bookmark_border3.5.1.3-17 PZS-7: Emergenz

In der Prinzipienzusammensetzung (PZS) wurde dem allgemeinen Begriff Prinzip einige (sieben) Bestandteile (“Klassen”) zugeschrieben. Diese werden in kommenden Artikeln näher angeschaut und umgrenzt, sobald sich mir die Ideen dazu etwas umfangreicher zeigen. Dieser Artikel handelt von der 7. Klasse der Prinzipienzusammensetzung. Hier noch einmal die Übersicht:

Unterkategorien der Emergenz (EMG)

Das Besondere an der Emergenz ist ihr ständiges Überwinden einfacher Kalkulationen zum Energiehaushalt. Ihre Eigenschaften sind stets ein Überschuss zur Wirkung ihrer Elemente (Substanzen). Erst aus ihr ist wirklich Neues möglich.

Emergenz entsteht, wenn Systeme und deren Komponenten miteinander interagieren. So ist es für Emergenz notwendig, dass Systeme miteinander in einem Austausch sind.

Dieser Austausch bedingt etwas, das mit der Resonanz-Idee von Hartmut Rosa gut beschrieben werden kann: ein Komponent oder Komponentenkomplex agiert in eine bestimmte Richtung, zu einem oder mehreren Komponenten desselben oder eines anderes Systems.

Ich würde hier gerne drei Kategorien nennen, in die wir die Emergenz aufteilen können, aber mir ist noch keine Idee dazu gekommen. Die Frage nach den drei Kategorien stehen zu lassen bedeutet aber, dass eine passende Antwort eines Tages von sich aus kommen kann.

Eine Kategorie muss etwas mit ‘Kategorientranszendenz’ zu tun haben, d.h. der Schritt von einer Kategorie in eine höhere.

Zum Emergenzbegriff

Warum nicht ‘Fulguration’ für die PZS? Erstens ist es ein unschönes Wort, zweitens basiert seine Verwendung auf der falschen Annahme, dass die Emergenz ein irreführender Begriff für ihren Inhalt sei. Emergenz bedeutet ‘Auftauchen’, ‘Heraufkommen’, und dies passe nicht zur Idee, dass Neues entsteht (wie Emergenz gemeinhin verstanden wird), wenn ein System in der richtigen Weise zusammenkommt, weil etwas Auftauchendes nicht etwas Neues, sondern etwas Vorhandenes ist, das von einem Moment auf den anderen in Erscheinung tritt. Etwa so, wie ein Tiefseefisch, der auf einmal auf der Oberfläche treibt, nicht einfach entsteht weil er an der Oberfläche treibt, sondern aus irgendwelchen Gründen an die Oberfläche kam.

Emergenzen sind allerdings nicht Fische, und so kann ein Auftauchen durchaus mit einem Entstehen einhergehen. Und ganz aus dem Nichts kommt das Emergente nicht, denn es würde zu jedem anderen Zeitpunkt unter genügend ähnlichen Bedingungen ‘entstehen’, und so ist zumindest das Potential zum Vorhandensein immer vorhanden.

Anschauliches Bild

Es ist immer nützlich, Begriffe über ihr Gegenteil zu beschreiben. Hier ist das Gegenteil die ‘Submergenz’.

Beispielsweise wurde im amerikanischen Yellowstone Nationalpark vor längerer Zeit der Wolf entfernt, wohl um ein gefährliches Tier nicht frei laufen zu lassen. Dies hatte erstaunliche (negative) Auswirkungen auf die Natur, denn durch das Entfernen eines einzelnen Elements des Ökosystems ging alles kaskadenartig aus dem Ruder. Das Wild begann z.B. an Flussufern zu grasen, was es gerne tat, weil es gerne am Wasser ist um den Durst zu löschen, was den Ufern Stabilität wegnahm. Die Flüsse begannen dadurch mit der Zeit die Ufer abzubauen, und mit mehr Kraft zu reissen. Daraufhin verschwanden Insekten, weil die kleinen Wiesenflächen verschwanden, und so verschwanden auch viele Vögel, die nicht mehr die Auswahl an Insekten hatten, und dies hatte auch eine Kaskade an Folgen.
Das gibt eine neue Perspektive auf das gewaltige Artensterben der Gegenwart. Es reicht eben nicht, eine bestimmte Art zu retten – die Notwendigkeiten des ganzen Systems müssen verstanden werden (ganzheitliches Verständnis), die die natürliche Emergenz in der Natur erlauben. Durch die Komplexität der Natur ist das Verständnis deren emergenter Abläufe nicht einfach, und am besten ist ihr häufig dadurch gedient, sie Natur “einfach machen zu lassen”.

