Gesellschaftsform

In diesem Artikel wird kurz berührt nach welcher Art wir unsere moderne, westliche Gesellschaft aufgebaut sehen, warum sie anders ist als wir meinen, und welche anderen Möglichkeiten es gibt.

Eine funktionierende Gesellschaft aufzubauen ist nicht einfach, und je grösser sie sein soll, desto schwieriger ist es. Kann aber mit einer vorhandenen Infrastruktur gearbeitet werden, so erleichtert es die Aufgabe etwas. Haben die Menschen bereits Erfahrung darin, kooperativ zu leben, ist die Aufgabe weiter erleichtert. Kann man sich auf alte, sorgfältig formulierte Dokumente berufen, die dabei helfen einfache Fehler in der Zusammensetzung und Entwicklung der Gesellschaft zu vermeiden, die davon berichten, welche Folgen aus welchen Fehlern entstanden, so ist die Aufgabe noch einmal etwas einfacher.

Kultur und Natur

Von all den Menschen auf dem Planeten ist eine grosse Mehrheit ‘Kulturmensch’. Wir können mehrheitlich lesen und schreiben, nutzen Strassen und Gefährte, sind Angestellte für Gegenleistungen, tauschen Güter nach einem Standard, usw. Der ‘Naturmensch’ hingegen ist fast ausgestorben, oder besser: ist am schlafen. Wir sind von Natur aus Naturmenschen, aber manchmal überdecken wir ihn mit dem Kulturmenschen. Mit Naturmenschen sind hierbei nicht Hippies, Selbstversorger, jene Verarmten mit schlechter Infrastruktur oder dergleichen gemeint, sondern Menschen die z.B. aus tausenden Pflanzen die Giftigkeit kennen, ohne jemals ein Wort gelesen oder ein Buch aufgeschlagen zu haben.

Die Menschheit hat als Ganzes grundlegende Kulturbedingungen erfüllt. Jedes Land kennt mindestens ein Schriftsystem, mindestens ein Wertesystem, ein Rechtssystem usw. In jedem Land der Welt gibt es Museen, Grundbildung und Steuern. In manchen Ländern sind die Menschen gerade gebildet genug um Propagandaplakate oder -artikel lesen und verstehen zu können. Aber auch das reicht schon als Grundlage, denn auch Propaganda hat einen gewissen ordnenden Nutzen.

Unzählige Gesellschaftssysteme sind schon ausprobiert worden, manche mit mehr, andere mit weniger Erfolg. Manche scheiterten durch ungünstige Umstände, manche durch strukturelle innere Schwächen. Von den meisten ist nichts in die Gegenwart hinein überliefert. Was wir uns für die Gegenwart vorstellen können, ist stark davon beeinflusst, was wir in der Gegenwart vor uns haben. Es gibt viel mehr Mögliches als das, was direkt vor unserer Nase liegt.

Was wir meinen zu wollen: die Säkulargesellschaft

Oder auch: “was wir (im kollektiven Westen und tendentiell) fälschlicherweise meinen zu haben”. Wir sind nicht säkular (Staat und Kirche trennend), wir sind eher ‘anti-Vergangenes’. Die neue Kirche heisst Szientizismus (Wissenschaftsglaube), so widersprüchlich dies auch zu sein scheint. Der moderne Staat nimmt mehrheitlich von da seine Ideologien. Das Aggregat all der szientizistischen und pseudowissenschaftlichen Ideologien dient als Ersatzreligion.

Wir leben mit haufenweise neuen Werkzeugen und Einrichtungen, und meinen erstmals Grenzen überschritten zu haben, von denen all unsere Vorfahren nur träumen konnten. Wir schreiben den gewonnenen materiellen Komfort unserer Wissenschaftlichkeit zu und grenzen ihn ab von unseren frommen Vorfahren. Die Fortschritte sind materiell; wir meinen aber, dass sie auch uns als Menschen betreffen; wir meinen, wir selber seien in gewisser Weise besser als unsere Ahnen; wir meinen von Glauben und Mythos befreit zu sein, und der ‘Beweis’ dafür ist unser Wohlstand. Wir wollen fortschrittlich sein, und so wollen wir z.B. unsere Ethik so weit fortschreiten sehen, wie wir all unsere Elektrospielzeuge und dergleichen fortschreiten sehen.

