Einseitigkeit

Die WA sind ein gemeinsames Dutzend. Es wurde hier schon viele Male geschrieben, aber jede hat Gültigkeit. Besteht eine WA jedoch auf Alleingültigkeit, so hat man Einseitigkeit. Und diese Einseitigkeit führt zu bestimmten Problemen, wie wir sehen werden.

Jede WA ist für ihren Bereich absolut

Einseitigkeit kann jedoch auch Vorzüge haben, solange sie nicht allzu weit getrieben wird. Vermeidet einer beispielsweise jede deutliche, klare Aussage, nur im Bestreben darin, Einseitigkeit zu vermeiden, so tut sich ein solcher sicher keinen Gefallen. Ein Mut zu Einseitigkeit muss vorhanden sein, wenn man sich vornimmt, allerlei Dinge zu untersuchen. Man muss sich irren können.

Dies gesagt, – dass Einseitigkeit auf dem Weg zu Erkenntnis einen grossen Nutzen, ja Notwendigkeit haben kann – so muss man sich für gewöhnlich in die andere Richtung mehr Sorgen machen. Die negativen Konsequenzen von zu viel Einseitigkeit sind geberell gravierender, als die negativen Konsequenzen von zu wenig. Das Zuwenig führt zu Fortschrittslosigkeit, das Zuviel zu einem Fortschritt in die falsche Richtung.

Als Beispiel von zu viel Einseitigkeit: Der Materialismus hat in den letzten Jahrzehnten sehr viel geleistet, aber er scheint viele Ansprüche auf Dinge zu machen, für die es bei ihm keinen Platz hat, oder wo es für ihn keinen Platz hat. Er macht gerne den Anspruch auf Allgemeingültigkeit. Keine WA hat jedoch Allgemeingültigkeit, sie alle haben begrenzte Anwendbarkeit. Auf ihrem Gebiet dürfen sie so einseitig sein wie sie wollen, und es wird kaum ein Schaden getan; wo sie jedoch nicht hingehören, da kann selbst mit manchen einfachen Aussagen Schaden angerichtet werden.

Hat man eine WA wie den Materialismus, so ist es unschwer zu erkennen, wie da grosse Lücken auftauchen können, wenn er universell, d.h. auf alles angewandt wird. Denn dem Materialismus ist letzten Endes alles ein mehr oder weniger geordneter Haufen von Atomen. Wird diese Tatsache als das allein Gültige behauptet, so hat man sehr schnell das Problem von Nihilismus (nihilistischem Determinismus) für nicht-materialistische Bereiche.

Nihilismus ist jene Einstellung zu Welt, welche in ihrer letzten Konsequenz in nichts mehr einen Sinn sehen kann. Beim Materialismus ist dies, wie gesagt, nicht schwer zu sehen, denn Atome für sich haben keinen Sinn. Der Nihilismus entsteht in jeder WA, wenn sie als einzige Gültigkeit auf alles angewandt werden will. Man muss sich fragen, wie das z.B. in einer WA wie dem Pneumatismus der Fall sein kann – wie kann der Gottglaube in den Nihilismus führen; wie soll der nihilistisch sein können?

Am Beispiel des Pneumatismus

Gehen wir doch auf dieses Beispiel näher ein, und schauen, wie wir durch den Pneumatismus zu einem Nihilismus kommen.

Welchen Zweck hat das Leben, die Welt, wenn alles nur auf ein Göttliches zurück geht, und nichts anderes Gültigkeit hat? Es hat keinen Zweck. Göttliches hat nur Zweck, wenn alle, oder mindestens auch andere, Teile von Gottes Produkt (das ist die ‘Schöpfung’) einen Zweck erfüllen.

Ist das allein Gültige der Schöfper, aber nicht seine Schöpfung, wozu dann auch die anderen WA gehören, so zwingt sich einem eine bestimmte Philosophie auf. Diese ist, dass der Mensch aus dem Göttlichen, aus dem Pneuma, herausgeworfen wurde. Der Mensch ist ausserhalb dieses göttlichen Atems, und er ist sündig darin. Wäre der Mensch nicht sündig, könnte er Gott nicht hinterfragen, und nicht gegen Gottes Wille handeln, und der Mensch wäre nicht frei. Der einzige Zwecke in einer solchen Welt, im Leben eines solchen Menschen, müsste sein, in dieses Pneuma zurückzufinden – aber wie soll das gehen als Verkörperung von Sünde? Man ist hier, und dort, weit, weit weg, ist das Pneuma. Und dazwischen ist eine unermessliche Kluft.