Emergenz ist das Tor zu höheren Kategorien

Elefanten und Delfine sind faszinierende Tiere mit relativ hoher Intelligenz. Sie sind an einer Schwelle zu etwas, das dem Menschen gleichen könnte, und doch sind sie fast unendlich weit davon entfernt, dies jemals zu schaffen. Es fehlt ihnen die Freiheit in der Sprache, allerlei Klänge imitieren zu können, es fehlt ihnen die Möglichkeit Hände frei zu gebrauchen (weil ihnen gegenstehende Daumen fehlen), usw. Wenn man dann den Bären als Vergleich nimmt, so finden sich bei diesem schon mehr Freiheiten mit ihrer Umwelt zu interagieren, und doch trifft alles Obige noch immer auf sie zu.

Von Delfinen und vielleicht auch vom Oktopus könnte gesagt werden, dass sie an eine Grenze gekommen sind, bei der sie nun anstehen. Sie haben maximiert, was im Wasser drinnen möglich ist. Sie haben in ihrer Entwicklung einen Flaschenhals erreicht, der sie nicht weitergehen lässt. Käme nun etwas hinzu, das ihnen den Weg zum ‘Ich’ ermöglichen kann, so wäre dies ein Schritt in eine neue Kategorie, die wir bisher nur als ‘Mensch’ kennen, die aber verbreitert werden müsste. Sie würden die neuen Menschen, und damit wäre unendlich viel mehr möglich, als diese Tiere bisher zustande bringen: sie könnten Geschichte dokumentieren und über Generationen hinweg pflegen und weitergeben; sie könnten Gesellschaftsexperimente versuchen; sie könnten Hypothesen aufstellen, ohne sie überhaupt zu testen, usw. Und das ist Emergenz, der Schritt von einer Kategorie in eine andere, wo das Neue um ein vielfaches grösser und-oder komplexer ist, als das bisherige.

bookmark_border3.5.2.1-13 Das Fremdwort für das Weltanschauungsprinzip – Der ‘Panismus’

Weltanschauungsprinzip = Weltanschauungstheorie = Panismus

Das Experimentieren mit den Begriffen schaltet mit diesem Artikel in einen höheren Gang. Die hier auftretenden Gedanken sollten vielleicht gar nicht veröffentlicht werden weil sie so spekulativ und mit Ideen zugestreut sind. Und doch könnte es später einmal interessant sein darauf zurückzuschauen und vielleicht das eine oder andere Körnchen Wahrheit daraus herauszupicken. Allerdings ist der Artikel nur scheinbar unzusammenhängend, denn es gibt einen Grund, warum sich etwa ein längerer Anfangsteil über Arten und Gattungen findet, nämlich weil erklärt werden muss, wie der Panismus (oder in einem anderen Wort: das Weltanschauungsprinzip) ausserhalb der Weltanschauungen steht (auch wenn er den Idealismus verwendet), warum sich nur eine Wertumkehrung für den Omnismus findet, nicht aber für den Panismus, und warum das alles so zu sein hat.

Gattungen und Arten

Das Studium der Weltanschauungen wie sie im Weltanschauungsprinzip Steiners dargestellt werden, ist eine Alethiologie (das Studium der Natur [Form] und des Wesens [Essenz] der Wahrheit). Das Weltanschauungsstudium ist eine Aufgabe des Idealismus mit positiven, vertiefenden Auswirkungen auf alle Weltanschauungen.

