Der folgende Artikel ist etwas priesterlicher ausgefallen, als mir lieb ist. Gleichzeitig ist der Inhalt darin kaum kompatibel mit kirchlicher Doktrin. Ich schreibe ihn nach dem Verschlingen eines Buches von Thorwald Dethlefsen (“Krankheit als Weg”, ohne aber dieses hier auch nur annähernd zu repräsentieren), und verbinde es mit dem, das bei mir hängen blieb und was von mir dazugedichtet wurde. Inwiefern das mit den Weltanschauungen zu tun hat, sei durch andere zu bewerten. Ich setze den Artikel unter die Weltanschauung Dynamismus.
Begriffe: Busse, Schuld, Sühne
Zu Beginn gleich etwas zu den drei Begriffen Busse (schweizer Schreibweise von “Buße”), Schuld und Sühne.
Busse (im Sinne von ‘Busse tun’) ist die Wiedergutmachung der Taten eines jeweiligen sündenden Menschen.
Schuld ist die noch ausstehende Wiedergutmachung, die vor Busse oder Sühne vorhanden ist.
Sühne ist eine Wiedergutmachung geistiger Schuld, die durch das Sünden verursacht wurde – zumeist mit geistigen Mitteln (wie einer religiösen Prozedur). Was nicht als Sünde erkannt wird, selbst wenn es einem anderen Menschen objektiv Unrecht tut, kann vom gleichen nicht gesühnt werden. Das heisst, der Sünder muss seine Untat einsehen, um Sühne leisten zu können (ansonsten tut er Busse – die keine Einsicht bedingt). Die Sühne bringt einen Ausgleich vom sündhaften Menschen zu Gott und der Welt. Eine geistige Schuld kann durchaus auch materielle Sünden zur Ursache haben.
Das unrechtmässige Urteil zum ursprünglichen Gedanken
Wie wir über Dinge nachdenken bestimmt in definierender Weise sämtliche Schlüsse zu denen wir kommen. Verhält sich die Welt in einem bestimmten Aspekt (z.B. einem Aspekt wie ‘Krankheit’) in einer Weise, die unserem Denken widerspricht, können wir über diesen Aspekt kaum wahre Schlüsse gewinnen: dieser Teil der Welt bleibt uns verborgen, da unser angewohntes Denken wie eine Hürde zwischen der Welt und dem wahren Schluss (der “Wahrheit”) steht. Deswegen ist es wichtig, Denkfehler zu vermeiden.
Wenn wir sagen, “Krankheit ist Busse”, so werden damit viele Dinge gleichzeitig angedeutet, ohne dass sie direkt ausgesprochen werden (sie werden ‘impliziert’). So wird durchaus offen gesagt, dass der Kranke für sein Leiden verantwortlich ist, dass er also die Verantwortung trägt. Im Folgenden wird gezeigt, dass das bereits nicht ganz richtig ist. Was weiter dahinter versteckt angedeutet wird, ist z.B., dass der Kranke sich selber helfen müsse, dass der Kranke sein Leid durchleiden solle, dass er es verdient habe zu leiden, usw.
Da stehen also allerlei hartherzige Implikationen hinter dem Satz, die beschuldigend mit dem Finger auf den Kranken zeigen, die, überspitzt gesagt, das Opfer zum Täter machen, und ihn durch solchen Fingerzeig seines Leidens rügen. Das bringt natürlich nichts, denn damit ist niemandem geholfen. So ist das aus den Implikationen herauskommende Aburteilen weder gerecht noch nützlich.
An dieser Stelle muss aber darüber nachgedacht werden, was wir hier mit unseren Gedanken tun (wir üben damit ‘Reflexion’). Denn das unangemessene Rügen, das ungerechte (Ab-)Urteilen, folgt eben nicht direkt aus dem Satz “Krankheit ist Busse” – es folgt stattdessen indirekt daraus. Was wir dem ursprünglichen Satz mit solchen unangemessen harten Worten entnehmen, ist also nicht logische Konsequenz, sondern entspringt einem Gefühl, das durch den Satz entsteht. Das somit Unangemessene zum Gedanken ist nicht eine logische Konsequenz oder eine logische Folge, sondern die ’emotionale Reaktion’ (genauer ’emotionales Urteil’ das zu einer Aktion führt, selbst wenn es nur ein Nasenrümpfen ist). Zwischen dem ursprünglichen Satz und der emotionalen Reaktion ist damit ein Gefühl vorhanden; das Gefühl steht zwischen den beiden. Es ist mit der emotionalen Reaktion etwas Neues vorhanden, das dazugegeben wird.
