Glauben-, Wissen- und Wollenschaft

(Beitragsbild von https://eurythmie-form.blogspot.com/2009/04/eurythmie-wollen-denken-fuhlen.html?m=1)

In der Anthroposophie (und auch andernorts) findet sich die Kategorisierung der drei Seelentätigkeiten (auch Seelenkräfte genannt): Denken, Fühlen und Wollen. Mit folgendem Artikel versuche ich, diese drei Seelentätigkeiten äusseren Strömungen generellen, reinen, menschlichen Interessen zuzuteilen:

  • Wissenschaft (Denken)
  • Glaubenschaft (Fühlen)
  • Wollenschaft (Wollen)

Die Abtrennung von der Wissenschaft

Obige Gruppierung kann weiter aufgebrochen werden, z.B. kann die Wissenschaft in Materiewissenschaft, in Lebenswissenschaft, in Logikwissenschaft usw aufgeteilt werden.

Die Glaubenschaft kann in Gottesglaubenschat, in Geistesglaubenschaft geteilt werden, verschiedenste philosophische und theologisch-religiöse Strömungen zur Frage, was das ‘Erste’ war und das Gute ist, tummeln sich hier. So würde ich auch die Ethik hier platzieren.

Und schliesslich kann die Wollenschaft in die Ästhetikwollenschaft (Künstewollenschaften), die Rechtewollenschaft (z.B. gleiche Rechte für alle, oder Rechteausgleich für Schwächere), die Rechtswollenschaft (Jura) usw geteilt werden.

Was in den Wissenschaften geschieht, ist weitgehend bekannt. Es wird studiert, experimentiert, analysiert und nachgedacht. Da muss durchaus ein Wille vorhanden sein, um ein kompliziertes Experiment aufzubauen, und es muss mit Feingefühl ausgemittelt werden, wo das Wahre liegen könnte – aber weder der Wille noch das Fühlen steht bei den denkerischen Wissenschaften im Zentrum.

Die Wollenschaft

Bei der Betrachtung einer politische Bewegung, die eine bestimmte soziale Veränderung bewirken möchte, kann gefunden werden, dass zur Rechtfertigung der Anliegen zwar allerlei Daten und Studien verwendet werden, aber im Zentrum steht dann nicht das Verlangen, die Welt tatsächlich zu verstehen, sondern die Welt zu verändern, wodurch nicht eine Wissenschaft, sondern eine Wollenschaft am Wirken ist. Dies sehe ich z.B. bei Umweltthemen, bei Fragen um soziale Gerechtigkeit, beim Tierschutz, kurz, bei allen möglichen ethisch-moralischen Fragen. Dort sind schlichte Datensätze nicht ein Wissen, sondern ein Argument, da bei Daten ‘Rosinenpickerei’ betrieben werden kann (d.h. es werden nur Daten berücksichtigt, die dem Argument helfen, wodurch das Argument eindeutiger zu sein scheint, als die Gesamtheit an Daten suggerieren mag). Diese wichtigen, ethischen Fragen sollen keineswegs in Abrede gestellt werden, aber sie sollen mit Klarheit von denjenigen Absichten abgegrenzt werden, die sich rein auf Beobachtungen und Wissensbereicherung beschränken, und die bewusst versuchen, sich eines jeden Urteils über ‘gewünscht’ und ‘ungewünscht’ zu enthalten.

Das Vermischen ist hier deswegen problematisch, weil sich die Merhoden zu sehr unterscheiden. So schadet es der Wissenschaft aus offensichtlichen Gründen, wenn beim Urteil begonnen wird, und alles Folgende jenem Urteil unterworfen wird. Und es schadet der Wollenschaft, sich wissenschaftlich zu geben, weil sie als Wissenschaft moralische Neutralität schauspielern muss, und dann durch das verfrühte Urteil notwendigerweise die Fakten und die Schlüsse so verkehrt, dass es scheint, als wären die Schlüsse notwendig aus den Fakten entstanden. So wird die Wollenschaft eine Art Lüge auftischen, ob sie will oder nicht, weil sie in Wahrheit bei den Schlüssen begonnen hat, und dann die Fakten dazu sammelte. Die Fakten können aus einer Notwendigkeit wollenschaftlichen Methodik nur mit den Anfangsschlüssen übereinstimmen. Wenn die Wollenschaft sich aber als Wollenschaft zeigt, muss sie sich nicht verkrümmen, und sie gewinnt besonders in den Augen der Wissenschaftler an Authentizität (Glaubwürdigkeit).

