viel grösser, als zwei stumpfe, wutzerfressene Übel. Es gibt sehr viel mehr für das gesellschaftliche Miteinander, als die Wettbewerbspolitik. Zu denken, zwischen Progressivismus, Konservativismus oder einem Zwischending wählen zu müssen, bedeutet, einer ‘falschen Auswahl‘ verfallen zu sein.
Der Mensch in der Polis ist Bürger, nicht Volk
Man nehme an, es stehe jemand vor einem, und dieser jemand sagt, man könne dazwischen auswählen, eine Ohrfeige oder einen Faustschlag zu erhalten. Was wählt man? Ein Zwischending? Die Ohrfeige durch den Handrücken? Eine sanfte Kombination aus den beiden, auf längere Zeit verteilt, z.B. indem man abstimmen kann, wie oft und mit welcher Härte man geschlagen werden sollte? Nein, man sagt: nichts von beidem, und geht seiner Wege. Man muss sich nicht auf eine falsche Wahl einlassen. Und wenn sie einem aufgedrängt wird, so sollte man sich dagegen wehren, auf dass das Aufzwingen einer Möglichkeit der falschen Auswahl abgewehrt wird. Das Individuum braucht die Mittel, sich gegen die falsche Auswahl anderer wehren zu können, es braucht aber keine politischen Insititutionen, welche ihm eine falsche Auswahl anderer Menschen unterbreiten, oder welche ihm die Chance geben, anderen eine falsche Auswahl zu unterbreiten. Das unterscheidet den Bürger vom Volk. Das Volk ist nichts als eine Masse, die sich wie ein Schwarm bewegt. Der Bürger hingegen ist denkend, er verabscheut unterschwellig aufgedrängte Optionen.
Der Progressivismus ist in den Köpfen der meisten Progressiven nicht nur, Veränderungen zuzulassen, er ist, Veränderungen zu erwirken. Und das Erwirken hat leider so zu geschehen, dass man die andere Seite unterwirft. Auf der anderen Seite geht es den meisten Konservativen nicht darum, die Existenz des Alten, des Traditionellen gewähren zu lassen, man möchte es mit den möglichen Mitteln verstärken, man möchte erwirken, das Veraltete überall aufleben zu lassen.
Darin liegen die Denkfehler der modernen wettbewerbspolitischen Gesellschaft, erstens die Idee, dass es hilft, die eigenen Ideen der anderen Seite aufzuzwingen, zweitens, dass man stets das Bessere der beiden Übel wählen müsse, oder drittens, dass sonst eine ‘gesunde Mitte’ zwischen den beiden erwünschenswert sei. Die gesunde Mitte ist normalerweise erstrebenswert, aber in diesem Fall ist es die Mitte zwischen erfundenen, falschen Optionen. Hier gibt es nichts Gesundes dazwischen, nur den faulen Kompromiss.
Man braucht keinen Kollektivismus. Es braucht keine Massenmedien, es braucht keine monopolistische Staatsgewalt, der Mensch braucht solche Dinge nicht, um mit anderen Menschen zu leben. Gewalt ist nicht auf einmal geringer oder besser, wenn sie nur von einem Ort kommt, und die Geschichte liefert unzählige schreckliche Beweise dafür. Es ist die seltsamste Verkehrung alles Logischen, anzunehmen, man erreiche auf einmal Gutes, indem man einem Staat Gewalt gibt – Gewalt mehr und mehr zentralisiert. Es ist nicht nur unlogisch, es widerspricht den Lektionen, die man spätestens aus der Geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts gelernt haben sollte. Wenn man den falschen Vorstellungen der Menschen ein Ventil, ihren Willen anderen aufzubürden, ja gar institutionelle Mittel, gibt, diesen Etwas aufzwingen zu können, und dabei suggeriert, man habe Gutes, wobei das Gegenteil der Fall ist, verkehrt man das Denken der aktivistischen Menschen in eine Scheinwelt, die sich von den Willenskräften derselben unreflektierten Menschen antreiben lässt. Es gibt keine hinreichende Erklärung, warum dies gut sei. Menschen sind nicht besser, wenn sie im Staat als Staatsangestellte sind. Man hat mit mehr Staat nicht weniger Korruption und dergleichen Laster. Man hat dieselbe, ja mehr Moralität, wenn Menschen ausserhalb monopolistischer Gewalt, ausserhalb vom Staat, operieren. Wenn man die Schuld für eine Handlung nicht aufteilen kann in Ministerien und bürokratische Gewaltentrennung, sondern alles selber bürden muss, wird Moralität, oder die Absenz derselben, viel deutlicher sichtbar. Es sind ungeheure Absurditäten, wie die Annahmen für gewöhnlich zu den Gegenteilen dieser Aussagen tendieren.