Die dutzend Weltanschauungen sind Teil von einem Prinzip. Das Prinzip hat vier Gattungen, das Dutzend ist die vierte und damit unterste Gattung (Dutzend Weltanschauungen, DWA). Jede Gattung besteht aus ‘Arten’, das Dutzend z.B. hat zwölf Arten. Werden die Arten der vier Gattungen zusammengezählt, so erhält man 23 Arten. Die vierte Gattung hat zwölf Arten, die dritte Gattung hat sieben Arten, die zweite Gattung hat drei Arten, und die erste Gattung schliesslich besteht aus nur einer Art. Zwölf und sieben und drei und eins ergibt dreiundzwanzig. Keine Art kann sich in der Welt zeigen, ohne sich mit einer Art aller anderen drei Gattungen zu kombinieren. Tatsächlich werden immerzu vier Arten über alle vier Gattungen hinweg kombiniert. Die Kombination über Gattungen hinweg ist nicht nur möglich, sie ist immer notwendig.

Die vier Gattungen im Weltanschauungsprinzip sind:

  1. Der Anthropomorphismus DAM
  2. Drei Seelentöne DST
  3. Drei plus vier Visibilitätsstufen DVS
  4. Dutzend Weltanschauungen DWA

Ganz anders verhält es sich mit Kombinationen innerhalb einer einzelnen Gattung. Wird also etwa versucht zwei Arten derselben Gattung zu kombinieren, geschehen schnell einmal wilde und oftmals verkehrte Sachen. Damit ist nichts ausgeschlossen, und bedeutende Werke sind durch solche Kombinationen entstanden und weiter möglich (das kommunistische Manifest ist z.B. eine ‘erzwungene’ Kombination des Idealismus mit dem Materialismus), aber Wechselwirkungen innerhalb einer einzelnen Gattung erfordern das Erfüllen einiger Bedingungen. In anderen Worten geschehen Kombinationen im Weltanschauungsprinzip immer gleichzeitig über die vier Ebenen hinweg, seltener auch innerhalb derselben Ebene.

Nun haben wir noch eine Gattung, nämlich die Gattung über den vier obigen Gattungen. Diese Gattung hat den Namen Omnismus. Dies macht die vier obigen Gattungen, nach der Kategorienlehre, zu den ‘vier Arten’ der übergeordneten Gattung. Denn Gattungen werden zu Arten degradiert, wenn etwas Allgemeineres das über ihnen steht ins Blickfeld rückt. Das Obere, Zusammenfassende, nennt sich Gattung, das Untere, Spezielle, nennt sich dann Art.

Der Omnismus

Der Omnismus ist nun eine Ausnahme zu dieser Regel weil er keine ordentliche Gattung ist, denn die Gattungen sind lediglich das ‘Allgemeine der Arten’. Der Omnismus ist aber nicht nur ein Allgemeineres, sondern ein mit den 23 Arten immerzu Wechselwirkendes. Der Omnismus ist auch etwas Eigenes, das zwar keine weiteren als die 23 Arten umfasst und doch weit mehr enthält, als in den 23 Arten drinnen ist (als Vergleich: etwa wie ein menschlicher Körper weit mehr als die Zellen der Organe ist, denn erst wenn alles zusammenspielt ist Leben vorhanden). Somit ist der Omnismus zwar übergeordnet, aber er ist nicht Gattung, sondern so Art, wie die den vier Gattungen untergeordneten Arten Arten sind. Der Omnismus ist zu den 23 Arten des Weltanschauungsprinzips eine separate Art. Man denke sich die vier Gattungen DWA, DVS, DST und DAM zwischen den 23 Arten und dem Omnismus. Der Omnismus ist auf der anderen Seite der vier Gattungen.

So können wir sagen: Die übergeordnete Art ist der Omnismus; und dieser schöpft sich als erstes aus dem Kreis der dutzend Weltanschauungen. Er ist die ’emergente Qualität’ aus den dreiundzwanzig Weltanschauungen, und er hat eine Wechselwirkung mit ihnen. Er ist ein Spiegel zu den 23, er ist etwas, das als Spiegel wirklich nur im Geistigen selber tatsächlich vorhanden ist. Dadurch ist der Omnismus zwar übergeordent, aber gleichzeitig auch Teil der Weltanschauungen. Er ist die jedem Menschen unmögliche vierundzwanzigste. Es könnte für die dutzend Weltanschauungen wohl auch gesagt werden, dass er die dreizehnte ist, die inmitten der dutzend Weltanschauungen steht, und von der Mitte dieses Kreises aus die Wechselwirkungen des Dutzends mit den höheren Gattungen beschaut. Wohl könnte auch gesagt werden, dass der Omnismus seiner Grösse nach Gattung sein sollte, seinen Aufgaben nach aber die Qualität einer separaten Art hat. Er ist eine gattungslose Art.

Wir haben im Weltanschauungsprinzip also vierundzwanzig Arten (grau) und vier Gattungen (Nummern).

Die Gattungen und Arten werden durch etwas umfasst, das nicht in einer Wechselwirkung mit ihnen steht: dem Panismus. Davon sollte dieser Artikel eigentlich handeln.

Es wäre aber nicht weltanschauung.org wenn nicht zuerst tausende Umwege erkundet werden, bevor auf die Sache zugegangen wird. Denn es eilt hier nicht, hier muss nicht ein Ziel um das andere abgehäkelt werden. Vielmehr lässt man sich von den Ideen treiben, denn wer weiss was auf einen zukommt, wenn nicht einfach nur ein Ziel um das andere möglichst zeiteffizient erreicht werden muss. Es wird mehr möglich, als der eigene Kopf auf Gedeih und Verderb in die Welt hinein zu zwingen vermag. Das Wesen der Welt kann durch Geschehenlassen des Denkens erkundet und entdeckt werden.

Der Omnismus und seine Umkehrung

Das ‘Gegenstück der Güte’ des Omnismus ist der Nihilismus.

Im Artikel “Die grosse Notwendigkeit der dutzend Weltanschauungen” wurde der Nihilismus als die ‘Wertumkehrung des Weltanschauungsprinzips’ beschrieben. Ich möchte das in diesem Artikel noch etwas genauer eingrenzen. Es geht somit an dieser Stelle kurz darum, das Weltanschauungsprinzip als etwas zu benennen das sich sprachlich besser darstellen lässt als durch das Zusammenfügen von drei Worten (Welt-Anschauungs-Prinzip): durch das Wort Panismus. Der Nihilismus ist nicht die Wertumkehrung des Weltanschauungsprinzips (oder synonym dazu eben der Weltanschauungstheorie). Die Wertunkehrung des Panismus ist die Nihilismustheorie; aber ob da wirklich eine Theorie möglich ist weiss ich nicht (vermutlich ist es möglich, aber ich möchte es nicht herausfinden), weil derartige Antistrukturen zum Nichts tendieren, und auf dem Weg dahin zerstören was sie können und dabei Lärm und Chaos bewirken. Eine Theorie ordnet die Zusammenhänge, und das Gegenstück davon zerstreut sie. Eine Nihilismustheorie untersucht wohl, wie die Anschauungsentstellungen (Wertumkehrung der Arten Gattungen im Panismus) sich voneinander unterscheiden, wie sie durch ihre Wechselwirkung Lärm bewirken, was die Arten des Lärms sind, usw.

Das Weltanschauungsprinzip, respektive die Weltanschauungstheorie mit den Prinzipien wie Polaritätsprinzip, Similaritätsprinzip und weiteren., ist repräsentiert durch das Fremdwort Panismus.

Der Panismus untersucht die Eigenschaften und Wechselwirkungen aller Folgenden Kategorien:

No.
Art
PrinzipienteilKategorieKennzeichnung
mit
Sonderzeichen
Kennzeichnung
ohne
Sonderzeichen
1.OmnismusArt
(oberste)
óO2
Der Anthropomorphismus GattungDD2
2.AnthropomorphismusArtaA1
Drei Seelentöne GattungD3
3.TheismusArttT1
4.IntuitismusArtíI2
5.NaturalismusArtnN1
Drei plus vier Visibilitätsstufen GattungD4
6.GnostismusArtgG1
7.LogismusArtlL1
8.VoluntarismusArtvV1
9.EmpirismusArteE1
10.MystismusArtM4
11.TranszendentalismusArtT2
12.OkkultismusArtoO1
Dutzend Weltanschauungen GattungD5
13.MathematismusArtḿM2
14.RationalismusArtrR1
15.IdealismusArtiI1
16.PsychismusArtP3
17.PneumatismusArtP2
18.SpiritualismusArtśS2
19.MonadismusArtM3
20.DynamismusArtdD1
21.RealismusArtŕR2
22.PhänomenalismusArtpP1
23.SensualismusArtsS1
24.MaterialismusArtmM1
Die vier Gattungen und vierundzwanzig Arten des Panismus.