Die Glaubenschaft

Ähnlich kann z.B. dafür argumentiert werden, die glaubenschaftliche Theologie bewusst von den Wissenschaften abzugrenzen. Es gibt zwar bedeutendes empiristisches Tun bei den Theologen, wo z.B. sehr präzise dokumentiert wird, welche Kirchengebäude, Führungspersönlichkeiten und Ideen wann und wo aufgekommen sind, wie sich wandelten und wie sie manchmal verkümmerten. Aber die Grundsätze der Theologie, und die Schlüsse die aus ihr kommen, haben nicht Gedanken (oder einen inneren Willen) als Quelle, sondern ein gesundes Gefühl. Die theologischen Gedanken und der Wille, Gott zu dienen, formen sich aus diesem Gefühl, aber sie sind nicht der Ursprung der theologischen Künste und Inhalte.

Es findet sich bei den Theologen und bei den politischen Aktivisten eine Ähnlichkeit, weil beide ein Gefühl dafür haben, was wahr ist, und weil beide einen Willen haben, danach zu handeln. Die einen riskieren z.B. die eigene Sicherheit zum Protest gegen bestimmte Verhältnisse, die anderen opfern Zeit und Energie um z.B. grosse Bauwerke zu errichten. Zentral ist aber, was für den jeweiligen Menschen im Mittelpunkt steht. Für den Religiösen ist es weniger das Bauen als das Vertrauen und die Hingabe in Gott, und die Bauwerke sind ein Ausdruck des Glaubens. Für den Aktivisten ist weniger eine bestimmte Ungerechtigkeit der Ausgangspunkt, sondern mehr der Wille die Bereitschaft zu zeigen, sich für andere einzusetzen. Für welches politische Anliegen hierbei Zeichen gesetzt werden, ist aus diesem Grund nicht zentral, weil die Anliegen zum Teil austauschbar sind, denn es kann gegen verschiedenste Probleme protestiert, oder für verschiedenste Anliegen demonstriert werden. Mit der Austauschbarkeit der Themen will ich keineswegs gegen das politische Tun argumentieren, sondern die Motivation dahinter richtig einordnen.

Wenn mit der Wollenschaft und mit der Glaubenschaft übertrieben wird, und Glaube und Wollen nicht voneinander abgegrenzt werden, passt folgende Analogie:

Mein Smartphone ist meine Bibel.

Mein Podcast ist mein Gottesdienst.

Mein Professor ist mein Priester.

Mein Slogan ist meine Hymne.

Meine Partei ist meine Kirche.

Meine Revolution ist meine Inquisition.

Meine Ideologie ist meine Religion.

– der Aktivist

@DWA_KPT auf Twitter

Denken, Fühlen und Wollen

Diese drei hauptsächlichen Seelenkräfte sind zu unterscheiden, weil sich das Zusammenmengen der drei schädlich auswirken kann. So muss z.B. verhindert werden, dass der Wille direkt auf das Gefühl folgt und davon nicht unterschieden werden kann (weil der Mensch ansonsten sehr impulsiv wird), denn es kann bei jeder wahrgenommenen Ungerechtigkeit sogleich zur Tat geschritten werden, obwohl es zu einer jeweiligen Situation vielleicht noch viel mehr zu verstehen gäbe.

Ist der Gedanke eng mit dem Gefühl verbunden, so verschmilzt der Mensch zu sehr mit den Inhalten vor ihm, und er denkt vor allem auf einer emotionalen Ebene und es fällt ihm schwer, sachlich und nüchtern zu sein, und das Leiden anderer kann ihn paralysieren. Ist der Gedanke schliesslich mit dem Willen verknotet, so wird der Mensch Mühe haben, sich von seiner Umwelt abzugrenzen, und sein Denken wird immerzu äusseren Umständen fügen, was es z.B. schwer macht, über sich selbst zu lernen.

Generell sind alle drei stärker oder schwächer mieinander verknotet. Das heisst, es ist weniger so, dass sich eines von den beiden anderen sauber abtrennt, während die beiden anderen verschmolzen bleiben.

Was häufiger ist das Herausstehen einer der drei Kräfte relativ zu den anderen beiden. Dass also z.B. der Wille überbetont wird, und der Mensch fast zu einem Willenstier wird, aber die drei Berührungspunkte einander noch immer gleichmässig überschneiden.

Liegen die drei Qualitäten übereinander, so hat man eine ‘assoziative Psyche’. Die Dinge werden in dieser Psyche vermischt. Trennen sie sich auf, gibt es also keine Berührung mehr zwischen ihnen, dann nennt sich dies die ‘dissoziative Psyche’. Die geordnete Dissoziation der drei Kräfte ist eines der Ziele der anthroposophischen Schulung. Geschieht die Dissoziation aber nicht geordnet, kann es zu einer dissoziativen Persönlichkeitsstörung kommen, deren Folgen z.B. psychotische und-oder schizophrene Zustände sind.

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