Die Realität ist jedoch nüchterner. Wir haben zwar unzählige neuartige Materialien, Technologien, ganze virtuelle Welten, eine unüberschaubare Komplexität usw. Was wir jedoch nicht haben, ist eine ‘neue Psyche’. Unsere Psyche ist vermutlich diesselbe wie vor 2000, 3000, 4000 Jahren. Das Menschheitsgeschlecht gibt es schon sehr lange, und grossflächige Änderungen geschehen in ihm sehr langsam. Die neue Weltlichkeit gibt uns auch nicht eine bessere Ethik, Ästhetik, Wertesysteme etc, nur weil der Mythosglaube ausgeklammert wird.

Was daraus geschlossen werden kann ist, dass unsere Welt in der Gegenwart durch verschiedenste äussere Dinge zwar anders aussehen mag, dass sich diese Veränderungen jedoch vor allem an der Oberfläche vollzogen haben. Wir haben weder mehr Klugheit, noch mehr Weisheit, noch mehr Erinnerungs- oder Vorstellungsvermögen etc, wir haben lediglich physische Instrumente die uns diese Dinge abnehmen. Ob das unsere persönlichen, geistigen Fähigkeiten verbessert ist fraglich. Es verbessert sicher unsere unpersönlichen physischen Fähigkeiten.

Die ‘private Religion‘, zu der diese Form einer Gesellschaft geführt hat, macht den Menschen jedoch unter anderem einsam, da ihm nun der Raum fehlt mit anderen Menschen etwas zu teilen, das weit mehr ist als nur intellektuelle Übereinstimmung. Daraus entstehen verschiedenste gesellschaftliche Probleme (die unter dem Artikel über Religion berührt werden). Eine Säkulargesellschaft zu wollen, ist aus dem Grunde nicht der beste Wille.

Was wir haben: die Äppelgesellschaft

Durch die Veräppelung nimmt man jemanden sprichwörtlich (im Gegensatz zu ‘wortwörtlich’) auf den Arm; man macht sich einen Scherz mit einem anderen Menschen.

Nun muss es nicht notwendigerweise eine Person sein, die sich mit einem anderen Menschen einen Scherz erlaubt, es kann auch ein Unternehmen oder eine Organisation sein, das oder die sich seinen Kunden oder ihren Mitgliedern gegenüber so verhält, dass man denken könnte, die Menschen würden mit Absicht veräppelt.

Durch dreierlei Strategien wird z.B. bei der Firma Apple ein weltlicher Schabernack mit der Kundschaft betrieben: erstens durch Hardware, zweitens durch Kosten, und drittens durch Software. Apple wird hier als Beispiel verwendet, weil die Firma durch ihre ‘Scherze’ in Umsatz bis vor kurzem noch die grösste der Welt war, und einen speziell unbarmherzigen Klamauk betreibt.

Erstens werden Geräte verkauft die so gebaut sind, dass in wenigen Jahren neue (teure) Ersatzgeräte gekauft werden müssen. Die Geräte sind so gebaut, dass eine Reparatur mühsam ist, und so ist der Kauf von einem komplett neuen, teuren Gerät im Fehlerfall naheliegend genug zu sein scheint (siehe ‘Right to Repair‘, das ‘Recht auf Reparatur’). Das Material für die Geräte wird so gewählt und zusammengebaut, dass es nach wenigen Jahren zerfällt; dies nennt sich ‘geplante Obsoleszenz’ (absichtlicher Zerfall). Ein Gerät nach dem anderen zu kaufen ist übrigens kein Materialismus[1].

Zweitens kosten die Geräte sehr viel, obwohl sie nicht anhaltend gut, sondern gut aussehend gebaut werden. Die Qualität beschränkt sich auf die Bedienung und die Optik (das Aussehen).

Drittens ist das Betriebssystem so gestaltet, dass die Menschen alles nur genau so tun können, wie Apple es für sie vorsieht. Der Konsument wird davon abgehalten zu verstehen, was im Hintergrund geschieht. Das Nutzererlebnis ist wie eine Einbahn ohne Hürden, und die Dinge funktionieren, ohne dass man sie durch den geringsten persönlichen Aufwand oder durch ein Verstehen der Sache zum Funktionieren bringen muss. Und: auch über die Software findet sich bei Apple geplante Obsoleszenz (alter Artikel bei Forbes).

Der dritte Punkt scheint in Bezug auf die einfache Bedienung etwas Gutes zu sein – es ist für die Psyche aber schädlich, wenn die Menschen ihre Umgebung nicht mehr verstehen und immerzu Dinge gebrauchen, die von Anfang bis Ende alles für den Menschen übernehmen. Die Realität wird dem Menschen abgenommen und er entkoppelt sich ohne es zu merken von seiner Umgebung – vom Wirklichen.

