Dynamismus und Wirtschaftsrätsel 3: Schattenbanken

Im ersten Artikel wurde klar, wie sich in den Fragen des Wirtschaftens viele Unklarheiten finden. Im zweiten haben wir gesehen, wie sich das Wesen des Geldes stark verändert hat, und wie der Begriff ‘Geld’ neu definiert werden sollte. Nun gehen wir noch etwas tiefer hinein, in die etwas okkulte Welt des Bankenwesens, nämlich hin zu den ‘Schattenbanken’. Wir wollen hier sehen, was genau das ist. Hier wird auch zu sehen sein, warum wir im letzten Artikel so viel Zeit darauf angewendet haben, zu schauen, was ‘Bilanz’, und in weiterem Sinne, Buchhaltung ist. Denn im Folgenden müssen wir mit unserem Verständnis von Buchhaltung noch einen Schritt weiter gehen.

Grundlage für die Aussagen in diesem Artikel ist die Arbeit von Jeff Snider. Wer mehr über das wirkliche Wesen von Geld erfahren möchte, ist bei Snider gut aufgehoben.

Heute werden sehr viele Transaktionen in grosser Geschwindigkeit gemacht. Man geht in einen Laden, und muss nur kurz eine Karte neben ein Gerät halten, und schon hat man bezahlt. Das Bezahlen ist mit der Digitalisierung sehr effizient geworden. Es hat sehr viele Vorteile, es hat aber auch einige Nachteile. Ein Problem mit der Digitalisierung von Währung ist, dass alle Teilnehmer ‘Liquidität’ benötigen (d.h lose, bewegliche Geldmengen), um der Buchhaltung diese schnellen Transaktionen zu ermöglichen. Es gibt noch eine andere Art von digitaler Währung, welche andere Vor- und Nachteile hat wie ein digitaler schweizer Franken, oder ein digitaler Dollar, es sind dies die Kryptowährungen wie Bitcoin, Etherum, Ripple und viele andere. Diese Kryptowährung haben auch ihre Vor- und Nachteile, aber es sind andere Vor- und Nachteile wie bei den bekannten Währungen, welche auch in physischer Form, in physischem Papier, getauscht werden können.

Alle Marktteilnehmer benötigen nun Liquidität, und sie benötigen Liquidität, diese freien, ungebundenen Geldmengen, für die Buchhaltung. Haben sie die notwendige Liquidität nicht, kann die Transaktion in der Buchaltung nicht in demselben Moment verbucht werden. Die Liquidität, welche notwendig ist für die vielen schnellen Transaktionen, ist also eine Notwendigkeit der Buchhaltung.

Diese Liquidität wird im Bankenwesen erschaffen, indem man das Geld abstrahiert, d.h durch ein anderes Papier repräsentiert. Man hat also nicht mehr mit der Abstraktion ‘Geld’ zu tun, wie man das für gewöhnlich kennt, sondern mit Abstraktionen davon. Diese Abstraktionen der Abstraktion nennt man gerne ‘Derivate’.

Man kann nun sagen: “Diese Derivate haben nichts mit echtem Geld zu tun, sie verkörpern keinen echten Wert. Noch weniger, als das beim Papiergeld schon der Fall ist.” Und man hätte durchaus recht, diese Derivate verkörpern wirklich nichts mehr, aber sie wirken in all den Transaktionen dennoch wie ein Wert. Wir haben also diese Diskrepanz, wo eine in sich wertlose Sache, eine leere Nummer, eine Art Gegengewicht zu einer, zwar nicht wirklichen, aber etwas wirklicheren Sache sein muss.

Versuchen wir das zu illustrieren, und stellen uns diese Derivate als etwas vor, das mit einem Wert zusammen hängt, aber diesen nicht aufwiegen kann, so denken wir uns die Derivate als ein Schatten. Und der Körper, der diesen Schatten wirft, das ist der eigentliche Wert. Und es ist in diesem Zusammenhang ganz treffend, dass man heute in manchen Kreisen von einem ‘Schattenbankensystem‘ spricht, auch wenn darunter gerne anderes gemeint ist, als die Beziehung zwischen Derivat und dem Wert den es verkörpern soll. Der Begriff Schattenbankensystem wird gerne auf den Teil von kommerziellen Banken angewendet, der Transaktionen mit fraglichem Hintergrund ausführt, wie solche mit Geldwäschern, Steuerhinterziehern usw. Wir verwenden den Begriff Schattenbankensystem, oder Schattenbankenwesen jedoch für alle Aktivität, welche sich mit Abstraktionen von Abstraktionen beschäftigt. Derivate sind für uns wie Abstraktionen zweiter, oder noch höherer, Stufe. Geld sei uns eine Abstraktion erster Stufe. Das Schattenbankensystem ist das Bankensystem, in welchem sich Derivate in ungeheuren Mengen bewegen. Es ist aus einer Notwendigkeit heraus entstanden, weil das Geld bestimmte Funktionen erfüllen muss.

Das Schattenbankensystem ist durch den amerikansichen Dollar entstanden, den US-Dollar, der im Sommer von 1944 zusammen mit Gold, ab 1971 alleinig, d.h. ohne Gold, einer bestimmten Funktion zugewiesen wurde. Diese Funktion bezeichnet man heute als Leitwährung. Der amerikanische Dollar war ab 1944 Leitwährung. Im Sommer 1944 beschlossen die höheren Politiker einer Anzahl einflussreicher Länder, dass die Währungen der Welt über den Dollar auswechselbar sein sollten. Und der Dollar der damaligen Zeit, zwischen ’44 und ’71, war gebunden an einen festen Goldpreis. Alle Länder welche den Dollar nicht hatten, hatten damit nun eine Art Versicherung gegen eine Entwertung ihrer Dollarreserven, welche sie für den Handel gebrauchten. Im Sommer von 1971 dann lösten die Amerikaner ihren Dollar jedoch vom Gold, und der Preis des Goldes, wie auch des Dollars, waren nun wieder mehr unabhängig voneinander. So viel zu einer kurzen Geschichte der Leitwährung, welche der Dollar bis heute ist. Nach 1971 hat sich nicht viel geändert, bis 2008. 2008 war jedoch in Ereignis, welche die Dinge wieder änderte, diesmal im Hintergrund, das wird aber in diesem Artikel nicht viel näher behandelt werden können. 2008 hörte das Schattenbankensystem in seiner bisherigen Funktion auf zu wirken, es vollzog eine dringend überfällige Wandlung, welche das Nationalbankensystem bis heute mit allen Mitteln versucht zu bekämpfen, ohne es aber wirklich zu verstehen.

Solche Dinge sind sehr schwer zu untersuchen, weil sie so im Verborgenen geschehen. Da finden sich nicht irgendwelche Menschen, die bestimmte grosse Entscheidungen treffen, die bestimmte Dinge für andere Menschen beschliessen. Stattdessen findet man mit dieser okkulten Finanzwelt eine Eigendynamik, wo all die Teilnehmer lediglich versuchen, ihre Verluste möglichst gering zu halten, und entsprechend zu handeln. Man muss also über Umwege herausfinden, was da genau geschieht, und das ist in diesem Fall oftmals eine grosse Schwierigkeit.

Das Schattenbankensystem entstand also aus einer Notwendigkeit aus dem amerikansichen Dollar. Es gibt verschiedene Theorien wie genau es entstand, eine davon besagt, dass es durch die Sowjetunion entstand, welche über praktisch unsichtbare Konten in Europa Dollarmengen bewegte, um Transaktionen im Handel mit sich selbst zu vereinfachen. Dies ging offenbar so weit, dass es einen eigenen Namen bekam: das Euro-Dollar-System. Es gibt nun Theorien, welche besagen, dass daraus irgendwann ein Schattenbankensystem wuchs, aber diese Dinge geschahen sehr verdeckt und sind heute kaum nachzuvollziehen.

Das Problem für all die Händler ausserhalb Amerikas ist – wir sind nun wieder in der Gegenwart – dass es zu wenige von diesen Dollars gibt. Es sind für das Schattenbankensystem nicht genügend amerikansiche Dollars im Umlauf, mit denen noch immer ein Grossteil allen internationalen Handels vollzogen wird. Es gibt also zu wenige von diesen Dollars. Wenn aber ein jeder, der am Markt teilnimmt, Liquidität haben muss, muss jeder auch viele übrige Dollars haben. Nun könnte jeder versuchen, tatsächliche Dollars irgendwo bei sich zu lagern, aber das ist sehr teuer. Es kostet den Teilnehmer viel Geld, irgendwo eine ‘statische’ Reserve zu haben, auf die er zurückgreifen kann. Man kann hier wieder argumentieren, dass es langfristig profitabel sei, eine solche Versicherung zu haben, eine solche Reserve zu haben, aber in der Realität ist es kostspielig ein Depot zu lagern, das nichts macht. Bewegliche Mittel hingegen erlauben dem Tagesgeschäft ein stetes Einkommen, da von jeder Transaktion ein winzig kleiner Ecken abgebrochen werden kann. Man möchte im Grosshandel als Bank also so viele Transaktionen wie nur möglich machen.

