In der Ruhe währt die Kraft.
Vergessene deutsche Redensart
Auf dem Bau zu arbeiten hat einerseits offensichtliche Nachteile (teils anstrengender zwischenmenschlicher Umgang, Dreck und Lärm), aber es hat auch bedeutende Vorteile. Ein Vorteil ist, dass man gezwungen ist, mit beiden Füssen auf dem Boden zu stehen. Ein anderer ist der Einblick in das Wesen der Gesellschaft, den man aus einem Büro heraus kaum hat.
Was in der Gegenwart von der Baustelle aus zu sehen ist, bedeutet für den Bau leider weitere Nachteile.
Der Gegenwartsbau
Mit den industriellen Revolutionen ist in technischen Möglichkeiten sehr vieles geschehen. Wir haben durch die überall verfügbare Elektrizität die Möglichkeit, durch Maschinen Kräfte effizient auf verschiedenste Materialien zu übertragen. Das bedeutet, dass wir nicht mehr einen Fäustel in der einen Hand, und einen Meissel in der anderen haben, um Stein oder dergleichen zu bearbeiten. Wir haben stattdessen Bohrmaschinen, Spitzmaschinen, Fräsmaschinen, und alle erdenklichen Geräte, die uns im Bearbeiten von Stoffen helfen. Und nicht nur Elektrizität haben wir zur Verfügung, wir haben Elektrizität über Akkugeräte in kabelloser Form gespeichert, und nutzen sie mobil wo auch immer wir wollen.
Dadurch ist das Bauen effizient geworden, wir haben also Zeit gewonnen. Wir (als moderne, entwickelte Gesellschaft) errichten grosse Gebäude problemlos innerhalb eines einzigen Jahres. Bevor der Beton trocken ist werden Backsteinwände gestellt, bevor der Backstein trocken ist macht der Gipser den Verputz, bevor der Verputz trocken ist malt der Maler die Wände, und bevor die Farbe trocken ist, installieren Schreiner, Heiziger, Elektriker, Sanitär usw ihre Möbel und Apparate. Alles geschieht gleichzeitig – je kürzer die Bauphase desto mehr Anzeichen von Freude auf den übermüdeten, ausgelaugten Gesichtern von Architekten und Eigentümern. Die Bauarbeiter fluchen sich zwar gegenseitig an, jeder mit eigenem Radio und eigener Station, dazu jeder mit einer Kabelrolle (deren Kabel natürlich komplett ausgerollt sein müssen, da es sich aufgerollt wie eine Spule erhitzt) dafür wird auf Seiten der Bauherrschaft aber Geld gespart.
So haben wir, als ein Beispiel, ein kleines Badezimmer, und darinnen möchte der Elektriker seine Rohre verlegen, Kästchen setzen und die Drähte einziehen, und gauckelt dafür zwischen zwei Leitern hin und her, der Sanitär möchte mit seinem Azubi seine Rohre vorbereiten und die Apparatestützen montieren, bevor die Wand gemacht ist, muss aber auf den Gipser warten, auf dass dieser eine Holzrückwand einbaut, um das Gewicht der Keramikteile zu halten, wobei der Gipser jedoch auf der anderen Seite des winzigen Raumes zuerst die Wand mit Fermacell zuzupflastern hat, da auch der Plättchenleger bereits mit einem Fuss in der Tür steht und schon gestern fertig sein wollte, und auf dem Boden ist alles voll mit Kabeln jener Kabelrollen, in welche X Ladegeräte für Handies, Radios, Scheinwerfer und Maschinenakkus eingesteckt sind. Der Boden der am meisten begangen wird, der Korridor, bleibt derselbe, und der Kunde wünscht, dass darauf kein Werkzeug oder Material abgestellt werden soll. Unterdessen wandeln Architekt, Denkmalschützer und Bauherr durch den Rest der Baustelle, und besprechen grosse konzeptionelle Ideen und Möglichkeiten, während die Baustelle schon lange am Laufen ist, alle Gewerbe ihre Offerten bestätigt haben, und die Zeit für Anpassungen nicht nur vorbei ist, sondern lediglich weiteren Papierkram für die Arbeiter bedeutet, die nun entweder Regierapporte schreiben müssen, oder gratis arbeiten.
Warum die ganze Eile?
Schaut man sich die Gebäude des neunzehnten Jahrhunderts an, so sieht man wunderschöne Sandsteinmonumente, jedes Geländer ist verziert und passt in den Kontext. Es sind Gebäude für Menschen, die Bestand haben. Man bemerkt augenblicklich, welche Sorgfalt darin investiert wurde, welche Schönheit darin für lange Zeit eingemeisselt wurde. Sie haben ein festes Fundament, dicke Wände, und passen zu den Nachbargebäuden.
