Der Artikel ist ein Gedankenexperiment.
Die soziale Dreigliederung (SDG) ist ein System zum Strukturieren einer Gesellschaft. Bei jedem solchen System ist es wichtig, herauszufinden, was es bezwecken will. Was ist die Absicht der SDG? – diese Frage will hier in Kürze beantwortet werden.
In den vielen verschiedenen Ländern der Geschichte wie auch der Gegenwart finden wir unterschiedliche Dinge, welche angestrebt wurden. Die alten Römer haben etwas anderes angestrebt, als die sowjetischen Kommunisten. Ein feudales Fürstentum hat etwas anderes angestrebt, als eine moderne Demokratie.
Die SDG strebt auch etwas an, und was sie anstrebt, unterscheidet sich von anderen Systemen, sonst sollte sie keinen eigenen Namen tragen. Wenn wir verstehen, was die SDG ist, so werden wir auch verstehen, was sie für den Menschen möchte.
Die SDG ist, wie der Name verrät, in drei Teile gegliedert. In das Geistesleben, in das Wirtschaftsleben, und in das Rechtsleben. Das Wirtschaftsleben sei das erste, das wir anschauen, denn es verrät viel über die SDG, dann das Rechtsleben, dann das Geistesleben.

Das Wirtschaftsleben
Die Soziale Dreigliederung (SDG) hat diese drei Teile, aus welchen sich eine Gesellschaft grösstenteils zusammen setzt. Das Tun ausserhalb der Familie und des Freundeskreises ist ein gesellschaftliches Tun. Und das gesellschaftliche Wirken hat Rudolf Steiner dort erkannt, wo Fremde miteinander in Berührung kommen. Und wo man mit Fremden in Berührung kommt, ist erstens dort wo der Geist geschult und gepflegt wird, im Bildungs- und im Religionshaus, zweitens dort wo gehandelt wird, auf dem Markt und in allerlei Dienstleistungen, und drittens im Recht, dort wo man nicht nur verschiedener Meinung ist, sondern wo sich die Meinungen bis zum Streit auf das Mit- oder dann Gegeneinander auswirken.
Studiert man das Wesen des Marktes, so wird man bald finden, dass der Markt am besten durch den Dynamismus, durch die Weltanschauungen des (voluntaristischen, d.h. freiheitlichen) Dynamismus wirken kann. Der Dynamismus ist die WA, in welcher stets Bewegung ist. Glaubt man dem Dynamismus, so befindet sich alles immerzu in Veränderung. Je offener und beweglicher die Möglichkeiten des Wirtschaftens im Dynamismus sind, desto produktiver und innovativer ist der Markt, das Wirtschaften also. Das Wesen des Marktes findet sich niemals in Ruhe, da sich stets kürzere und einfachere Wege für allerlei Probleme suchen und finden lassen. Das Wirtschaften belohnt solches Tun für Innovation und Effizienz, sofern die notwendigen Rahmenbedingungen, wie Eigentumsrechte, Schutz vor Gewalt, Betrug, Drohung usw., durch einen funktionierenden Mechanismus zu Genüge gegeben sind.
Der Dynamismus ist im Wirtschaften beispielsweise dort zu sehen, wo er behindert wird, wo ihm Hürden in den Weg gestellt werden. Wie sich das Wasser um einen statischen Gegenstand bewegt, finden sich bei den wirtschaftlich Tätigen immerzu Anreize, diese Hürden entweder zu nutzen oder irgendwie zu umgehen. Ich wüsste von keinem Gesetz in der Geschichte aller das Wirtschaften betreffender Gesetze, das es jemals erreicht hat, eine einzige, einzelne Wirkung auf das Wirtschaften zu haben. Bei jedem Wirtschaften wird mit jeder einzelnen Handlung stets mehreres bewirkt. Geld hat die Tendenz sich sehr geschmeidig zu bewegen. Dass jede Sache stets das Ganze beeinflusst, und dass dadurch alles stets gezwungen ist, in Bewegung zu sein, ist die Natur des Marktdynamismus. Weil sich jede Handlung auf alles auswirkt, findet sich eine unüberwindbare Komplexität, und dadurch kann ein Markt niemals gesteuert werden.
