Der Anfang von einem Denkexperiment

Man kann ein Jahrzehnt studierend, schreibend und zuhörend in der Schule in einem Klassenzimmer hinter einem Tischchen sitzen und von den Lehrern nicht einen einzigen Satz darüber hören, was das Denken ist. Weiter kann man ein Jahrzehnt in der Schule sitzen und nicht einen Satz darüber hören, wie ein Dialog geführt wird oder was Dialog überhaupt ist. Dasselbe damit wie sich ein Satz aufbaut, wie er zu einem Schluss wird, welche Bedingungen dafür bestehen, was ein Argument eigentlich ist, usw. Solche Dinge werden nicht behandelt. Vielleicht hat man einen Lehrer der sich ein bisschen für Psychologie interessiert, und vielleicht wird ein solcher Lehrer einem davon erzählen was Fehlschlüsse sind, er wird einige Namen verschiedener falscher Annahmen (Vorurteile), falscher Vergleiche, sophistischer Spiele (rhetorische Tricksereien) oder irgendwelcher falscher Schlüsse nennen und vielleicht hat man einige von diesen gar auswendig zu lernen. Damit entsteht einem aber noch lange kein Begriff darüber, was der Begriff des ‘Denkens’ beinhaltet. Ich lerne noch lange nichts darüber was das Denken ist, geschweige denn was gutes Denken ist, wenn ich einige Arten schlechten Denkens kenne.

Das Denken wird in der Praxis, etwa in Schulen, generell nicht geübt sondern hinterhergeschleift, und hat so lediglich mit den Forderungen all der gestellten Probleme mitzuhalten. Das Denken wird dadurch nur unbewusst geübt, nämlich durch die Anwendung. Vielleicht hat man in der Jugend dann noch den guten Instinkt und persönlichen Wunsch danach, herauszufinden was das Denken ist, und kauft sich ein Büchlein wie z.B. das des Daniel Kahnemann: ‘Schnelles Denken, langsames Denken’. Dann weiss man, dass das schnelle Denken sehr wichtig ist für den Alltag (zum Beispiel beim Autofahren, wo oft recht schnell reagiert werden muss), dass aber erst das langsame Denken zu Erkenntnissen führen kann. Aber auch das gibt uns noch lange keinen brauchbaren Begriff darüber, was das Denken eigentlich ist, obschon wir nun etwas näher dran sind.

Die Weltanschauungen Rationalismus und Idealismus sind zuständig für das Denken. Für unsere Zwecke der Rationalismus für den Aufbau und die Logik von Sätzen (die Details), der Idealismus für den Aufbau von Gedankengängen, ja Gedankenpalästen (das Ganze). Die beiden Weltanschauungen sind Nachbarn, denn im Weltanschauungsprinzip teilen sich nur Nachbarn Aufgaben.

Da in der Bildung das Denken zwar unablässig gefordert aber wirklich nie besprochen wird, wird vom Denken verlangt, sich selber aufzubauen. Wie das möglich ist, dass es zu einer universellen Realität geworden ist, dass das Denken nicht besprochen wird übersteigt aber womöglich meine Denkfähigkeit. Es grenzt wohl an ein Wunder, dass die Menschen überhaupt irgendwas denken, wenn so wenige Gedanken darüber gemacht werden, was das Denken ist; denn das Denken ist gerade nicht instinkthaft, es geschieht selten automatisch, wenn es gut ist. Und gerade wenn so einfach zu sehen ist, dass wohl nur ein winziger Bruchteil der Menschen komplexere Gedanken mehr als wiederholen – wo auch immer sie geeignete finden mögen – anstatt dass sie welche selber formen, sollte sich die Notwendigkeit der bewussten Schulung und Übung des Denkens selber beweisen (selbstevident sein). Um das Denken zu schulen und zu üben müssen wir aber zuerst wissen, was das Denken eigentlich ist.

In diesem Artikel möchte ich anschauen was das Denken ist oder einen Boden schaffen um es anzuschauen, und, sofern sich daraus gute Schlüsse ergeben, andere Menschen dazu anzuregen dann darüber nachzudenken und diese Gedanken dann zu teilen. Es wäre gut, andere mit dem Denken anzustecken, denn die Tendenz ist, dass die Bildung im deutschen Raum generell noch schlechter wird als sie bereits schon ist (Obigem anknüpfend), was das gemeinsame Leben wohl immer schwerer machen wird wenn nicht dagegen angesteuert wird. Jedenfalls scheint mir durch schlechtere Bildung gesellschaftlich nichts besser werden zu können.

Was ist das eigenständige Denken

Es gibt verschiedene Arten des Denkens. Die Art, die uns hier am meisten interessiert betrifft das selbstständige Denken. Wenn ich nun nicht selbstständig denke, frage ich: denke ich dann, oder erlebe ich lediglich die Gedanken anderer? Ich denke wohl, aber das Denken geschieht mit mir (es geschieht passiv). Ich leihe mir die Gedanken aus, lasse sie durchfliessen, und lasse das meiste davon dann wieder los. Sie gehören mir nicht, auch wenn ich sie verwende, sondern sie sind Gäste bei mir. Möchte ich einen eigenen Gedanken machen, so muss ich wissen wie sich ein Gedanke machen lässt. Ich brauche dafür Wahrnehmungen, ich brauche eine Idee oder ein Bild davon wie es ist, einen Gedanken zu haben, ich brauche ein Thema zu dem ich etwas denken möchte, usw.

