Welches Schicksal hat das Herz, das ohne eine zum Zeitgeist passende Weltanschauung ist?
Von unten wirken Triebe hinauf zum Herzen, von oben wirken rationale Gründe hinab auf das Herz. Das Herz liegt dazwischen, und was man als Mensch vom Herzen wahrnimmt, hängt erstens davon ab, ob das Herz in der äusseren Welt eine Entsprechung findet, und zweitens, wie stark die Einflüsse von unten und von oben sind. Findet sich in der äusseren Welt nichts, das dem Herzen gleicht, so wird das Herz durch eine zunehmende Anzahl enttäuschender Erlebnisse lernen, schweigen zu müssen, denn es kann keine gesunde Sprache entwickeln, wenn es kein Ohr findet.
Das einsame Herz ist dasjenige, das sich den äusseren Umständen in der Welt anpassen muss, wenn die Umstände nicht passen. Der Kopf wird lange nichts vom Schweigen des Herzens mitbekommen. Und meint der Kopf klug genug zu sein, kann er die unbestimmbaren Schmerzen in der Brust allerlei körperlichen Dingen zuschreiben, und dann sich selbst von den eigenen Begründungen überzeugen.
Passen die äusseren Umstände in der Welt aber, und findet es Wege, sich durch die Sprache hindurch auszudrücken, so wird es stärker und wärmer. Sieht es die eigene Weltanschauung bereits durch andere Menschen (und deren Herzen) in der Welt verkörpert, so kann sich der Mensch “aus dem Herzen sprechen”, und er sieht, wie andere Menschen auch ihm aus dem Herzen sprechen.
Die lebendige Weltanschauung
Lebt ein Mensch in einer für ihn ungünstigen Kultur, in der er seine Weltanschauung um sich herum nicht so weit verkörpert sehen kann, um sich selbst darin erkennen zu können, so mag er von der eigenen Weltanschauung eine falsche Vorstellung bekommen, und sie vielleicht gar bekämpfen. Ist er z.B. ein Spiritualist in einer materialistischen Welt, so denkt er vielleicht, dass diese eine Weltanschauung z.B. vor allem bei alten Menschen zu finden sei, die kurz vor ihrem Ende noch einen echten Glauben, oder die Zeit für ihren Glauben, gefunden haben. Vielleicht denkt ein solcher Scheinmaterialist, diese Spiritualisten würden nur dasitzen und mit ernster Miene in alten Büchern lesen.
Trifft ein solches einsames Herz dann auf einmal ein anderes Herz, das ihm gleicht, das aber nicht schweigend, sondern lebendig ist, das etliche Wege gefunden hat, seiner in Menschen so selten aufblühenden Weltanschauung äussere Formen zu geben, so wird das zuvor in Einsamkeit schweigende Herz zuerst nicht die Worte finden, sich dem anderen gegenüber auszudrücken, denn es wird sich nie eine Sprache angewöhnt haben, mit der es sprechen kann. Der Kopf wird, seiner Aufgabe getreu, nur die Sprache seiner zum Herzen leider unpassenden, äusseren Umgebung kopieren, während das Herz vielleicht über Jahre hindurch schweigend auf einen möglichen Anknüpfungspunkt gewartet hat.
Das lebendige Herz wird im schweigenden wohl kaum etwas sehen können – und das schweigende, wenn es nicht genügend Geduld mit sich hat, wird vielleicht an sich selbst verzweifeln, denn es sieht sich bereits wieder in Einsamkeit gehüllt.
Das sind die Hürden vom Herzen, das ohne eine zum Zeitgeist passende Weltanschauung ist.