Intention oder Inkompetenz im Versagen

Inkompetenz, anders als Intelligenz, ist nicht quantifizierbar. Der Versuch Inkompetenz zu messen, entspricht etwa dem Versuch den unzeitlichen Nicht-Raum, das Nichts, zu messen. Das Nicht-Vorhandene ist jedoch nicht messbar. So ist über das Vorhandensein von Inkompetenz – die Absenz von ‘Kompetenz’ – nicht direkt zu urteilen. Vielleicht gibt es aber einen indirekten Weg, und das wollen wir hier herausfinden.

Zuerst sei jedoch ein Auge auf die Absicht (oder ‘Intention’) geworfen. Anders als die Kompetenz, an der man am Erfolg – oder dem Ausbleiben von Erfolg – von Wirkungen von Handlungen ablesen kann, ob sie vorhanden ist oder nicht, ist die Absicht von aussen nicht zu sehen, auch wenn sie gleichsam zwischen Denken und Wollen lungert.

Wir können das Vorhandensein der Absicht nur vermuten und wir können indirekt auf sie schliessen, aber wir können nicht ohne eine freie Äusserung des Beabsichtigenden von ihr wissen. Und da wir von der Absicht nicht wissen können, ausser wir hören die Absicht verbal von ihrer Quelle ohne jeglichste externe Nötigung geäussert, müssen wir sehr vorsichtig darin sein, Vermutungen über sie nicht als etwas zu gebrauchen, worauf wir andere Schlüsse bauen. Wollen wir z.B. eine Ereigniskette darstellen, so ist der schwächste Link stets derjenige, der Vermutungen über Absichten anstellt.

Auf die Inkompetenz zu schliessen bedingt in gewissem Sinne erfolgreich davon zu wissen, wie es um eine Absicht steht – ob eine solche vorhanden ist oder nicht. Die umgekehrte Abfolge ist jedoch sinnvoller. Die Kompetenz, die ‘Befähigung’, hat eine Vielzahl von Faktoren, die sie beeinflussen oder die von ihr beeinflusst werden, und die als Anhaltspunkte verwendet werden können. Es sind dies Attribute wie die zu einer Aufgabe notwendige Ausbildung, Umgangsformen, Lebensumstände, Lebensentscheidungen, Prioritäten, Konsequenz im Verfolgen jener Prioritäten, Freizeitbeschäftigungen, sonstige Interessen, die Fähigkeit Probleme zu lösen, Fähigkeit zu Abstraktion, emotionale Selbstkontrolle, Verlässlichkeit, Ausdauer und Geduld usw. Von solchen Dingen ausgehend lässt sich einschätzen, welche Begabungen sich in einem Menschen möglicherweise verstecken, und wo vielleicht Grenzen erreicht werden.

Dann kommt es zum Urteil über das zwecksorientierte Handeln einer Person stets auf die jeweilge Situation an: ist die Person an jenem Tag des Versagens mit dem linken Fuss aufgestanden, oder war es sonstwie ein anstrengender Tag, oder gibt es in jenem Leben gerade irgendwelche Ablenkungen, oder hat man jener Person aus Versehen etwas Falsches gesagt, oder wurde etwas falsch verstanden, oder ist der Fehler das Ausbleiben bestimmter Worte, usw. Die Möglichkeiten sind endlos, aber eine Übersicht hilft uns, die ganze Komplexität zu überschauen, und darin Dinge auszusortieren, die weniger wahrscheinlich sind. Darin zu einer Gewissheit zu gelangen ist jedoch noch immer unmöglich, da sich während der für die Überlegung benötigten Zeit die Umstände womöglich bereits wieder geändert haben, und sich entsprechend auch das Urteil wieder ändern müsste. Aus obigen Gründen ist es manchen wohlwollenden analytischen Menschen kaum möglich, über eine längere Zeit eine nahe Beziehung auszuhalten, weil sich das Tun eines Menschen so schwerlich kategorisieren lässt, speziell wenn es keinen Sinn zu machen scheint.

Wir haben also die Folge: Einschätzung Charakter -> Einschätzung Kompetenz -> wenn Versagen: Inkompetenz -> wenn Versagen und nicht Inkompetenz: Absicht.

Eine dritte Ursache von Versagen ist Verblendung, wir sortieren dies jedoch unter Inkompetenz. Es geht in der Frage um Intention/Inkompetenz darum, herauszufinden, ob das Versagen bewusst und gewollt war, die Verblendung aber führt zu einer getrübten Sicht auf die Dinge, die wir bei der Absicht nicht haben.

Die Einschätzung möglicherweise auftretender Inkompetenz folgt also der umfassenden Einschätzung des Ausmasses der Kompetenz einer Person, die wiederum der Einschätzung über deren Persönlichkeit folgt. Geschehen Dinge, die durch das ungefähre Muster der Persönlichkeit und deren Fähigkeiten schwerlich auf die Inkompetenz geschlossen werden können, so kommen wir von da aus erst zur Frage möglicherweise vorhandener Absicht. Und ob wir hier nun einen wahren Schluss ziehen können, hängt davon ab, wie es sich um die Gewissheit der Einschätzung von Persönlichkeit und Fähigkeit, dann um die Gewissheit von der Einschätzung von Inkompetenz, verhält. Aber selbst unter den besten Bedingungen gibt es keine Möglichkeit, wirklich zu wissen, wie es sich um die innere Welt eines Menschen verhält.

An dieser Stelle sind wir wieder bei unserem Dilemma vom ersten Absatz: das Nichts ist nicht vorstellbar, und so ist der Schluss auf die Absicht bei einem Misserfolg, wie eben gesagt, selbst unter den besten Bedingungen nicht zugänglich, ohne eine grosse mögliche Fehlertoleranz in Kauf nehmen zu müssen. Gewissheit ist in jedem Fall – ausser bei der ‘erklärten, frei geäusserten Absicht’ – ausgeschlossen. Dadurch lässt man die Absicht als eine jeglichste Erklärung, sofern keine tiefer gehende Erkenntnis vorhanden ist – am besten von Beginn weg systematisch aussen vor.

Untersuchen wir die Gegebenheiten eines Versagens, so gehen wir aus diesen Gründen stets von (wohlmeinender) Inkompetenz aus, und konzentrieren uns statt auf die Frage nach (bösartiger) Absicht darauf, die Erscheinungen selber, nicht deren unergründliche Ursachen, zu verstehen.

Kommentare

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert