Die kleine Vorstellungsrunde: Realismus

Der Realismus befindet sich in der Gegenwart in einer etwas tragischen Situation, denn der Mensch der Gegenwart anerkennt als allererstes die Wirklichkeit als Materie, dann erst als alles andere. Und das ist eigentlich auch richtig so, denn Materie ist, was wir wahrnehmen, wenn wir nur wach sind. Das eigentliche Reale nehmen wir dadurch jedoch weniger wahr. Was das Reale ist, und wie es sich vom Materiellen unterscheidet, wollen wir im Folgenden Artikel kurz umschreiben.

Es ist selten, einen Menschen zu treffen, der von sich sagt, Geistiges wahrnehmen zu können, noch seltener ist es wohl, wenn ein Mensch das tatsächlich kann. Weil der normale Mensch nicht hellsichtig ist, nimmt er vor allem die Materie wahr. Und was wir wahrnehmen, ist generell auch, was wir für Wahrheit befinden. Und was uns ‘wahr’ ist, ist uns ‘wirklich’. Wenn der Mensch der Gegenwart also vor allem Materie wahrnimmt, so ist ihm damit vor allem Materie die Wirklichkeit.

Jedoch ist die Wirklichkeit nicht Materie. Zur Wirklichkeit gehört zwar Materie, aber Materie macht die Wirklichkeit nicht aus. In der Wirklichkeit gibt es noch sehr viel mehr. Man kann von der Materie sagen, dass sie wirklich materiell sei, jedoch kann man von ihr nicht sagen das sie selber an sich Wirklichkeit sei.

Was also ist Wirklichkeit? Wirklichkeit ist ein Zusammengesetztes. Wirklichkeit ist das Verschmelzen verschiedener Dinge, welche im Wirklichen zusammen kommen. Der Mensch der Gegenwart nimmt nur einen Teil dieses Wirklichen wahr, aber die anderen Teile sind dennoch da.

Bezogen auf die Nachbarn des Realismus im WA-Schema, kann man sagen, dass das Wirkliche so geistig (Spiritualismus, Monadismus) ist, wie es materiell (Materialismus, Sensualismus) ist, es ist so sehr Bewegung (Dynamismus), wie es auch Erscheinung (Phänomenalismus) ist. Der Realismus steht zwischen all diesen anderen WA.

In diesem Sinne gleicht die Wirklichkeit dem Menschen, wie ihn die Anthroposophie beschreibt und versteht. Dieser Mensch, durch die Anthroposophie gesehen, hat nicht einfach nur einen Körper, sondern mehrere verschiedene Anteile, oder Ebenen, aus denen er sich zusammensetzt. Erst hat er den physischen Körper, dann einen ‘ätherischen’ Körper, wie ihn auch die Pflanze hat, dann einen Triebkörper, wie ihn die Tiere haben (genannt der ‘astralische’ Leib), und dann das ‘Ich’. Und dann gibt es noch eine Anzahl Dinge, welche entweder nicht mehr gebraucht werden, oder noch entwickelt werden, oder nicht wirklich am Erlebnis des Menschseins teilhaben, aber dennoch damit verbunden sind usw. All diese Dinge vereinigen sich zu etwas, das sich als Ganzes dann als Mensch bezeichnen lässt. Das ‘Ich’ alleine macht einen Menschen noch nicht aus, genauso wenig der physische Körper alleine – erst wenn all diese Dinge zusammen auftreten, kann man von einem echten Menschen sprechen.

Die Realität gleicht diesem Zusammengesetztsein des Menschen. Auch sie setzt sich zusammen aus verschiedenen Ebenen. Sie hat jedoch weit mehr Nuancen, Tiefe, Kausalität (Folgerichtigkeit) und Feinheiten als ein einzelner Mensch, und ist von viel mehr Dauer. Aber in den Grundzügen kann man da einen Vergleich machen.

Wird nun angenommen, dass die Begriffe Materialismus und Realismus austauschbar seien, so setzt man zwei Dinge gleich, welche sich stark voneinander unterscheiden. Setzt man die beiden gleich, so macht man den Realismus zum Materialismus, aber den Materialismus macht man da wohl nie zum Realismus. So wird dem Realismus eigentlich Unrecht getan, ihm wird sein Wesen abgesprochen. Die zwei sind zwar nicht Oppositionen, aber es sind auch nicht Nachbarn, und bestimmt sind sie nicht dasselbe. Den Realismus sollte man sich als jenes vorstellen, das gleich viel Anteil am Materialismus hat, wie er Anteil am Spiritualismus hat. Der Realismus ist genau zwischen den beiden, er hält zwischen diesen zwei Extremen die Waage.

Das ist das Reale, nicht das, was wir, in unserer dadurch etwas einseitigen Zeit, halt vor allem wahrnehmen. Materie hat Anteil am Wirklichen, aber sie macht es nicht aus. Und so sollte man den Materialismus und den Realismus streng auseinander halten.

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