Ingenieure mögen den Satz: Funktion vor Form. Zuerst muss es funktionieren, dann kann es schön gemacht werden. Sind moderne Metallhüllen also zumindest funktional, wenn sie schon potthässlich sind? Moderne Gebäude haben weder Form noch Funktion, weil eine Grundfunktion nicht-provisorischer Gebäude Beständigkeit ist. Sie haben kalte, dünne Metallhüllen, Glasverschalungen, lausige, aggressive Materialien für (Stell-)Wände, sind gebaut um in spätestens zwanzig Jahren umgebaut zu werden, und davor noch unzähligen kleineren Anpassungen unterworfen zu werden. Es sind Produktivitäts- und Effizienzfabriken, nicht Orte, wo mit Hingabe und Sinn Herzblut in etwas Nützliches und Schönes verarbeitet wird, sondern wo unter grellem, kalt-weissem LED- oder Neonlicht irgendwelche bedeutungslosen Bürojobs erledigt werden, bevor Automation die langweiligsten Anteile dessen erledigen kann.
Auch beim Holz wird gerade noch das Billigste verwendet. Gelblich-weisses, junges Weichholz, so schnell gewachsen, dass die äusseren Ringe fast fingerdick sind, ist noch das Bessere – viel wahrscheinlicher ist es, dass durch etliche chemische Prozesse und Beifügungen gepresstes Span- oder Faserholz verbaut wird. Das noch Holz zu nennen, entspricht nicht einmal dem Fisch in ‘Fischstäbchen’.
Ach, die Zeit die wir uns sparen. Vor zweihundert Jahren hat man mit Seilzügen tonnenschwere Sandsteinblöcke über dutzende Meter gehievt, heute hebt ein Kran Schallplatten, Stahlträger, Betontonnen und schon vor dem Einlegen rostende Armierungseisen bis zu den Maurern, die das wertlose Zeug wie Legosteinchen hinstellen und -giessen können. Was die Leute da über Umweltschutz reden, aber auf keinen Fall Holz gebrauchen wollen, nicht einmal das billigste, weiche Holz das heute von Zimmerern verbaut wird, statt der Natur ihrer eiskalten, seelenlosen Designerlofts bewusst zu werden, und kein Wort über diese Provisoriumsbauten, die heute nicht die Ausnahme, sondern die Regel sind, verlieren.
Es sind all dies Dinge, über die sich die Menschen einer jeden Gesellschaft Gedanken machen sollten. Dazu müssen sie jedoch erst einmal sehen, wie sich die Realität verhält. Die Welt vor der Realität (lies: der Natur) retten, aber keinen ernsthaften Blick auf das Wirkliche werfen, das ist die Ursache der verzerrten Wahrnehmung einer grossen Mehrheit der politisch Aktiven. Sie sehen die Symptome, aber haben peinliche Berührungsängste bei jeder echten Ursache.
Die Welt will zwar gerettet werden…
… aber irgendwie doch nicht. Der Mensch, der ohne tiefere Ziele, aber mit so viel Verstand, dass alle Empfindung vom Realen verloren geht, und nichts Echtes mehr gegriffen werden kann, dem alles Reale wie Luft wirkt, als wäre es relativistisch und lediglich eine ‘durch X oder Y anerzogene Programmierung’, oder dergleichen Nonsens, ein solcher Mensch wird wohl Statistik verstehen, und die selektiven, journalistisch darstellbaren Extreme in jedem Detail kennen, Bilder wie den blutigen Schlachthof, die versmogte Stadt, der brennende Wald, der schwimmende Eisbär usw usf, aber die subtileren Widersinnigkeiten, die wir uns angewohnt haben, ohne eine Alternative uns überhaupt denken zu können, die bleiben nicht nur okkult, sie bleiben für solche schnelldenkenden Verstandesmenschen gänzlich inexistent. Alle obigen Probleme sind durchaus reale Dinge, die teils dringlichst nuancierte Lösungen erfordern, aber es sind nicht Dinge, die wir so schnell einmal mit einer einfachen, zur scheinbaren Ursache gegenteiligen Handlung gelöst haben. Die Demokratie schafft durch ihre Notwendigkeit zur Vereinfachung (Nuance ist dem Populus eine gewisse Irritation) – Vereinfachung sowohl von Problematik wie auch von Lösung – je länger je mehr grosse Risiken und neue, noch grössere Probleme, da sie Ressourcen zu bestimmten, ihrer Einseitigkeit wegen irrationalen, Lösungsideen verteilt, die an anderen wichtigen Punkten auf einmal nicht mehr vorhanden sind. Dies, weil jene Demokratie durch heftige Eindrücke der Bilder des Journalismus, der durch die neuesten, schockierendsten, traumatisierendsten Bilder allerlei Ängste und Zynismus schürt, welche das bedächtige, ausgewogene, aber dennoch zielsicher fokussierte Suchen und Verstehen der Probleme mit gewaltiger Lautstärke übertönt, grundlegend beeinflusst wird.