Das Marktwesen benötigt also eine gewisse Freiheit, um seinem Wesen getreu wirken zu können. Dieses Wesen des Wirtschaftens bevorzugt Bewegung unter all den Teilnehmern des Marktgeschehens. Hat das Marktwesen durch den Dynamismus der Marktteilnehmer die nötigen Rahmenbedingungen um sich auszuleben, so geschieht es, dass diese Bewegungen sich nach und nach beschleunigen. Man sieht dann, dass der Markt auf einmal erstaunliche Möglichkeiten aufzeigt, Entwicklungen in der äusseren Welt voran zu treiben. Wie mit allem, ist es im Wirtschaften jedoch möglich, dass ab einem gewissen Punkt zu schnell voran geschritten wird. Es ist ein Problem der Gegenwart, dass die technologischen Fortschritte sich fast überschlagen, und sich der Alltag der Menschen in sehr subtilen, und doch grundlegenden Zügen durch Technologien fast unbemerkt zu verändern beginnt. Dadurch hat der Mensch zunehmend Mühe seine dann auf einmal vielzähligen notwendigen inneren, geistigen Entwicklungen mit der Technologie der äusseren Welt mithalten zu lassen. Das noch grössere Problem der Gegenwart ist jedoch, dass das Problem der Schlag auf Schlag folgenden technischen Revolutionen (industrielle, elektrische, digitale, gerade am geschehen: die automatische) nicht durch Geisteswissenschaften in einem Umfang behandelt wird, dass sich für die Menschen gewisse Leitsätze bilden lassen. Die Akademien der Gegenwart scheinen dem technologischen ‘Überschallknallen’ genauso verloren gegenüber zu stehen, wie dies für den gewöhnlichen Bürger der Fall ist.
Die SDG weiss um ein Mittel, um den Markt so in der Gesellschaft zu halten, dass dieser weder alles überwirft und revolutioniert wie es gerade in der Gegenwart geschieht, noch daran gehindert wird, für den Menschen in gesundem Masse wirken zu können. Die SDG stellt sich nicht die Frage: “welche Bedingungen sind notwendig, auf dass der Markt so wirken kann, dass sein Wesen in seiner ganzen Grösse zum Besten ausgeschöpft werden kann”, sie stellt sich stattdessen die Frage: “was ist nötig, um den Markt weder alles andere überwältigen zu lassen, noch ihm alle Möglichkeit zu Entwicklung im Keime zu ersticken”.
Sie geht auch nicht blindlings in die andere Richtung, zur Opposition des Dynamismus, zum Rationalismus wie es der Sozialismus versucht. Der Rationalismus ist die Weltanschauung des Ja oder Nein, er ist die WA, welche alles auf die eine oder die andere Seite stellt. Dem Rationalismus sind graue Zwischenbereiche nichts Nützliches. Der Sozialismus, der wie die SDG auch ein System zum Strukturieren einer Gesellschaft ist, sieht die Unterschiede zwischen Menschen, die durch unterschiedliche Positionierung im Markt entstehen und sich über den Verlauf von Zeit verstärken, als etwas, das es zu korrigieren gilt. Der Sozialismus kann tendentiell dem Idealismus und dem Rationalismus zugeteilt werden. Und wie der Sozialismus diese Unterschiede zwischen den Menschen sieht, so versucht er das Wesen des Marktes anzupassen, auf dass es nicht ein Kampf des Einzelnen um seine eigene Stärke sei, sondern eine gemeinschaftliche Anstrengung auf ein gemeinsames Ziel hin. So möchte der Sozialismus das Wesen des Marktes für sich haben, als etwas, das allen Menschen gleichsam dient, nicht dem Einzelnen. Der Sozialismus unterwirft dadurch den Marktdynamismus, indem er dessen Exzesse durch ethische Gremien und dergleich unter Kontrolle halten will. Die SDG geht nicht in diese Richtung, sie bekämpft das Wesen des Marktes nicht, aber sie gibt ihm auch nicht die Möglichkeit, zum Fokus allen Tuns zu werden, wie es der dynamistische Kapitalismus wohl gerne täte.
Wir sehen, wie das Wirtschaftsleben in den WA seinen berechtigten Platz hat, und dort sehr imponierend wirken und sich entfalten kann. Die SDG nimmt es da jedoch weg, und setzt es an einen Ort, wo es sich nicht mehr voll ausleben kann, wo es aber auch nicht komplett in Ketten gelegt ist.
Das Rechtsleben
Wir gehen nun weiter zum Rechtsleben. Beim Rechtsleben finden wir ähnliche übergeordnete Verhältnisse wie beim Wirtschaftsleben. Auch für das Rechtsleben findet sich in den WA ein Platz, wo es am besten wirken kann. Dieser Platz ist der (empiristische) Realismus. Was der Realismus ist, wird im Folgenden gleich beschrieben.