Wir sind wieder einmal an einem Punkt, wo sehr viele Dinge mit einem untersuchten Gegenstand zusammenhängen, und es nothwendig wird, den Zusammenhang zwischen all den Dingen herzustellen. Hierfür versuche ich ein schematisches Experiment (das ich wohl hinschreibe um es nur bald wieder zu vergessen, um dann andere Ideen zu versuchen, es wiederzuentecken, und dann mit den anderen Ideen vergleichen zu können – das ist die entstandene Methode von Kontemplation). In diesem Experiment sagen wir, dass das Denken etwas Aussergewöhnliches sei. Es ist uns hier nicht vergleichbar mit dem Fühlen und dem Wollen, es geht über diese beiden weit hinaus. Das heisst nicht, dass das Denken im menschlichen Leben eine übergeordnete Rolle spielen soll – es soll uns noch immer mit dem Fühlen und Wollen in einem Gleichgewicht sein – aber für sich genommen scheint es mir ein anderes Kaliber darzustellen als die anderen beiden. Am Denken ist etwas möglich, das keine Grenzen hat. Oder anders: am Denken ist etwas Göttliches, etwas Transzendentes, etwas scheinbar unermesslich Hohes. Vielleicht trifft das in der Entwicklung des Menschen irgendwann auch auf das Fühlen und das Wollen zu, aber nicht jetzt und somit nicht für unser Experiment.

Diesen Versuch mache ich auch, weil sich mir die Kategorien Steiners zu Beobachtung, Wahrnehmung, Denken, Erkenntnis usw. noch nicht erschlossen haben (sie sind mir in seinen Schriften zu beweglich). Vielleicht lassen sich diese separaten Kategorien mit einem vertieften Studium seiner Bücher und Vorträge, die speziell oder am Rande zu diesem Thema gemacht wurden, erschliessen, aber bisher hat sich mir noch entzogen, wie sich dazu die Kategorien genau ausmachen. Es mag weiter wohl etwas seltsam zu lesen sein, dass ich den Gedanken während dem Schreiben erarbeite und nicht einen fertigen Gedanken in einem Text niederlege (das gehört dann eher in die Rubrik Kontention, dem Streiten, als hier bei Kontemplation, dem Nachdenken, hin, obwohl es mir auch dort schwer fällt, nur fertig Gedachtes zu schreiben), aber das ist eine Methode, die ich mir leider – auf Kosten der Lesbarkeit – fast schon angewöhnt habe. Auf der anderen Seite entspricht eine solche Methode dem Wesen des Denkens, denn das Denken praktiziert nur das Prozesshafte, selber kennt es kein Ablegen und Speichern (das sind Fähigkeiten der Psyche die nicht im Denken liegen).

Das Denken als Nullpunkt

Irgendwann kommen wir zum Schnittpunkt, wo all das Wahrgenommene in etwas anderes übersetzt werden muss, in etwas für uns Verständliches und nicht mehr Allseitiges, und direkt vor diesem Schnittpunkt haben wir etwas, von dem wir vielleicht sagen können, dass es aus der (kosmischen) Einwirkung, der Wahrnehmung (Fühlen) und dem Erkennen besteht. Schauen wir in die Welt, so beteiligen wir uns selber an den Dingen die wir sehen – wir sehen dadurch z.T. uns selbst, auch wenn das abstrakt klingen wird. Weiter sehen wir die Dinge wie sie wirklich da vor uns liegen. Und drittens kommt auch etwas durch unsere Wahrnehmung, das ich eine ‘kosmische Einwirkung’ nennen würde, auch wenn sie nie unmittelbar wahrnehmbar ist (auch das ist abstrakt). Diese Dinge erschliessen sich in meinen Augen aus den Vorträgen die man so von Steiner liesst, wenn man diese zu etwas Grobem zusammenfassen müsste. Vielleicht sind da noch viele andere Dinge die an dieser Stelle berücksichtigt werden sollten, es sei der Einfachheit halber aber hiermit belassen.

Wo setzen wir nun die Erkenntnis hin? Sie muss wohl beim Erkennen liegen. Aber das Erkennen können wir schlecht hinter das Denken setzen (das heisst zeitlich nach dem Denken kommend), da unmittelbar danach viel eher das Verstehen als das Erkennen liegt. Dem Verstehen meine ich selber mehr beteiligt zu sein als dem Erkennen; dem Verstehen liegt noch mehr von mir Hinzugefügtem bei. Dadurch wird die Erkenntnis wohl zwischen das Denken und das Fühlen gesetzt. Das heisst, die Erkenntnis ist fast schon beim Denken, es führt zum Denken, es ist direkt davor, es ist dasjenige, das gerade noch kein Denken ist, das wir in gewissem Sinne aber wahrnehmen können. Vielleicht können wir sagen: die Erkenntnis ist das Wahrnehmen eines (eigenen?) Gedankens. Zeigt sich der Gedanke zum Erkennen nun als etwas ‘vor dem Denken Kommendes’ als nützlich, so soll er später ausgebaut werden, ansonsten sei er wieder zu verwerfen.