Was der Panismus will und was er nicht will

Hier sollte etwas näher auf allgemeine philosophische Begriffe eingegangen werden, und was unter dem Weltanschauungsprinzip nicht verstanden werden sollte. Als erstes dazu, was das Weltanschauungsprinzip (der Panismus) nicht will:

  • Das WAP will keine Philosophia perennis (ewige Philosophie) oder Philosophia perennis et universalis (ewige und immergültige Philosophie) auch wenn der Idealismus eine solche Philosophie möchte, denn die Eigenschaften des WAP sind unmöglich im Widerspruch mit auch nur einer einzigen Weltanschauung, und eine ewige Philosophie würde mindestens den Weltanschauungen um den Dynamismus herum widersprechen (wo immer, bis in die Essenz hinein, Wandel geschieht). Das Dagegen des Willens einer Weltanschauung ist hier relevanter als das Dafür, da ein Dafür einstimmig sein muss, wenn es das WAP als Ganzes repräsentieren soll.
  • Das WAP will für die einzelnen Weltanschauungen keinen Universalismus (Universalgültigkeit einzelner Weltanschauungen oder einzelnen Teilen daraus), da der Universalismus dafür unmöglich ist. Die Ausnahme dazu (aus der Sicht des WAP) ist das WAP selber – als Überbegriff der Weltanschauungsgattungen und -arten. Dies, weil der Universalismus (abgesehen von Anwendungen des WAP, z.B. die zwölf Jünger Christi) nie eine Allseitigkeit der Weltanschauungen, sondern stets eine Auswahl daraus ist. Der Universalismus des WAP darf nie zu einem Universalismus des Idealismus werden.
  • Das WAP will keinen Relativismus (der sagt dass keine Wahrheit für sich stehen oder absolut sein kann), denn jede Weltanschauung kann für sich und ihren ‘Bereich’ (Bereich ist je nach Gattung Domäne oder dann Domizil einzelner Arten) sowohl für sich allein stehende wie auch absolute Aussagen machen. Der Relativismus ist hier relevant, weil er eine bedeutende (negative) Wirkung auf den Idealismus hat, und das WAP (gleich auch die Weltanschauungstheorie) im Kern idealistisch ist.

Was das WAP (der Panismus) für sich will, oder was durch das WAP in manchen Fällen ermöglicht wird:

  • Das WAP will Eklektizismus (die Verbinung verschiedener Strömungen, Stile, Disziplinen), dies eher unter einzelnen Arten verschiedener Gattungen des WAP, weniger unter den – polaren – Arten innerhalb einer einzelnen Gattung
  • Dasselbe wie für den Eklektizismus gilt für den Synkretismus (das Verbinden verschiedener Denk- und Glaubensarten).
  • Das WAP will Pluralismus (die gleichzeitige Gültigkeit verschiedenartiger, nicht weiter reduzierbarer Grundsätze, Grundlagen usw).
  • Das WAP will Holismus (Ganzheitlichkeit), oder die Berücksichtigung des Verschiedenartigen, weil die dutzend Weltanschauungen von Gegenartigkeiten geprägt sind. Die Gegenart zum Holismus ist der Reduktionismus, der alles entfernt was sich für eine Aufgabe nicht direkt aufdrängt.

Omnismus und Panismus

Das lateinische Wort omnis (alles, gesamt) in Verbindung mit dem Suffix -ismus bildet den Omnismus; den Überbegriff für die zueinander geordneten Weltanschauungen. Der Omnismus ist aber nicht das Fremdwort für das Weltanschauungsprinzip.

Das Wort Panismus (altgriechisch πᾶν pān [all-] und des später latinisierten -ισμός -ismós) als eine Philosophie von Allem ist nirgendwo zu finden. Am nächsten kommt der Theo-Panismus sowie Mythen um den schwer aushaltbaren Hirtengott ‘Pan‘, aber bestimmt wurde es in der Vergangenheit schon für eine Allphilosophie gebraucht1 Schrecken“ bewirkte. (Vgl. Hermann Jens, Mythologisches Lexikon, Wilhelm Goldmann Verlag, München: 1958, S. 72 f) PDF hier: https://edoc.ub.uni-muenchen.de/23801/1/Perdichizzi_Concetta.pdf

  • Die Kombination ‘Theo-Panismus’ ist mancherorts zu finden.
  • Manche Abkürzungen enden in PAN, etwa die mexikanische National Action Party, deren Politk Panismus genannt werden kann.
  • usw. ]
  • Der Panismus ist näher am Altgriechischen, der Omnismus näher am Lateinischen (folglich die unterschiedlich dargestellte Etymologie).