Apple baut Akkus so, dass sie eine künstlich verkürzte Lebensdauer haben, macht es schwierig, sie auszuwechseln, und verlangsamt das Gerät nach einer gewissen Nutzungszeit absichtlich über Software, mit dem Scheinargument, die Akkus stellten nach einer Anzahl Ladevorgänge eine Gefahr dar. Man sieht das zirkulare Begründen. Da solches Tun sehr subtil ist, und in den Augen von Ökonomen die Wirtschaft anfeuert, ist es nicht etwas, das einfach durch ein Gesetz entfernt werden könnte. Es ist ein systemisches Problem.

Eigentlich sollte jeder Mensch der mit digitalen Geräten hantiert, etwas vom Programmieren verstehen. Wenn der Mensch sich vom Wirklichen abtrennt, geht nicht nur seine praktische Fähigkeit verloren mit der Natur in einfacher Weise umzugehen, auch seine Vorstellungen, seine Begriffe, sein innerer Bezug zu den Realitäten der Umwelt schwindet. Er beginnt in einer ideelen Welt oder einer Fantasiewelt zu leben; er verliert die Fähigkeit, zwischen Ideologie und Utopie zu unterscheiden. Real werden Unterhaltungsmedien, die tatsächlich fiktive Dinge vorzeigen. Und hier verliert der Mensch durch die früh im Leben erscheinenden digitalen Bilder neuer Technologien gar die Fähigkeit, in sich selber z.B. innere Bilder zu schaffen. Es gibt heute viele, die sich eine Sache nicht einmal abstrahiert vorstellen können. Es ist eigentlich normal, dass in einem Menschen Bilder auftauchen, wenn er z.B. die Augen schliesst – viele haben das nicht mehr. Sie haben keine Bilderschaffenskraft. Das mag schwer zu glauben sein, aber das Absterben der Imagination ist ein zunehmendes Phänomen. Bildschirme, die schon in früher Kindheit für die kleinsten, jüngsten Menschlein allerlei Bilder erzeugen, übernehmen etwas, das der Mensch selber ausbilden und erlernen können sollte. Der Bildschirm nimmt dem Kind die Möglichkeit, sich im Geiste Bilder zu Sagen und Märchen selber zu erzeugen. Der Mensch wird innerlich still. Es gibt in meinen Augen fast nichts Schrecklicheres als die Idee, keine Bilder erschaffen zu können.

So lebt der Mensch in einer Fantasiewelt, obwohl er keine Fantasie hat. Ein solcher Mensch ist ein Gefangener, ohne dass ihn jemand gefangen hält. Er trägt Ketten, von denen er meint, sie seien ein natürlicher Teil von ihm.

Wir meinen von Technologien unterstützt zu werden – was einerseits richtig ist, andererseits werden wir von ihnen abhängig und verlieren verschiedenste Kräfte, und werden schleichend zu geistigen (und irgendwann auch physischen) Krüppeln. Wir drehen in der Äppelgesellschaft in einem Hamsterrad. Wir mühen uns darin für Dinge ab, die keinen anhaltenden Wert, und damit eigentlich auch generell keinen Wert haben.

Eine solche Gesellschaft hat verlockende Vorteile, aber sie ist nicht die beste.

Was wir wollen sollten: die Beteiligungsgesellschaft

Jede Gesellschaft hat in ihrer Form Vorzüge und Schwächen. Wie eine Gesellschaft aufgebaut ist, ist weniger gradlinig als man meinen könnte. Denn es ist ein Fehler zu denken, dass man für die beste Gesellschaftsform einen ‘besten Fokus’ auswählen müsse, z.B. Entrepreneuren all die nötigen Anreize zu geben, ihre Ideen umzusetzen, herzustellen und zu vermarkten. Oder dann möglichst sozial zu sein, und Güter und Mittel so effizient und fair wie nur möglich unter dem Volk aufzuteilen. Oder einen Staat zu haben, der jede Form von Kriminalität mit aller Härte zerschlägt, usw. Der Fokus ist gerade ein Fehler.