Wir nennen das Moment vor dem Schnittpunkt das ‘Erleben einer Weltanschauung‘, und das Moment danach das ‘Ausleben einer Weltanschauung‘. Diese drei Dinge vor dem Denken, die Einwirkung, die Wahrnehmung und das Erkennen, fliessen auf einen Nullpunkt zu (ein Punkt ohne endliches Potential). In diesem Nullpunkt liegt das Denken, und was auf der anderen Seite herauskommt ist dasjenige, das ich in die Welt hinausgebe, das dann mein Produkt ist, praktische die in die andere Richtung verkehrte Sache der eben genannten drei. Was herauskommt ist das Verstehen, die Handlung (Wollen) und die (menschliche) Auswirkung. Hiermit ist nicht gesagt, dass zuerst das Fühlen, dann das Denken und schliesslich das Wollen in einer solchen Folge zu geschehen hat, sondern, dass uns das Denken mit seiner Rolle im Nullpunkt all die anderen Kategorien ungefähr so hinzustellen scheint.

All die Pfeile in diesem Schema gehen von links nach rechts, aber das scheint kaum immer die Realität zu sein. Ausserhalb des Schematismus finden sich Wechselwirkungen, und die Pfeile können streng genommen wohl auch in die Gegenrichtung gehen. Das Schema soll etwas darstellen, in dem das Denken zwischen verschiedensten Dingen liegt, zwischen Einwirkung und Auswirkung, zwischen Erkennen und Verstehen, zwischen Wahrnehmung und Handlung. Wir können erstens affektiv, d.h. gedankenlos, d.h. direkt aus intensiven Gefühlen heraus handeln; wir können zweitens erkennen dass wir etwas verstehen, und drittens beeinflusst was wir bewirken die Dinge, die auf uns einwirken. Diese drei Dinge sind Beispiele die in die andere Richtung gehen. Es ist ein etwas mutwillig gewählter Punkt hier irgendwo einen Anfang zu bestimmen. Aber genug des Rechtfertigens, ich meine dass verstanden wird, was mit Obigem versucht sei.

N-ich-t

Ich bin mir nicht sicher, wie ich die Idee des Denkens als Nullpunkt darstellen sollte. Vielleicht reicht aber der Versuch einer Umschreibung der Idee. Vor einigen Wochen hörte ich den Satz einer Anthroposophin, durch den sie das ‘Nicht’ als das ‘Ich umfassend’ beschrieb (N-ich-t). Sie erklärte, dass dadurch das echte, eigenständige Denken erst möglich wird. Ich weiss nicht wo sie es gefunden hat, aber es taucht wohl irgendwo in Steiners Nachlass auf, vielleicht irgendwo in der ‘Philosophie der Freiheit‘, in der ich nach etwa fünfzig Seiten noch immer keine Aussicht auf klare Kategorien erkennen konnte, und mir erst einmal in ‘Wahrheit und Wissenschaft‘ und in ‘Grundlinien einer Erkenntnistheorie der Goetheschen Weltanschauung‘ Grundlagen für Steiners Hauptwerk erarbeiten wollte. Leider habe ich die exakten Worte vergessen und mir keine Notiz dazu gemacht, aber mit dem Wenigen das hängen geblieben ist, lässt sich wohl gerade noch arbeiten.

In einem Artikel zur Nichtzahl Null wird die Idee beschrieben, dass die Null so unendlich ist wie die Unendlichkeit. In einem anderen Artikel versuche ich dann aber zu beschreiben, dass es nur Grenzenlosigkeit gibt, Unendlichkeit im Nichttranszendenten aber unmöglich ist. Zweiteres scheint mir allerdings nur auf den Mathematismus zuzutreffen, nicht aber auf den Monadismus und den Spiritualismus. Im Geistigen gibt es überall Unendliches, nämlich überall dort wo davon gesprochen wird, dass etwas nicht ist, weil im Geistigen das Transzendente nicht nur im Bereich des Theoretischen liegt.

Mit diesen Ideen sei der Boden gegeben um Weiteres darauf zu bauen, sobald sich genügend Ideen dazu anbieten, um einen weiteren Artikel dazu zu rechtfertigen. Ich hoffe bis dahin den Vortrag oder den Abschnitt in einem Vortrag zum ‘Nicht’ oder ‘Nichts’ gefunden zu haben, und dass sich die Gedanken von sich aus etwas ordnen, da mir schwer zu fallen scheint zu diesem Thema eine gute Ordnung an Kategorien aufzubauen. Mit diesem Artikel mit meinem jetzigen Stand noch Weiteres zu versuchen wird wohl (auch mich) nur noch mehr verwirren.

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