    Jede Weltanschauung hat ihre Domäne (Eigengut, d.i. ihren eigenen Bereich), ihre Kodomäne (Gemeingut, das sind die Bereiche der Nachbarn auf dem Weltanschauungskreis) und ihre Nichtdomäne (Fremdgut, d.i. der Gegenpol auf dem Weltanschauungskreis). Die Visibilitätsstufen haben dann ihre jeweiligen Domizile (und Exile) in den dutzend Weltanschauungen. Die Domäne des Panismus liegt innerhalb des Idealismus, aber der Inhalt seiner Beschäftigung ist universell. Die Domäne des Omnismus ist viel weiter ausgedehnt: seine Domäne ist alles, von Repräsentation über Form bis Wesen. Seine Kodomäne ist dasselbe wie seine Domäne, denn er hat nichts neben sich. Seine Nichtdomäne ist das (in weitestem Sinne) von Seiendem Wegnehmende, namentlich der Nihilismus.

    Referenzen, Anmerkungen

    1. Einige Beispiele sonstigen Gebrauchs in der Gegenwart:

      • https://de.frwiki.wiki/wiki/Panisme
      • Im Zusammenhang mit der Gottheit Pan, aber fremd der Herkunft des Begriffes: “Panik, ein an die Masse gekoppelter Angstzustand, und Panismus, die Fähigkeit oder gar die rauschhafte Lust des Einzelnen, sich an das Ur-Eine zu binden und Teil davon zu werden, teilen sich das Adjektiv ‘panisch’ und sind beide auf die gleiche Figur zurückzuführen: Pan. Pan gehört zu den Nachfolgern des Dionysos und war in der griechischen Mythologie zwar Gott der Berge und Beschützer des Mittagsschlafs (die panische Stunde). Gleichzeitig jedoch leitet sich aus seinem Namen die Panik als Angst her, weil seine Stimme und seine Erscheinung so furchtbar waren, dass er in den anderen Panik, den sogenannten „panische[n

    bookmark_borderDie Theodizee 1 – Vorrede

    Die Theodizee ist eines der bedeutendsten Bücher der Geschichte, in ihm wird ein theistischer Rationalismus vertreten. Es gab vielen Denkern eine Herausforderung es zu widerlegen, und es kann wohl als ein Anstoss zum deutschen Idealismus betrachtet werden, denn es war ein zentrales Werk für Immanuel Kants Rationalismus (wenn auch in Abgrenzung zu dem was von Leibniz argumentiert wurde). Es wurde von Gottfried Wilhelm Leibniz (GWL, 1646-1716) geschrieben und 1710 veröffentlicht. Das folgende ist der erste von neun Teilen einer Abschrift der Übersetzung einer Ausgabe aus dem Jahr 1897.

    Die Theodizee-Serie hat auf weltanschauung.org neun Teile:

    • Die Theodizee 1 – Vorrede
    • Die Theodizee 2 – Abhandlung I
    • Die Theodizee 3 – Abhandlung II, erster Teil
    • Die Theodizee 4 – Abhandlung II, zweiter Teil
    • Die Theodizee 5 – Abhandlung II, dritter Teil
    • Die Theodizee 6 – Anhang I
    • Die Theodizee 7 – Anhang II
    • Die Theodizee 8 – Anhang III
    • Die Theodizee 9 – Anhang IV

    Die Theodizee

    Gottfried Wilhelm Leibniz
    Philosophische Werke. Vierter Band: Die Theodicee.
    Leipizig; Verlag der Dürr’schen Buchhandlung; 1879
    Philosophische Bibliothek; Band 71
    Übersetzt von J.H.v. Kirchmann
    Abgeschrieben und mit etwas neuer deutscher Rechtschreibung versehen durch steinerschüler.