Es ist uns
- durchaus erlaubt, aus einem Gedanken ein Gefühl zu bilden, und es ist uns
- weiter auch erlaubt, aus jenem Gefühl einen neuen Gedanken zu bilden, und
- ist es uns erlaubt, dann über diesen neuen Gedanken zu urteilen (siehe Schema unten).
Aber es ist uns im Verfolgen von Erkenntnis nicht erlaubt, das Urteil zum neuen Gedanken auf den ursprünglichen Gedanken anzuwenden. Diese Dinge können sehr subtil sein, aber sie geschehen sehr häufig, und die Fehlschlüsse daraus sind äusserst zahlreich.

Das Gefühl muss hier vom Gedanken getrennt werden. Damit wird hier behauptet, dass das Gefühl an dieser Stelle kein Recht hat, auf den Schluss zum ursprünglichen Gedanken einen Einfluss zu nehmen.
Die Implikationen sind also kaum dazu fähig, ein gerechtes Urteil über den ursprünglichen Satz zu formen, weil die Implikationen eher für sich stehen, als dass sie an den Gedanken gebunden sind. Und weil die Implikationen für sich stehen, oder dann gemeinsam neben dem ursprünglichen Satz stehen, gehören die, bei manchen Menschen als Scheinfolge aufkochenden, Gefühle weit mehr zu den Implikationen, als zum ursprünglichen Satz. So können wir von den härteren der oben gezeigten Implikationen sagen, dass sie wohl verwerflich sind. Dasselbe können wir vom ursprünglichen Satz nicht sagen, weil der ursprüngliche Satz “Krankheit ist Busse” für sich Verantwortung trägt (gleich wie es der Kranke tut) und darin nichts Verwerfliches (wie z.B. unangemessene Härte) ist, nicht aber für die Implikationen, die emotional oder sonstwie assoziativ aus ihm zu folgen scheinen.
Der Grund, warum der ursprüngliche Gedanke nicht Verantwortung für mögliche Implikationen tragen darf, ist der, dass den Möglichkeiten an Implikationen keine Grenzen gesetzt sind. Ein Mensch kann die wildesten Dinge impliziert sehen – nicht weil sie tatsächlich impliziert würden, sondern weil sein angewöhntes Denken ihn wie ein Programm in eine bestimmte Richtung weist, und er vielleicht nicht anders kann, als die eigenen Ideen dem Gedanken zuzuschreiben (Eisegese).
Wir können einen Gedanken nun nicht für die Spinnereien oder Eitelkeiten eines jeden Menschen verantwortlich machen, und so lassen wir am besten gleich alle Implikationen weg, und verantworten ihm nur dasjenige, das wirklich direkt von ihm gesagt wird. Dadurch gewinnen wir auch eine positivistischere Repräsentation (“Stahlmann vor Strohmann“).
Kurz: Was auch immer an hartherzigen Implikationen vorhanden sein mag, es darf von diesen Implikationen für den Satz “Krankheit ist Busse” keine einzige Gültigkeit haben, weil es verzerrt, was der Satz eigentlich sagt. Und weiter ist aus Obigem auch eine für positivistisches Denken und Dialogisieren generell nützliche Regel entstanden.
Schuld
Nun können wir auch sagen: “Krankheit ist Schuld”. Können wir das rechtmässig sagen? Wir können es rechtmässig sagen, aber hier ist die verwerfliche Folge etwas weniger Implikation, sondern mehr noch Bestandteil des Satzes. Eigentlich sind sich die beiden Sätze sehr ähnlich. Die Schuld ist die noch ausstehende Wiedergutmachung, und dafür gebrauchen wir ein anderes Bild für Krankheit. Vielleicht passt es besser, wenn an dieser Stelle gesagt wird: “Krankheit ist Schuldbegleichung”.