Man riskiert zwar, in Probleme zu geraten, wenn in der Liquidität bei vielen Teilnehmern irgendwann durch irgendeinen Mangel auf einmal ein ‘Flaschenhals’ entsteht, d.h wenn es einmal irgendwo zu stocken beginnt, und die Dinge sich auf einmal nicht mehr bewegen können, aber dafür verliert man zumindest nicht über all die Jahre wo es irgendwie funktioniert Geld im Tagesgeschäft. Und wenn einmal Probleme entstehen, hat ohnehin wirklich jeder Teilnehmer Probleme, und da das System, dieses Schattenbankensystem, zusammen mit dem System der kommerziellen Banken in den Augen des Nationalbankensystems und der Politik in den meisten Ländern, als ‘systemrelevant’ gesehen wird, ist das Risiko, dass keine Lösung gefunden werden kann, in den Augen der Banken gering. Die Banken nutzen ihre Systemrelevanz etwas aus, aber sie sind auch dazu gezwungen, weil sie sonst zurück fallen.

Es ist also ein Dynamismus zu finden, in diesem Bankenwesen. Das Geld muss stets in Bewegung sein, sonst frisst es sich selbst auf. Ja, auch wenn in einen statischen Zustand gezwungen, verändert sich das Geld, es ‘nimmt ab’. Und wenn es sich genügend schnell bewegt, vermehrt es sich. Je schneller es sich bewegt, desto schneller vermehrt, ja multipliziert es sich. Für die ganze Währung gesehen, bezeichnet man das als ‘Umlaufgeschwindigkeit’, welche auf eine Wirtschaft diesselbe Wirkung hat, wie Geldschöpfung. ‘Inflation’ ist also auch möglich, wenn viele Menschen viel Geld hin- und her tauschen. Wer sich im Bankenwesen also nicht bewegt, der fällt sogleich zurück. Der Dynamismus ist darin also Notwendigkeit, er ist erst, was die Effizienz des Marktes ermöglicht. Dort wo der Markt beweglich ist, wird man immer Dynamismus finden, weniger Rationalismus. Den Rationalismus finden wir in der Politik, in der Politik ist der Rationalismus in der Gegenwart eher noch zuhause. Die Politik ist auch anderswo, aber viel von ihr ist gegenwärtig im Rationalismus. Und wenn die Politik mit ihrem rationalistischen Denken nun Entscheidungen fällt für den Markt, und dem Markt aus bestimmten Gründen, sei dies, um ihn in Zügellosigkeit und dergleichen zu bremsen, oder riskante Dinge zu unterbinden usw., wenn die Politik also Vorschriften macht für den Markt, so kann der Dynamismus nicht mehr alles austesten, das er vielleicht austesten möchte.

Der Markt versucht durch den Dynamismus stets die schnellsten Wege, die besten Abkürzungen zu finden, oder in anderen Worten: er versucht herauszufinden, wie er am besten effizient sein kann. Die Entscheidungen der Politik stellen sich ihm da teilweise in den Weg. Es gibt also eine Reibung zwischen der Politik und dem Markt, oder zwischen dem Rationalismus, und seinem Gegenteil, dem Dynamismus.

Rationalismus und Dynamismus sind Oppositionen, sie reiben sich aneinander. Die Wege, die der Dynamismus nun um diese rationalistischen Entscheidungen herum versucht zu finden, führen dann zu Dingen wie dem Schattenbankensystem, das, so wie es ist, eigentlich nie geplant war. Das Schattenbankensystem hat sich aus einem sich fast selbstständig gemachten Dynamismus heraus entwickelt.

Mit dem Schattenbankensystem finden wir also einen Ausweg des Dynamismus aus einer grossen politischen Entscheidung. Diese Entscheidung der Politik war, den amerikansichen Dollar aus dieser und jener Abwägung heraus zu einer, ja zu der Leitwährung zu machen. Diese Entscheidung, eine Leitwährung zu haben, ist eine der grundlegenden Ursachen für die Komplexität des modernen Bankenwesens.