    Inhalts-Übersicht

    KapitelUnterkapitelSeite
    Vorrede1
    Abhandlung I: Über die Übereinstimmung des Glaubens mit der Vernunft §1 – 8733
    Abhandlung II: Über die Güte Gottes, die Freiheit des Menschen und den Ursprung des Übels97
    erster Teil, §1 – 10697
    zweiter Teil, §107 – 240178
    dritter Teil, §241 – 417297
    Anhang I: Kurze Darstellung der Streitfrage, auf förmliche Schlüsse zurückgeführt425
    Anhang II: Betrachtungen über das Werk, welches Herr Hobbes im Englischen über die Freiheit, die Notwendigkeit und den Zufall veröffentlicht hat439
    Anhang III: Bemerkungen zu der Schrift vom Ursprung des Übels, welche vor kurzem in Englang erschienen ist455
    Anhang IV: Die Sache Gottes, verteidigt durch die Versöhnung seiner Gerechtigkeit mit seinen übrigen Vollkommenheiten und mit all seinen Handlungen503

    Die Ziffern und Buchstaben innerhalb des Textes beziehen sich auf die gleichen Ziffern und Buchstaben, mit welchen die von J. H. v. Kirchmann herausgegebenen einzelnen Erläuterungen zur Theodicee bezeichnet sind. J. H. v. Kirchmanns Erläuterungen sind aus triftigen Gründen nicht mit in die vorliegende Ausgabe von Leibniz’ philosophischen Werken aufgenommen. Sie sind als Band 72 der philosophischen Bibliothek gesondert erschienen.

    Vorrede

    Zu allen Zeiten hat die grosse Masse der Menschen ihre Gottesverehrung in Formalitäten verlegt; die wahre Frömmigkeit, d.h. das Licht und die Tugend ist niemals das Erbtheil der Menge gewesen; darüber darf man sich nicht wundern, denn nichts stimmt mehr zur menschlichen Schwachheit. Das Äussere drängt sich uns auf; das Innere verlangt dagegen Erwägungen, zu denen nur Wenige sich die Fähigkeit erwerben. Die wahre Frömmigkeit besteht in Grundsätzen und deren tätiger Befolgung; die Formalitäten der Gottesverehrung ahmen jener nur nach und sind von zweierlei Art; die einen bestehen in zeremoniellen Handlungen, die anderen in Glaubensformeln. Die Zeremonien ähneln den tugendhaften Handlungen und die Glaubensformeln sind gleichsam Schatten der Wahrheit und nähern sich mehr oder weniger dem reinen Lichte. Alle diese Formalitäten wären löblich, wenn die, welche sie erfunden haben, sie so eingerichtet hätten, dass sie im Stande wären, das zu bewahren und auszudrücken, wovon sie die Abbilder sind, und wenn die religiösen Zeremonien, und die kirchliche Zucht, so wie die Kegeln der Gemeinschaften und die menschlichen Gesetze dem göttlichen Gesetze gleichsam als eine Art
    Einhegung dienten, welche uns von der Annäherung an das Laster zurückhielte, uns an das Gute gewöhnte und uns mit der Tugend vertraut machte. Dies war das Ziel von Moses und von andern guten Gesetzgebern; es war das Ziel der weisen Begründer der religiösen Orden und vor allen das Ziel von Jesus Christus, des göttlichen Stifters der reinsten und aufgeklärtesten Religion. Ebenso verhält es sich mit den Glaubensformularen ; man könnte sie zulassen, wenn sie überall mit den Heilswahrheiten übereinstimmten, selbst wenn sie die Wahrheit, um die es sich handelt, auch nicht ganz enthielten. Allein nur zu oft trifft es sich, dass die Gottesverehrung in äusserlichen Handlungen erstickt wird und
    dass das göttliche Licht durch die Meinungen der Menschen verdunkelt wird.