Wenn man den Realismus versteht, so wird man sich womöglich fragen, warum es denn der Realismus sein sollte, der für das Rechtsleben am besten geeignet ist. Versteht man den Realismus richtig, so sieht man ihn als eine WA, welche sich weniger für die ‘prinzipiellen Unterschiede’ interessiert, welche zwischen Menschen vorzufinden sind, sondern eher für Eigenschaften des einzelnen. Ein prinzipieller Unterschied wäre z.B. die Zuteilung eines Menschen in bestimmte Kategorien, wie Hautfarbe, Wohlstand, Bildung usw, relativ zu anderen, welche sich davon unterscheiden. Die Kategorie Wohlstand als prinzipieller Unterschied ist demnach nicht der Betrag auf dem Konto, sondern wie sich der Lebensstandard relativ zu dem Durchschnitt der Mitmenschen verhält, also der Betrag relativ zu anderen Beträgen. Den Realismus interessieren die Eigenheiten der Menschen mehr, als der Vergleich zu den anderen Menschen.
Wäre das Rechtsleben z.B im Idealismus, würde also das Rechtsleben durch den Idealismus wirken, so wäre der Idealismus bestrebt für das Rechtsleben im Erfüllen seiner Aufgaben auf’s Äusserste zu gehen. Er würde versuchen, Prinzipien zu entwickeln zum Ermöglichen einer absoluten Gerechtigkeit und Gleichheit und dergleichen. Fände sich ein Konflikt, ein Rechtsstreit also, zwischen einem reichen und einem armen Menschen, so wäre der Reiche durch seinen Vorteil im Auge des Idealismus dadurch vorbelastet. Man sieht, wie ein intensives Verlangen nach Gerechtigkeit einem nüchternen Rechtsurteil im Wege stehen kann. Es mag ein richtiges ethisches Urteil sein, aber gleichzeitig als Rechtsurteil dennoch keine Berechtigung haben. Deswegen hat Justitia die Waage in der Hand, deswegen hat sie die Augen verbunden (Justitia ist nicht blind, wie gerne gesagt wird). Justitia würde im Idealismus die Augenbinde ablegen, und ganz genau schauen, was das für ein Mensch ist, der vor ihr steht, und wie er im Vergleich zu anderen aussieht, und sie würde ihr Urteil danach richten, wer da steht.
Justitia soll jedoch keinen Unterschied zwischen den Menschen vor ihr machen, das ist nicht ihre Aufgabe. Sie soll zum gleichen Urteil kommen, wären die Rollen von Ankläger und Verteidiger vertauscht, sie soll nur über das Geschehen urteilen, nicht über den Menschen. Das Rechtsleben soll sich mit dem eigentlichen Geschehen befassen, nicht mit Interpretationen davon, nicht mit möglichen Absichten dahinter.

Wäre das Rechtsleben im Rationalismus, der auch eine WA ist, in welcher man das Rechtsleben im ersten Moment vielleicht sehen mag (man mag Juristen gerne mal als Rationalisten sehen), so hätte man ganze andere Probleme zu bewältigen. Wäre das Rechtsleben also alleine im Rationalismus, hätte man grosse Schwierigkeiten, die Rechtsfälle in angemessenem Umfang anzuschauen. Der Rationalismus ist stets versucht, alles so weit zu vereinfachen, wie es geht, bis nur noch zwischen zwei Dingen entschieden werden muss. Der Rationalismus ist die WA des “Alles-oder-Nichts”, und für das Richten würde das bedeuten “Strafe oder keine Strafe”, alles dazwischen wäre dem Rationalismus irgendwo grundlegend zuwider. Für ein Rechtssystem ist das problematisch, da auch Lösungen gefunden werden müssen, welche einem Täter vielleicht helfen sollen, wieder an die Gesellschaft anknüpfen zu können. So ist es in manchen Fällen angebracht, einen Täter nicht notwendigerweise den Schmerz spüren zu lassen, den er bei anderen verursacht hat, sondern ihm Auswege aus einem Verhalten aufzuzeigen, das ihm langfristig nichts nützt – ein Verhalten, das ihm in anderer Form, vielleicht über längere Zeit so schadet, wie sein Verhalten seinem Opfer schadet. Sein Verhalten hat Konsequenzen, welche jedoch so weit, über so viel Zeit ausgestreckt sind, dass er sie nicht gegen den unmittelbaren Vorteil des Vergehens oder Verbrechens abwägen kann. Die Konsequenzen können sich auch lediglich in der Psyche manifestieren. Hilfe beim Wiedereingliedern in die Gesellschaft bringt tendentiell mehr, als ihn in ein Leiden zu versetzen, das ihm implizit vorgibt, dass ein Ausgleich für seine Taten alleine in einem Rechtssystem zu finden sei, nicht