“Das Weltanschauungsaxiom” ist der Titel des ersten Kapitels von ‘Kontemplation’, der zweiten von drei Hauptarbeiten am Weltanschauungsprinzip (WAP). Mit dem Axiom wird nach einer Grundlage gesucht, auf der alles andere aufbauen kann. Diese Grundlage hat nicht die Bedingung, beweisbar zu sein (da bei ‘Ersten Prinzipien’ irgendwo mit etwas Unbewiesenem begonnen werden muss), aber es sollte vom Axiomsteller doch versucht werden, die Grundlage mindestens gut zu begründen.
Wie der Anfang beginnen soll
Die Frage nach dem besten Anfang für die Weltanschauungsarbeit ist eine schwierige, denn ich bin davon überzeugt, dass der Beginn einer Untersuchung alles darauf Folgende in tiefer Weise beeinflusst, und dass ein Teil des Einflusses immer unbekannt bleiben wird. Um hier nicht im Dunkeln zu tappen, sollte bewusst damit umgegangen werden wie angefangen wird.
Hilft ein Axiom?
Der Beginn der Vorarbeit soll nicht schon danach streben, ein ‘Grundaxiom’ zu bestimmen. Zuerst muss darüber nachgedacht werden, ob ein Axiom möglich ist, ob es Gültigkeit haben kann, und ob es dann sinnvoll ist. Es muss dazu über die prinzipielle Möglichkeit von Wahrheit nachgedacht werden, und ob es z.B. möglich ist, dass alles lediglich relativ ist (Relativismus). Denn wäre alles relativ, so ist das ein bedeutender Punkt, der spezielle Anforderungen an das Axiom stellt. Diese Gedanken müssen ohne zugrundeliegendes Axiom gemacht werden; sie müssen für sich selber stehen können – oder dann wird eine separate Grundlage, also ein separates Axiom, nur für die Grundfragen gebraucht.
In dieser Überlegung findet sich leider viel zirkelartige Logik. Eine Zirkellogik ist hier z.B., dass wir axiomslos denken müssen (weil wir noch kein Axiom haben), um überhaupt die Bedingung für ein gutes Axiom zu schaffen – ein Axiom das wir offenbar oder scheinbar benötigen, um eine notwendige Grundlage für unsere Gedanken zu haben. So wird ein Problem identifiziert (z.B.: “ohne Grundlage ist Wahrheit unwahrscheinlich, ohne gute Grundlage ist Wahrheit dem Zufall ähnlich”), und auch eine Lösung dazu (Axiom formulieren), und es wird mit obigen axiomslosen Fragen/Gedanken eigentlich genau entgegen der Lösung gehandelt, die aufgebaut werden will.
Die Analogie
Pierre Alizé erzählte mir einst, dass man ein Fundament einen Meter über dem Boden schwebend planen kann. Aber man kann es nicht bauen. Man kann ein Schloss auf dieses schwebende Fundament planen, aber zu einem erfolgreichen Bau wird es nie kommen. Alizé nannte dies das “Modelldenken”. Er sagte: “Die Wissenschaft ist voll mit dem Denken in Modellen.” Und er zeigte mir, wie z.B. die Physik viele einfache Fehler macht, weil sie zu viel mit Modellen arbeitet – und zu wenig mit echter Beobachtung, wo der Mensch schaut (und nicht ein Messgerät). Die ganze Physik rund um Atome z.B. ist eine Welt aus Modellen – aber die Menschen, auch die Physiker, glauben fast universell, dass es die Modelle auch als Teilchen physisch gibt.
Nennen wir die theoretische Grundlage das “Fundament”, so nennen wir die darauf aufbauenden Gedanken die “Backsteine”, und besonders bedeutende Schlüsse die “Träger”. Was ist in diesem Vergleich nun der “Plan”? Denn wir wollen nicht versuchen, planlos ein Gebäude zu errichten. Unser Plan ist eine Wahrheit, die wir annehmen. Das ist dann unser Axiom.
Wir beginnen nicht bei Gedanken dazu, was z.B. als Erstes war: Gott oder Wort, Atom oder Energie, Geist oder Wille etc, und gehen dann von da aus irgendwohin weiter. Das tun wir nicht. Unser Axiom ist ganz einfach: “Das Weltanschauungsprinzip mit seinen Implikationen ist wahr.” Oder in vier kurzen Worten: Das WAP ist wahr. Die Annahme die wir ohne Bedingung akzeptieren ist der Kreis der dutzend Weltanschauungen.
Der Kreis der dutzend Weltanschauungen (DWA) ist somit unser Modell. Das Weltanschauungsprinzip ist ein idealistisches Prinzip (auch wenn darin z.B. der Realismus gleichwertige Gültigkeit haben muss), gerade weil es ein Prinzip, also etwas Allgemeines, ist. Und die Beschäftigung mit einem Prinzip ist etwas Idealistisches. Diese Beschäftigung ist nicht idealistisch, weil sie etwa den Idealismus zum Zentrum ihrer Untersuchungen hätte (hat sie nicht), sondern weil es allgemeine Ideen sind, von denen aus dann zum Speziellen gegangen wird. Der Prozess ist idealistisch, nicht der Inhalt. Dies ist einer der Widersprüche im WAP, dass das Weltanschauungsprinzip einen bedeutenden Vorzug für den Idealismus aufweist, aber gegenüber den Zwölfen eigentlich neutral sein sollte. Das oben gefundene Axiom berührt das jedoch nicht, der genannte Widerspruch wird irgendwann nach der Axiombildung adressiert.