Es braucht hier mehr Positivismus um den Gedanken vom Gefühl zu trennen. Es braucht einen genug starken Positivismus (damit ist nicht der ‘Beweisführungspositivismus’ gemeint), dass dieser uns sogleich zu christlicher Vergebung führen wird – das heisst: einer Vergebung die zugleich heilen will. Dem Kranken soll in Positivismus dem Begriffe nach1 weit mehr als verziehen werden, ihm soll eine Hilfe dargeboten werden, die ihn in einer Weise erhöht – dass nicht nur das Kranke am Kranken verschwindet, sondern dass der Kranke an und in sich gesundet, und im Geiste so geheilt wird, dass das Krankhafte keinen Halt mehr hat um zu wachsen, oder symptomatisch sonstwie, in anderer Form aufzutreten. Christliche Heilung bedeutet Heilung des ganzen Menschen, Heilung tiefster Ursachen. Der Geist des ehemals Kranken wird durch die christliche Heilung so ausgerichtet, dass er Kraft und Gesundheit auf einmal von sich aus an sich zieht. Der so Gesunde braucht das Kranke nicht zu bekämpfen. Der Kampf ist nur für den Kranken, der etwas zu überwinden hat. Der Kranke kämpft in der Krankheit mit sich selbst. Da manches Kämpfen ein Todesurteil ist, wenn es allein bestritten werden muss, ist das Angebot des Helfens in solchen Fällen nicht nur angemessen, es ist eine Pflicht, sofern der Kranke seine Krankheit gegen andere nicht ausnutzt.
Sühne
Und letztens können wir sagen: “Krankheit ist Sühne”. Können wir auch das rechtmässig sagen? Wir können es wohl rechtmässig sagen, aber es trifft nur auf den theistisch oder sonstwie zum Geistigen ausgestimmten Menschen zu, da wohl nur er die Krankheit als einen möglichen ‘Akt des Ausgleichens’ sehen wird. So können wir es nur für manche Fälle rechtmässig sagen, nämlich für jene theistischen.
Busse
Busse und Sühne sind beidfalls ein wiedergutmachender Ausgleich, während die Schuld (zeitlich) vor den beiden kommt. Bei der Krankheit muss zwar in vielen Fällen nicht etwas wieder gutgemacht werden (im Sinne von Karma) – da durch sie aber ein Ausgleich geschieht, der aus dem Tun und Sein des Menschen, durch die Gesetze der Natur notwendig wird (ein Tun und Sein zu dem der Mensch durch die Freiheit gekommen ist, die er sich angeignet hat), und dessen Folgen er erleben muss um sich selbst und seinen Platz in der Welt wahrzunehmen, verwenden wir den Begriff der Busse trotzdem. Um seine Beziehung zur Welt zu verstehen, ist der Begriff Busse für den kranken Menschen und zur hiesigen Sache der am nächsten Liegende.
Der Satz “Krankheit ist Busse” ist wohl ein Urteil zum Kranken, aber es ist dadurch keine Aufforderung darin, den Kranken in seinem Leid liegen zu lassen. An sich ist es kein aburteilendes Urteil. Wer denkt, dass aus einer Verantwortung zwangsläufig geschlossen werden müsse, wer die Folgen zu tragen habe, gibt weniger Kunde über den Verhalt der Sache, als dass er zeigt, wie vermengend er denkt. Denn ‘Verantwortung’ sagt nichts dazu aus, wie geholfen werden soll; sie stellt Dritten keine Verbote. Sie besagt allein, dass eine Verantwortung zur Lösung einer Aufgabe besteht, sie sagt nicht, wer sie schlussendlich zu schultern hat, denn sie teilt keine Rollen zu. Das Produkt aus unserem tätigen Willen und unserer Freiheit erst ist es, das Rollen zuteilt: jener hilft (sich oder anderen), jenem wird geholfen.
Warum ist der Kranke also krank? Um das zu beantworten muss weit ausgeholt werden, denn es muss dafür auf die Natur des Menschen, und dann die Natur der Beziehung des Menschen zu seiner Ungebung, eingegangen werden.
Kräftemangel, und daraus folgende Kämpfe
Das Kranksein als ein Kampf gegen Widersprüche mit der eigenen Natur
Der Mensch ist eine mikrokosmische Welt: er folgt denselben Ursache-Wirkungsgesetzen denen auch die Welt unterliegt – in fast unendlich kleinerem Masstab. Er ist als ein mikrokosmisches ‘System’ der Welt nachgebildet, er gibt wieder, was ihn umgibt, da er noch weit davon entfernt ist, selbstständig genug zu sein, um von seiner Umgebung unabhängig zu handeln. Diesem Satz braucht man nicht zugunsten unseres Arguments einfach zu glauben, man kann ihn leicht an der Welt überprüfen, da er sich im Realen überall bewahrheitet findet: der Mensch ähnelt der Welt, sein Tun entspricht den Bedingungen die ihm von der Welt gestellt werden. Das heisst nicht, dass der Mensch nach paganistischem Denken allein aus der Erde kommt, allein zu ihr gehört (und nur sie verehren soll). Der Mensch kommt, nach esoterischen, und tiefergründigen theistischen, Lehren, in seinen wichtigsten Zügen, in seinem geistigen Wesenskern (seinem ‘Ich’) aus dem Kosmos, nicht von der Erde. So, wie die Welt aber mit dem Kosmos im Zusammenhang steht, setzt sich auch der Mensch aus beiderlei (Weltlichkeit und Kosmischem) zusammen, wodurch gleichwohl der Paganismus wie auch die verschiedenen Monotheismen Wahrheit repräsentieren (nur nicht darin, was sie als unwahr bezeichnen).