aber in den ausgleichenden natürlichen Gesetzen des Lebens. Man gibt mit dem Zufügen von Schmerz keine erklärende Lektion für ein Verhalten, sondern schafft, ja erzwingt eher ein neues Verhalten, das ihm dabei hilft, die Strafe besser auszuhalten (z.B. durch eine harte Schale, das typische infantile Gangstergehabe). Ob das neue Verhalten dann für andere schädlicher ist oder nicht, ist ein Münzwurf. Manche Täter werden auch nicht erkennen, dass der zugefügte Schmerz durch Isolation von der Gesellschaft mit ihrer Tat zusammen hängt, sie werden denken, dass damals das eine geschah, wo sie Macht hatten über einen anderen Menschen, und nun geschieht das andere, wo sie einer Macht unterliegen. Sie werden den Zusammenhang nicht in seiner Tiefe begreifen. Solche Täter werden sagen, dass sie den Zusammenhang verstehen, aber sie werden ihn womöglich nicht in einer Weise verstehen, der in ihnen diese tiefe, notwendige Änderung bewirkt, die man bezweckt. Es findet sich durch solche Methodik keine Lernkurve in einem Denken, das eine längere Zeitachse nicht bewältigen kann. Das Rechtssystem investiert besser darin, Tätern die Zusammenhänge ihrer Handlungen aufzuzeigen, anstatt schweigend irgendwas mit ihnen zu tun, in der Hoffnung, dass von ihnen daraus die richtige Erkenntnis gewonnen wird. Und so manches Strafen ist auch einfach nur eine gesellschaftliche Rache. Ist eine Strafe lediglich Revanche, so bewirkt das keine Besserung für eine Gesellschaft und man sollte es vermeiden.
Das Verfolgen von Drogenabhängigen ist eines von vielen anschaulichen Beispielen rationalistischer Justiz, welche die Straftaten von Abhängigen wie Diebstahl, Betrug usw, als den zentralen Punkt betrachtet, anstatt sich mit dem ganzen Umfang des Problems, wo eben die Abhängigkeit dazu gehört, zu befassen. Der Rationalismus ist ungeheuer nützlich in der Technik, in technologischen Fragen, wo man binäre Funktionen schätzt, er ist weniger nützlich, wenn die Dinge komplex sein müssen, wo ein Vereinfachen manchmal eine schlechte Idee ist.
Die Waage ist das Symbol des Rechtslebens, sie ist in etwas anderem Sinne auch das Symbol, das Zeichen des Realismus. Und da gehört das Rechtsleben hin, zum Realismus.
Vergleichen wir unsere Erkenntnis zum Stand der SDG zum Wirtschaftsleben mit den Vorstellungen der SDG zum Rechtsleben, so werden wir finden, dass sich die SDG auch beim Rechtsleben keine reine Form wünscht, sie möchte kein rein “realistisches” Rechtsleben. Wäre das Rechtsleben im Realismus, so würde es grösstmögliche Perfektion annehmen können. Die SDG lehnt dies jedoch ab, und auch hier wäre es erstaunlich, wenn man im ersten Moment nicht verwundert darüber ist. Wie kann es sein, dass man erkennt, was ein “gutes”, “gerechtes” Rechtssystem ist, ja, was das “beste”, die bestmögliche Form ist, und dann in die andere Richtung geht, dies einfach ablehnt? Will man den Menschen wirklich die bestmögliche Form von Gerechtigkeit vorenthalten?
Die SDG nimmt das Rechtsleben aus dem Realismus heraus, aber sie geht dabei nicht hin zum Gegenteil. Sie geht weg vom Realismus, aber sie bleibt auf halbem Wege stehen. Sie bleibt irgendwo zwischen Realismus und Idealismus stehen. Sie bleibt dazwischen stehen, in der Nähe des Realismus noch, aber in der Richtung des Idealismus, in der Richtung der Opposition. Sie lehnt ein Realismus-Rechtsleben ab, nicht weil es sehr gerecht wäre, sie lehnt es ab, weil es in solcher Form zu einem Mittelpunkt von allem würde, und der Gesellschaft sonst der Idealismus nach und nach abhanden käme. Das Rechtsleben benötigt etwas Idealismus, weil es sonst Schwierigkeiten hat sich dem Menschen gebührend zu behaupten. Das Rechtswesen muss sich zu grösseren Fragen äussern können, sonst werden diese Fragen von anderen beantwortet, welche dazu vielleicht besser nicht Stellung nehmen sollten. Der Idealismus zwingt das Rechtsleben auch sich selbst von Zeit zu Zeit in grösseren Fragen zu hinterfragen. Und zuletzt soll sich das Rechtsleben zwischendurch auch irren können, um sich von Zeit zu Zeit mit grösseren, reflektiven Themen konfrontiert zu sehen, und eine Entwicklung durchzumachen.