Jeder Mensch ist einzigartig. Es gibt Menschen, die durchsetzungsstark, arbeitsfreudig und kompetitiv sind. Von solchen Menschen wird das Beispiel mit der Wettbewerbsgesellschaft abgeschaut. Dann gibt es Menschen, die vielleicht einen feinen Sinn dafür haben wenn andere leiden, und die den Willen oder Drang haben, deren Leiden zu mindern; an ihrem Beispiel wird z.B. der soziale Staat abgeschaut. Und als drittes Beispiel haben wir Menschen, die einen strengen Gerechtigkeitssinn haben, die es nicht ertragen, wenn gegen das Gesetz verstossen wird. An jenen wird z.B. der tyrannische Staat abgeschaut.

Durch die Einzigartigkeit eines jeden Menschen, dessen Talente, dessen Interessen, dessen Umgang mit anderen usw, kann eine Gesellschaftsform geformt werden. Man könnte eine Sportlergesellschaft haben, eine Bürokratengesellschaft, eine Langweilergesellschaft usw, die Möglichkeiten sind endlos. Man bedenkt es nicht, aber was wir als Potential vor uns haben, ist tatsächlich eine von etwa acht Miliarden Möglichkeiten.

Wie entscheiden wir uns unter all diesen, welche die beste ist? Nehmen wir den produktivsten, den sozialsten, den gerechtesten Menschen als Beispiel, und bilden diesen in einer Staatsform ab?

Die beste Form lässt alle Formen zu; die beste Staatsform begünstigt nicht eine Menschen-Charakteristik über die andere. Eine gute Gesellschaftsform ist so nicht die kämpferischste, die sozialste, die gerechteste usw, sondern die, welche all die verschiedenen Menschen mit ihren Eigenheiten (Formen), in ihren Formen erfolgreich sein lässt, ohne sie durch eine ‘Bildungs’-Mühle drücken zu müssen, oder in einem Hamsterrad der Beschäftigung rennen zu lassen und dergleichen Übel, nur damit sie besser zu der bevorzugten Form passen. Die beste Gesellschaft ist weder die beste Form (z.B. aristokratisch), noch ist sie formlos (anarchistisch) – sie bietet Formfreiheit: Sie lässt all die kleinen Formen (Individualitäten) zu. Sie drängt sich weder auf, noch lässt sie den einzelnen draussen in der Kälte stehen und für sich selber kämpfen.

Die Gesellschaft, in der sich ein jeder direkt und mittelbar zu beteiligen hat, wo nicht z.B. wenige Repräsentanten für zehntausende Individuen oder mehr gewählt werden, und wo der Privatismus von Parteien zurecht eine irre Absurdität ist, ist die einzige die allen etwas geben kann. In einer solchen Gesellschaft wird durch ein Zufallslosverfahren entschieden, wer dazu antraben muss politische Entscheidungen zu treffen. Dadurch findet sich eine echte Repräsentation der Bürger vor, wo jeder zwischendurch physisch hin muss, und sich in der Polis aktiv zu beteiligen hat. Die zufällig ausgewählten treffen sich, beschäftigen sich mit all den vorgelegten, trockenen Fragen in ruhiger, sachlicher Art, formulieren eine Entscheidung und gehen dann weiter ihres Weges. Keine Berufspolitiker, keine Wettkämpfe um Stimmen, keine Aufregung um Probleme, keine hetzerischen, aufreibenden Medien, kein Skandaljournalismus der die Aufmerksamkeit lenkt und am erfolgreichsten ist wenn er wütend macht, keine Koordination privater Gruppen, kein Fingerzeigen, keine Schlammschlachten.

Diese Form nennt sich ‘Demokratie‘, und sie ist etwas grundsätzlich anderes als das, was wir haben (ein Artikel zu Politik zum Thema). Demokratie ist die schwierigste Form von allen, sie ist die wahre ‘Hochkultur’. Sie wurde bereits errichtet (auch wenn es mit vor ~2’500 Jahren länger her ist), wir können auf vorhandener Infrastruktur bauen, und haben durch Dokumente wie die Bibel und vielen anderen Schriftwerken ‘Anleitung zur Vermeidung’.

Aus diesen Gründen ist die Umsetzung der Demokratie möglich.

Anmerkung

[1] Solcher Konsumerismus ist kein Materialismus, weil der Materialismus sich um Materie sorgt; nichts liegt dem Materialismus ferner als Materie absichtlich so zu bearbeiten, dass sie nach einer kurzen Zeit zerfällt, nur damit mehr geschäftet werden kann. Müllberge (oder: Vergeudung von Materie in reinem Zustand) sind dem Materialismus etwas Abstossendes.

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