Widerspricht der Mensch nun den Bedingungen, die ihm sowohl durch die Welt wie auch durch kosmische Gesetze gestellt werden, so kostet dies dem Menschen Kräfte, wodurch er die verbleibenden nicht mehr in gleicher Weise nützlich anwenden noch ordentlich pflegen und verschönern kann. Wesenswidrige Taten (Tat ist Produkt des Menschen, wie auch der Mensch selber) und weltwidrige Seinszustände (das Sein ist das Produkt der Welt, wie auch die Welt selber) finden keine Anknüpfungspunkte zu ihrer Umgebung – sie verlischen jeden Aufwand, der für sie aufgebracht wird. So müssen wir Vorsicht darin üben, wo wir unsere Kräfte einsetzen, denn manche Richtungen führen nirgendwohin, und die dorthin aufgewandten Kräfte verpuffen einfach im Nichts. Das so Verpuffte fehlt dann anderswo.
Wenn Kräfte falsch ausgerichtet werden, und sie keine Wechselwirkung zu echten Kräften bilden können, fehlen die Kräfte irgendwann selbst für notwendige Aufgaben: der Mensch kann den Aufgaben seines eigenen Wesens nicht mehr nachkommen – er verliert generell an Kraft, er wird schwächer, und störende Kräfte bekommen grösseren Wirkungsraum. Je nachdem wo die Kräfte fehlen, zeigen sich dem Menschen bestimmte Symtome (deren Ansammlung wir irgendwann “Krankheit” nennen). Der Kampf des Menschen mit seinen eigenen Krankheitssymtomen nennen wir das Kranksein. In diesem Kampf ist der Mensch gezwungen, sich selber, in der so absoluten wie wortlosen Sprache der Welt, mit den Tatsachen der falsch ausgerichteten Kräfte zu konfrontieren. Deswegen bezeichnet Thorwald Dethlefsen Krankheit als ‘Weg’, weil durch sie sehr viel Selbsterkenntnis möglich (und auch wahrscheinlich) ist.
Mir scheint die Krankheit jedoch nicht mehr als der Abschnitt eines Weges sein zu können, da die Selbsterkenntnis nicht notwendigerweise aus der Krankheit folgen muss, Selbsterkenntnis als ein Teil des Weges eines jeden Menschen aber Notwendigkeit hat. So ist mir die Krankheit erst zusammen mit deren Ursachen und möglichen Folgen ein Weg; für sich alleine scheint sie aber etwas zu sein, das weniger ist.
Und so kommen wir zur Busse. Hier finden wir einen Begriff der uns sagt, was durch die Krankheit geschieht. Durch das Erkranken erhalten wir eine ‘kosmische’ Busse, die in der einen oder anderen Art beglichen werden muss. Woher der Ausgleich zu kommen hat, sagt die Busse nicht, sie muss einfach erstattet werden. Wird sie ignoriert, oder ist sie zu überwältigend, so wächst sie an, bis der Mensch an ihr zugrunde geht. Dadurch ist die Krankheit weder eine göttliche Strafe noch fehlerhafte Materie, sondern vielmehr eine Reaktion der Welt (oder des Kosmos) auf ein jeweiliges menschliches Sein und Tun.
Referenzen, Anmerkungen
- Der Begriff Positivismus, siehe https://de.m.wikipedia.org/wiki/Positivismus, kann nicht für sich allein stehend für die reduktionistische Beweisführung des Materialismus akzeptiert werden, denn dafür gibt es ein weit passenderes Wort: Reduktionismus. Der Begriff wäre in Kombination mit einem anderen Begriffen möglich akzeptabel zu sein, wie materialistisch-sensualistischer Beweisführungspositivismus. ↩