Genauso wenig, wie die Menschen dazu gezwungen werden sollen, alles in Franken, Euros und dergleichen zu rechnen, alles durch das Wirtschaften zu sehen, all ihr Tun dem Wirtschaften unterzuordnen, genauso wenig sollen die Menschen gezwungen sein, alles durch die Rechtssprechung hindurch zu sehen, all ihr Tun nach dem Rechtsleben zu richten. Tun dies vereinzelte Menschen, gehen einzelne den vollen Weg des Wirtschaftens oder des Justizierens, so ist das nicht weiter schlimm – im Gegenteil, es wird einer Gesellschaft sehr dienlich sein, gute Wirtschaftler und gute Rechtsvertreter zu haben. Diese Dinge sollen jedoch nicht der Fokus einer gazen Gesellschaft sein. Sie sollen Teil sein, aber da sollen noch viele andere Dinge Platz haben.
Justitia linst im Rechtsleben der SDG also zwischenzeitlich aus der Augenbinde hervor, ohne aber wirklich alles zu sehen. Sie trägt die Augenbinde jedoch nicht etwa, weil die Augenbinde dem Realismus in seiner Aufgabe hilft, sondern weil sich im Rechtsleben auch Nichtrealisten finden, und diese Augenbinde diesen Menschen zu mehr Realismus verhilft. Wären nur Realisten im Rechtsleben, so wären die Urteile mit oder ohne Augenbinde diesselben.
Das Geistesleben
Und nun kommen wir zum dritten Teil, der hier letzten Disziplin der SDG, dem Geistesleben. Das Geistesleben finden wir in seiner vollendeten Form beim Monadismus, woanders kann es sich nicht seinem Wesen nach vollenden. Der Monadismus ist die WA des Individuellen. Der Philosophe Leibniz hat den Monadismus als eine WA verstanden, in welcher ein jedes Ding gleichzeitig seine eigene kleine Sache ist, wie auch als Teil einer grössern Sache existiert. Das Gegenteil des Monadismus ist der Mathematizismus, der überall das Gemeinsame, Gesetzmässige sucht. Bei der WA des Monadismus wird das Geistesleben, sofern es Bildung, Kunst, religiöse Praxis usw einschliesst, zu ungekannten Höhen kommen. Geschieht Bildung durch den Monadismus, so wird jedem Schüler eine Art eigener Bildungsplan vorgelegt. Man kennt den Begriff Bildungsplan sehr gut, er wird gerne für ein nationales Konzept der Ausbildung von Kind und Jugend verwendet. Geschieht Bildung durch den Monadismus, so gäbe es nun einen solchen umfassenden Bildungsplan für jeden einzelnen; jeder einzelne Schüler bekäme einen individuell auf ihn zugeschnittenen Bildungsplan. So zeichnet sich die höchste Stufe von Erziehung aus, durch den individualistischen Monadismus.
Was für das Wirtschaftsleben wie auch das Rechtsleben wahr war, oder wahr ist, ist gleichsam für das Geistesleben wahr: eine Perfektion dieses Teiles der SDG soll auch hier nicht angestrebt werden. Würde eine Gesellschaft sich strikt auf eine monadistische Bildung, auf monadistische Kunst und Kultur fokussieren, hätte eine solche Gesellschaft nicht mehr viel Zeit und Ressourcen für anderes. Die SDG schraubt deswegen auch hier etwas zurück, und verzichtet auf Perfektion, zugunsten von etwas anderem.