Der unangemessene Wettbewerb
Man sollte am extremen Übel, wie weiter oben beschrieben, sehen, dass das Vorhandensein von einem gewaltigen Ausmass an Wettbewerbspolitik das gewaltigste Ausmass an schrecklichen Handlungen zu verantworten hat. Entsprechend sollte man schliessen können, dass ohne Wettbewerbspolitik das Ausmass an Untaten entsprechend geringer ist. Ohne den Rückhalt durch verschiedenste Institutionen ist jeder Extremismus nur der Wahn eines einzelnen. In der tatsächlich politischen Gesellschaft hätte sich ein Hitler die Hände vielleicht – zuhause isoliert, nicht von Generälen umgeben – wund gewaschen, und ein bitteres Ende gefunden, ohne unbeteiligte Menschen in seine Krise und seinen Wahn zu involvieren. Ein von Politischem umgebener Stalin hätte sich in seiner Paranoia vielleicht in einer psychiatrischen Klinik wiedergefunden, anstatt mit unvorstellbarer Grobheit, gestörter Selbstwahrnehmung und Starrköpfigkeit ganze Völker herumzudirigieren und in den Untergang zu schicken. Durch Institutionen und äusserst klug verwendeten Massenmedien konnten diese Leute jedoch grössere Massen erreichen, und ihr Wahn zum Wahn von Völkern werden lassen. Es ist bedenklich, dass die Theorie hinter den Medien nur noch genialer geworden ist (siehe Kritiken-Serie 4: Medien). Ich möchte dabei keineswegs Nazismus und Kommunismus gleichsetzen, es waren Gräuel sehr unterschiedlicher Art. Und in keiner Weise sind sie mit den Freiheiten der Gegenwart vergleichbar, wo das Leben weit weniger politisch ist.
Setzt man da an, an den Lektionen der Gräuel der Geschichte, und erzieht den Menschen zum Individuum, das nicht einfach nur lernt effizient Information zu konsumieren, sondern tatsächlich lernt zu denken, so hat man auch nicht mehr die rhetorische Rechtfertigung von Staatsgewalt als gültiges Argument. Man hat eine Gesellschaft, die keine Bemutterung mehr braucht, man hat eine Gesellschaft, die sich aus dem Infantilen hinaus entwickelt, und den Menschen an sich so achtet, wie er geachtet werden sollte. Das Entfernen aller Wettbewerbspolitik entspricht der einzigen angemessenen Achtung der Würde des individuellen Menschen.
Ich habe an anderer Stelle über den Libertarianismus geschrieben, und versuchte, einfühlsam zu jenen zu sein, welche sich einen durchsetzungsfähigen Staat wünschen. Und es mag überzeugend sein, so zu schreiben, aber es hat auch etwas Verlogenes. Denn die notwendigen Lehren der Geschichte ändern sich nicht an den Unsicherheiten, den Wünschen nach Willensäusserungen einzelner gegen andere. Die Realität richtet sich nicht nach den so neurotischen wie falschen Vorstellungen des Gegenwartsmenschen, die sie zum Guten und Rechten haben, und ihr positives Staatsargument, sofern sie denn eines haben, schmilzt vor einem Max Stirner oder Murray Rothbard chancenlos dahin. Man kann einfühlsam sein, ohne intellektuell vor ihnen einzubrechen, und daraus heraus alles im zwanzigsten Jahrhundert Geschehene aus einer falsch motivierten Rücksicht heraus zu relativieren. Ich werde solche Kompromisse in Artikeln vermutlich nicht mehr machen, weil ich diesen Stil letzten Endes eigentlich für manipulativ halte. Für die Libertären werde ich jedoch auch nie wieder argumentieren, da sie alle Aufmerksamkeit auf den Wettbewerb richten, ohne zu erwägen, dass gesellschaftliche Beschlüsse sachlich-kooperativ zu sein haben, und nicht wie ein Fussballspiel, mit Gewinnern und Verlierern, geschehen sollten.
Die Gegenwart ist von solchem Entfernen der Wettbewerbspolitik noch sehr weit entfernt, und das ist sehr schade, denn es ist für den Menschen der Gegenwart (meines Erachtens) durchaus möglich, sowohl ohne gesellschaftlichen Wettbewerb, wie auch gleichzeitig selbstverantwortlich, zu leben. Für jene (hoffentlich) wenigen, die aus dem Infantilen (Kindlichen) selbst als Erwachsene nicht heraus kommen, kann man in einer politischen Gesellschaft noch immer Hilfe anbieten. In der guten Polis wird nicht gespendet oder geschenkt sondern geteilt, denn ein Geschenk impliziert eine Schuld. Das Teilen hingegen ist eine Abgabe von der nicht nur gegeben sondern auch selber genommen wird, die nicht so einfach quantifiziert werden kann (“Ich habe durch mein philanthropisches Engagemen so und so viel gespendet!” ist im Endeffekt eine Art Selbstdarstellung und hat etwas Abstossendes an sich). Der Wille der Menschen, im Angesicht von Leiden zu helfen, ist nicht auf einmal weg, wenn kein nötigender Staat mehr Hilfsmittel von der Legislative bis zum ‘Patienten’ auf jeder bürokratischen Ebene verschachern kann. Im Gegenteil wird die Dringlichkeit eher wahrnehmbar, wenn man nicht von einer von vielen Institutionen weiss, die sich um die Hilfe kümmern sollte, und es stattdessen an einem selber liegt.
Für das Formen einer auf Sachlichkeit und Konkordanz basierenden Polis sollte man sich dazu nicht mehr die Strukturen des römischen Staates zum Vorbild nehmen, weil dieser bis in die letzte Faser von ‘sozialem’ Wettbewerb durchtränkt war, sondern viel besser jene der altgriechischen Vielfältigkeit, in der, abgesehen von Athen, z.B. keine Angriffskriege stattfanden. Womöglich gab es seit den antiken Griechen keine Gesellschaft, die jemals eine so hohe Politisierungsrate (vermutlich über 80% der ‘Vollbürger’ waren politisch – im wahren Sinne des Wortes – aktiv) erreichte. Dies war allein von der Bildung und Erziehung abhängig, die im Zentrum der gesamten Polis stand.
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