Von da aus gehen wir dann rückwärts, meinetwegen auch zeitlich, bis zu Genesis-Fragen und dergleichen. Und da können wir gerne Axiome zweiten oder dritten Ranges bilden und uns wieder nach vorne arbeiten, bis hin zum WAP.
Diese Lösung, die DWA als Axiom zu gebrauchen, mag einem vielleicht wie eine Faulheit erscheinen, aber eigentlich ist sie elegant. Denn wie bildet man ein Axiom nach den Bedingungen der dutzend Weltanschauungen? Jeder Satz trägt schon eine gewisse Einseitigkeit in sich – beginnt man nun z.B. bei der Frage, wie etwa der Verstand Wahrheit beurteilt, oder wie das Reale gemessen werden kann, oder wie Schöpfung nur ‘gut’ sein kann, oder wie reine Information gleich dem Geistigen sein kann (aber nicht umgekehrt), oder wie allein Materie absolute Kausalität hat, usw, jede Weltanschauung verkürzt unseren möglichen Horizont, sobald sie gegen die anderen Weltanschauungen eine führende Position in der Axiombildung hat.
Anstatt unsicher um die Weltanschauungen herumzutänzeln, und hier und da etwas zu nehmen, und dieses und jenes in einen Axiomtopf einzustreuseln, für eine über alle Weltanschauungen verteilte Axiombrühe, nehmen wir stattdessen die dutzend Weltanschauungen als Ganzes in die Mitte von allem, und machen sie zum Ausgangspunkt – einen Ausgangspunkt, den wir nicht durch etwas wie ein weltanschauungstranszendentes Axiom (also irgendwas sehr Abstraktes) und dazwischenliegenden Klugheiten zu begründen versuchen, sondern etwas, das wir dann ausbauen.
Nicht das Finden einer ‘Urfrage’, von der aus wir uns vorsichtig durch eine uralte, nebulöse Weltentwicklung bewegen, deren Ursprung aber immer okkult bleiben wird, sondern das Wichtigste und Klarste als Ausgangspunkt zu setzen – das ist es, was uns hilft zu verhindern, dass durch das Grundaxiom jeglichste einschränkende Richtung eingeschlagen wird.
Das ‘Axiom’ ist eine Behauptung, die keinen Beweis benötigt. So ist das Axiom für gewöhnlich etwas, mit dem begonnen wird, denn die Welt liefert einem keine erste Idee von sich aus – stattdessen muss man eine erste Idee oder eine erste Wahrheit suchen, finden, bestimmen, definieren – was auch immer notwendig ist, um zu vermeiden mit einer (irgendwann in der Gedankenfolge schädlichen) Einseitigkeit zu beginnen.
Anfang ähnlich Ende
Damit scheint uns eine Lösung für die Frage nach dem Axiom da zu sein, gleichzeitig entsteht aber ein neues Problem. Denn eines der Ziele, ja vielleicht das Hauptziel des Weltanschauungsprojekts, ist es, das Weltanschauungsprinzip zu beweisen. Das Axiom ist aber gerade der eine Teil in einer Folge von Gedanken, für den das Beweisen widersinnig ist. Ein Axiom verliert seinen Axiomstatus, wenn versucht wird, es zu beweisen. Es wird zur These, zum Schluss, ja vielleicht gar zum eigentlichen Beweis, aber es ist nicht mehr Axiom.
Hier müssen wir einen Zirkel ziehen, und darauf achten, dass er nicht zu einem Zirkelschluss wird. So hat die Weltanschauungsarbeit die Aufschlüsselung der dutzend Weltanschauungen zum Ziel; gleichzeitig nimmt die Arbeit die dutzend Weltanschauungen als Ausgangspunkt. Das ist ein (weiterer) Widerspruch, denn das Fundament ist unmöglich gleich dem Schloss, oder dem Haus, das auf dem Fundament zu stehen hat.
Wir teilen die dutzend Weltanschauungen deswegen in zwei Zustände. Einen Zustand brauchen wir für den Anfang, den anderen für das Ziel. So haben wir das grundlegende axiomatische Weltanschauungsprinzip (AWP) und das angestrebte teleomatische Weltanschauungsprinzip (TWP, von Telos). Das erste besteht aus einem Satz, das zweite aus dem gleichen Satz sowie allen darauf erreichten Schlüssen. Wir enden am gleichen Ort, aber das TWP wurde durch tausend Gedanken bereichert. Das erste ist ein Axiom, das zweite war ein Axiom und ist nun ein Beweis. Zwischen dem Anfangs- und dem Endprinzip findet sich das systematische Weltanschauungsprinzip (SWP). Es ist das, von dem immer gesprochen wird, wenn irgendwo “WAP” steht.
Kommentare