Da ist die dualistische Idee unter den sich selbst als ‘Teil der Lösung’ sehenden Menschen, dass bestimmtes Tun nützt – und wenn es nicht nützt, schadet, allein aus dem Grunde, dass es nichts nützt. Teil der Lösung oder Teil des Problems, ein Fehlschluss durch unangemessene Vereinfachung. Während also die Analyse der grösseren realen Probleme zu wenig weit geht, finden sich gesellschaftliche Scheinprobleme, die sich in echten Streitereien ausdrücken. Unter den ‘Linken’ (eine recht plumpe, grobhändige Abgrenzung zwischen und zu verschiedensten Menschen und Ideen) findet sich der berechtigte Fokus auf soziale Ungleichheiten, wobei hier ein reales Problem vorhanden ist, z.B. durch den gemächlichen Zustrom eines Grossteils allen Guthabens (Kampfbegriff: Kapital) auf einen kleinen Ausschnitt einer Bevölkerung. Da jedoch Problemanalyse wie auch Lösungsansätze die Bedingung haben, polemisch zu sein, da in der Demokratie der im Geiste etwas zaghafte ‘Demos’ Ziel jeder halbwahren Propaganda ist, landet man bei alles auf einen Nenner zwängenden Ideen, wie einem ‘bedingungslosen Grundeinkommen‘, ohne, wie mir scheint, ernsthaft einen einzigen Gedanken auf negative Konsequenzen, die solcherlei schändliche Konditionierung über Jahrzehnte oder gar Generationen eintrichtern würde, zu verschwenden. Und unter den ‘Rechten’ (auch eine mehr oder weniger willkürliche Grenzziehung zwischen den Menschen) finden sich hingegen allerlei Ideen zur Rückkehr zu als gut bewerteten Formen von Vergangenem, der Wunsch, nach einer Rückkehr zu überwundenen Kasten, geistlosen Theologien und unzeitgemässen Familienprinzipien, als würde sich damit etwas finden, das exponentielle Technologien wie universeller, individueller, augenblicklicher Zugang zu Information, und etliche andere nie dagewesene, äusserst asymmetrische Möglichkeiten, bewältigen könne.
Der im Dickicht von Komplexität verlorene, nichts anderes als politische Meinungen des Momentes kennende Konsument traditioneller Medien, ist mit den von jenen Medien zur Verfügung gestellten Schemata stets in der Nähe des Realen, ohne jemals zu sehen, wie es sich ausserhalb jenes kleinen Ausschnittes aus natürlichen Aktualitäten, politischem Gerede und eindrücklicher Phänomene zusammensetzt.
Der Widerspruch
Ich möchte hier kein praktisches Beispiel einer irregeleiteten Denkabfolge geben, auch wenn es unzählige Beispiele gäbe, da jede spezifische Kritik durch vorgefasste Haltungen und geschlossene Ideologien missverstanden, und ich danach irgendwann, durch Auslassungen und Übertreibungen, misrepräsentiert würde.
Stattdessen möchte ich noch einmal kurz zusammenfassen.
- Wir haben Geräte, die uns mehr Effizienz ermöglichen.
- Wir bauen im Eiltempo (hässliche) Gebäude, die etwa 30-40 Jahre halten.
- Wir haben das Problem, dass wir die Menschen beschäftigt halten müssen, damit sie nichts Dümmeres machen.
Was hat dieser Widersinn mit den 12 WA zu tun? Menschen, die nicht zur Ruhe kommen können, die keinen Sinn in den Dingen erkennen können, die keiner Arbeit folgen, in die ein Mensch sein Herzblut hineinverweben kann, die nur Hässliches, aber keine Schönheit errichten, solche Menschen werden keine Zeit oder Energie haben, sich mit ihrer WA zu verbinden, die Welt durch die WA zu betrachten, die Gedanken damit zu verknüpfen, die Gedanken daran auszubilden und Schriften von Denkern derselben WA aufzusuchen.
Die WA erfordern sehr viel Zeit von ihren Menschen, und viel Nervenkraft, um etwas damit zu schaffen. Das Beschäftigungskarussell der Sinnlosigkeit, das Sisyphos-Modell, in dem wir leben, wirkt all dem entgegen.