Es gibt beim Geistesleben der SDG viele Praxisbeispiele, anders als wir dies für das Wirtschaftsleben für das Rechtsleben im Sinne der SDG vorfinden. Wir können an den vielen Waldorfschulen deutlich sehen, wie sich Rudolf Steiner das Geistesleben in der SDG speziell durch die Bildung gedacht hat. Wir finden da diesen Kompromiss, wo die Waldorf-Bildung mehr vom Mondadismus trägt, als die vielen durchmathematizierten Staatsschulen die rundherum vorzufinden sind, aber auch Teile mathematizistischer Strukturen erlaubt. Der Waldorfschüler wird monadenähnlich behandelt, er wird nicht stets relativ zu allen anderen Schülern bewertet, sondern individuell, und die Bewertung ist nicht einfach eine Zahl, sondern eher Rückmeldung, welche dem Schüler erläutert werden soll. Der Unterricht geht jedoch an eine ganze Klasse, nicht an Schüler um Schüler, und das ist der mathematizistische Teil der Waldorf-Schulen, der notwendige Abstand zum Extrem.
Das ‘Schneeflöcklein’ ist ein etwas abwertender, aber ein Stück weit leider auch zutreffender bildlicher Titel für die Generation der Millenier (Millenials in Englisch). Jedes solche ‘Schneeflöckchen’ sieht anders aus als alle anderen. Ein jedes ist etwas Besonderes, und es will auch so behandelt werden. Es möchte nicht mehr in eine einfache Kategorie, wie z.B. einem funktionellen Geschlecht, zugeteilt werden, es möchte lieber seine ganz eigene Kategorie sein, und die Menschen sollen viel Zeit dafür aufwenden, sich mit all seinen Besonderheiten auseinanderzusetzen, um nicht einfach eine Annahme über es zu machen. Zum einen hat das auch etwas Berechtigtes, man sollte einem jedem Menschen als ein Individuum begegnen, auf der anderen Seite kann es auch etwas Wichtigtuerisches, ja Anmassendes haben, von anderen Menschen Aufmerksamkeit für irgendwelche obskure Zwischenkategorien einzufordern. Denn solche Dinge interessieren die wenigsten wirklich. Die meisten Menschen haben fast nur sich und ihren engsten Kreis im Sinn, mit Ausnahme eines kleinen Fensterchens, das sie für fremde Eindrücke der Welt offen lassen. Es interessiert sie langfristig nicht, welchen Kategorien man nun angehört. In einer bestimmten Weise angesprochen zu werden sollte man weniger als ein Urteil verstehen, sondern besser als ein Desinteresse, so hat man eine realistischere Sicht auf die Perspektive fremder Menschen. .
Es kann so durch den Monadismus nun sein, dass man solche sich selbst nach aussen als wichtig projizierende Menschen grosszieht, die ob allen als Urteil empfundener Aussagen sogleich dahinschmelzen, und ein Tantrum veranstalten. Deswegen hat die SDG auch vom Monadismus einen gesunden Abstand in Richtung Mathematizismus, wo das Allgemeine, Vereinheitlichte, liegt, zu halten, damit man nicht weltfremde, und von Menschen entfremdete, Kasparen schafft, wo stattdessen wahre Individuen, die in einem gesunden Verhältnis zur Aussenwelt stehen, sein sollten.
Wir sind nun durch die drei Teile der SDG durch, und haben untersucht, wo sie ihre jeweilige Vollendung finden. Wir haben gefunden, dass das Geistesleben seine Krönung im Monadismus findet, dass das Wirtschaftsleben seine Krönung im Dynamismus findet, und dass schlussendlich das Rechtsleben seine Krönung im Realismus vorfindet.

Und dann haben wir gesehen, dass eine Krönung eines Teiles der SDG nicht das Ziel ist, sondern eine abgemilderte Form davon. Daraus können wir eine Folgerung machen: die SDG ist für das Gemeinwesen von Menschen nicht bestrebt, das Äusserste, das Grösste zu finden, sie ist bestrebt, einen Ausgleich zu schaffen. Die SDG hat erkannt, dass sich der Mensch da entfalten kann, wo er sich in einem Ausgleich befindet. Es ist nicht ein äusseres System, das den Menschen mit sich ziehen soll, es ist der Mensch, der sich aus sich aus seiner selbst heraus entwickeln sollte. Und durch diese Entwicklung, nach dem Entwicklungsstand der Gemeinschaft, soll das äussere System nachgezogen werden.
Einen Ausgleich zwischen den Dingen bestrebt die SDG als erstes, nicht die Krönung ihrer Disziplinen. Da sie einen Ausgleich in den Dingen sucht, kann man die SDG dem Realismus zuschreiben. Dass sie sich selbst in diesem Ausgleich als – für das Rechtsleben – zu ausgleichend identifiziert, macht sie zu einer sehr besonderen, und für die Zukunft vielleicht bedeutenden, Sache.