Wie unterscheidet sich der Mensch – vom Pneumatismus her schauend – vom aus dem Himmel geworfenen Teufel? Beide sind auf der Erde, der eine vom Himmel geworfen, der andere aus dem Paradies geworfen, beide sind sündig, beide haben lediglich diese tiefe Hoffnung, dieses vielleicht unterdrückte Verlangen, zurück in das Pneuma zu können, und sich wieder mit diesem Zustand der Vollkommenheit verbinden zu können. Der Mensch unterscheidet sich (abgesehen von der ihm geschenkten Freiheit) in diesem Sinne kaum vom Teufel. Der verbissene, kompromisslose Pneumatismus muss im Glauben landen, dass sich der Mensch nur durch marginale Kleinigkeiten vom deistischen Hauptwidersacher, dem Teufel, unterscheidet. Das Opfer Christi ist doch viel zu gut für solche Sündenwesen. Auch wenn sich manchen Menschen die religiöse Aussicht auf ein nachtodliches Dasein im Himmel bietet, dem Leben auf der Erde gibt das wenig oder keinen Wert. Der Pneumatist wird diese Welt, dieses Leben, in solcher Einseitigkeit zugunsten von etwas anderem verneinen.

Lässt der Pneumatismus jedoch zu, dass es in der Welt ausserhalb des Pneumatismus Dinge von Wert gibt, so ist nicht alles auf der Welt Sünde, und so kann sich auch im Menschen etwas Gutes finden. So sehen wir den Nihilismus auch in einer WA wie dem Pneumatismus wirken, die eigentlich als vom Nihilismus entfernt gedacht werden möchte.

Man kann den Nihilismus durch den Psychismus aufzeigen, sollte dieser einseitig werden, man kann es für den Idealismus, man kann es für den Realismus – für jede WA kann aufgezeigt werden, wie sie mit dem Anspruch auf Alleingültigkeit, auf Allgemeingültigkeit, in den Nihilismus führt. Es ist für alle WA wahr, dass sie als absolute Einseitigkeit nihilistisch werden.

Für WA rund um den Spiritualismus ist es eher ungewöhnlich, absolut einseitig zu sein, weil der Geist Sinn in sich trägt, der sich entfaltet, wenn der Sinn auf das für sich sinnlose übertragen wird. Sie sind tendenziell viel durchlässiger für die zu ihnen fremden Ideen und Einsichten. Sie gestehen anderen WA eher noch eine gewisse Gültigkeit zu. Aber auch in ihnen birgt sich die Gefahr der Einseitigkeit.

Einseitigkeit und Gegensätzlichkeit

“Einseitigkeit” (unter WAP-KTT verwendeter Begriff: ‘Partialität’) ist für den Menschen schwer auszuhalten, manche Menschen verstehen jedoch nicht, dass sie Dinge am aushalten sind. Und das Nichtaushalten eines Zustandes ist ihnen nichts Denkbares, da ein Nichts nicht greifbar ist. In den dutzend Weltanschauungen ist aber nicht nur Einseitigkeit schwer auszuhalten, auch deren Gegenpol ist einem jeden Menschen mit der Zeit eine grosse Last. Dieser Gegenpol zur Einseitigkeit ist die “Gegensätzlichkeit” (WAP-KTT: Kontrarität). Er kommt seltener vor, ist aber trotzdem unangenehm.

In der Gegensätzlichkeit wird ein Mensch zwischen mindestens einem Weltanschauungspolaritätspaar hin und her ‘geschaukelt’. Er wird zwischen zwei WA hin- und hergetrieben, ohne jemals Fuss fassen zu können. Dies sind Menschen, die nach jedem Satz zum Gegensatz finden, und von da wieder zum Gegen-Gegensatz usw. Ich denke hier z.B. an den älteren Nietzsche, und so manchen anderen klugen Kopf, der nicht zur Ruhe kommen kann. Solchen Menschen kann übertriebene Einseitigkeit etwas sehr angenehmes sein.

Im gesunden Umgang mit den Weltanschauungen hat sowohl etwas Einseitkeit, wie auch etwas Gegensätzlichkeit, Platz.

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