Die Amerikaner nutzen den Vorteil der Leitwährung in sehr kluger Weise zu ihren Gunsten. Sie haben erkannt, wie sie den Vorteil sehr effektiv ausnutzen können. Wie dieser Handel funktioniert, kann hier vielleicht auch noch kurz erwähnt werden, es zeigt einen wichtigen Teil des Schattenbankensystems auf. Die amerikanischen Konsumenten kaufen nun Produkte über den amerikanischen Grosshandel, z.B. vom chinesischen Grosshandel. Das heisst, der amerikanische Grosshandel tauscht dem chinesischen Grosshandel Dollars gegen Produkte. Der chinesische Grosshandel kann mit diesen Dollars jedoch nichts anfangen, alle seine Ausgaben geschehen in Yuan, der chinesischen Währung. Was nun geschehen sollte, ist, dass die Banken des chinesischen Grosshandels diese Dollars im Forex platzieren, im Foreign Exchange (ein Handel wo die verschiedenen Währungen der Welt getauscht werden), um sie dort gegen die lokale Währung zu tauschen. Mit der lokalen Währung, dem Yuan, kann der chinesische Grosshandel dann seine Kosten begleichen, all seine Mitarbeiter bezahlen, die nur Yuan akzeptieren, all seine Lieferanten usw. China will den Handel jedoch nicht im Forex abschliessen, da sich der Forex auf den Wert von Währungen auswirkt. Würden die Chinesen all ihre Dollars im Forex gegen den Yuan begleichen, so würde die chinesische Währung nach und nach an Wert zunehmen, und der Dollar würde an Wert verlieren. Für die Chinesen hiesse dies, dass ihre Produkte für die Amerikaner auf einmal viel teurer würden.

Sie wollen das auf keinen Fall, sie wollen nicht, dass ihre Produkte teurer werden, und deswegen nutzen sie ein anderes System, um ihre Währung schwach zu halten. Die Amerikaner sind nämlich nicht die einzigen, die sehr klug sind, die Chinesen haben auch sehr viel Schläue. Der Forex nun, wenn genutzt, würde ein Gleichgewicht im Aussenhandel bewirken. Er bewirkt, dass sich die Währungen so aneinander anpassen, dass der Handel zu einem Gleichgewicht findet. Er hat eine sehr nützliche Funktion. Da die Amerikaner jedoch günstige Produkte wollen, und die Chinesen Arbeit wollen, haben sie sich eine Alternative zum Forex gesucht. Was nun geschieht, ist, dass die Chinesische Volksbank die Dollars nimmt, und diesen Dollars entsprechend neue Yuan schafft. Die Chinesen abstrahieren damit die Abstraktion in ihrer eigenen Weise. Die Yuan geben sie dem Grosshandel, jedoch haben sie nun sehr schnell einen gewaltigen Überschuss an Dollars. Die chinesische Volksbank geht dann zu der amerikanischen ‘Schatzkammer’ (‘Treasury’), und sie kaufen von dieser Staatsanleihen (‘Treasuries’), für den Dollarüberschuss den sie haben. Die Staatsanleihen geben den Chinesen sowohl einen kleinen Zins für die Staatsanleihen, wie auch die Möglichkeit, den Dollar zurück in seine Heimat zirkulieren zu lassen.

Und hier springt dieses beschriebene Schattenbankensystem ein, denn es kommt immer da zu Hilfe, wo die Dinge nicht wirklich Sinn machen, aber irgendwie funktionieren müssen.

Dieser Mechanismus hat sich seit 2017 begonnen, etwas abzuändern, weil die Amerikaner das Ungleichgewicht im Aussenhandel nun begonnen haben, als einen gewichtigeren Nachteil zu sehen, als es ein Vorteil ist, günstige Produkte, und damit höheren Wohlstand zu haben. Die Amerikaner haben begonnen, wieder die Produktion verrichten zu wollen, und so wollen sie nun weniger von den Chinesen konsumieren, also weniger mit den Chinesen handeln. Es ist jedoch eine unangenehme Sache, auf Wohlstand zu verzichten, und so geschieht dieses Abkoppeln nicht ohne böse Tränen.

Im nächsten Artikel wollen wir den Dynamismus neben den Rationalismus stellen, und wie sich die beiden zum Wirtschaften verhalten.

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