    Die Heiden, welche die Erde vor der Gründung des Christenthums bewohnten, hatten nur eine Art von
    Formalitäten; sie hatten Ceremonien in ihrer Gottesverehrung, aber sie kannten keine Glaubensartikel und
    sie hatten nie daran gedacht, aus ihrer dogmatischen Gotteslehre Formeln zurecht zu machen. Sie wussten nicht, ob ihre Götter wirkliche Personen oder nur Symbole von Naturmächten, wie von der Sonne, den Planeten und den Elementen waren. Ihre Mysterien bestanden nicht aus schwer verständlichen Glaubenssätzen, sondern nur in gewissen geheimen Verrichtungen, von welchen die weltlichen Leute, d.h. die nicht Eingeweihten, ausgeschlossen waren. Diese Verrichtungen waren oft lächerlich und widersinnig und man musste sie geheim halten, um sie vor Verachtung zu schützen. Die Heiden hatten ihren Aberglauben; sie rühmten sich der Wunder; alles war bei ihnen voll von Orakeln, Vogelschauen, Prophezeihungen und Offenbarungen; die Priester erfanden Zeichen von dem Zorne und von der Liebe der
    Götter, deren Dolmetscher zu sein sie behaupteten. Sie beabsichtigten, die Geister durch Furcht und Hoffnung in Bezug auf die menschlichen Ereignisse zu leiten; aber die grosse Zukunft eines jenseitigen Lebens war dabei kaum in Aussicht genommen; man gab sich nicht die Mühe, den Menschen wahre Ansichten von Gott und der Seele beizubringen.

    Von allen Völkern des Alterthums waren es nur die Hebräer, welche öffentliche Glaubenssätze in ihrer Religion hatten. Abraham und Moses haben den Glauben an einen einzigen Gott begründet, welcher die Quelle alles Guten und der Urheber aller Dinge ist. Die Hebräer sprechen von ihm in einer, der erhabenen Substanz würdigen Weise und man staunt, die Bewohner eines kleinen Stückes der Erde aufgeklärter als den übrigen Teil der Menschheit zu sehen: Die Weisen bei den übrigen Völkern haben vielleicht über Gott mitunter dasselbe ausgesprochen, aber sie sind nicht so glücklich gewesen, dass man ihnen genügend gefolgt wäre und dass ihre Lehre zum Gesetz erhoben worden wäre. Indess hatte Moses die Lehre von der Unsterblichkeit der Seele in seinem Gesetze nicht aufgenommen. Diese Lehre stimmte mit seinen Ansichten, sie ging von Hand zu Hand, aber sie war in keiner gemeinverständlichen Weise anerkannt; erst Jesus lüftete den Schleier und obgleich ohne Macht in seinen Händen, lehrte er doch mit der ganzen Macht eines Gesetzgebers, dass die unsterblichen Seelen in ein anderes Leben übergehen, wo sie den Lohn für ihre Thaten erhalten sollen. Schon Moses hatte gute Vorstellungen von der Grösse und Güte
    Gottes geäussert, mit denen viele der gebildeten Völker heute übereinstimmen; aber erst Jesus Christus sprach alle daraus sich ergebenden Folgesätze aus und er liess erkennen, dass die göttliche Güte und Gerechtigkeit vollständig aus dem erhelle, was Gott für die Seelen bereite.

    Ich will hier nicht auf die übrigen Punkte der christlichen Lehre eingehen, sondern nur zeigen, wie Jesus
    Christus es erreichte, dass die natürliche Religion zum Gesetz erhoben wurde und sie das Anselm öffentlicher Glaubenssätze erhielt. Er allein vollbrachte das, was viele Philosophen vergeblich versucht hatten und als die Christen endlich die Oberhand in dem Römischen Reiche erlangt hätten, welches den bessern Teil der bekannten Erde befasste, ward die Religion der Weisen zur Religion der Völker. Auch Mahomed entfernte sich demnächst nicht von diesen grossen Lehrsätzen der natürlichen Religion und seine Anhänger verbreiteten sie unter die entferntesten Völker Asiens und Afrikas, zu denen das
    Christentlium noch nicht gebracht worden war. Sie zerstörten in vielen Ländern den heidnischen Aberglauben, welcher der wahrhaften Lehre von der Einheit Gottes und der Unsterblichkeit der Seelen entgegenstand.

    Es erhellt, dass Jesus Christus in Vollendung dessen, was Moses begonnen, verlangt hat, dass die Gottheit nicht blos der Gegenstand unserer Furcht und Verehrung, sondern auch unserer Liebe und Zuneigung sei. Damit machte er die Menschen schon im Voraus glücklich und gab ihnen einen Vorgeschmack von der kommenden Seligkeit; denn nichts ist angenehmer, als das zu lieben, was der Liebe würdig ist. Die Liebe ist derjenige Gemütszustand, welcher sich an den Vollkommenheiten des geliebten Gegenstandes erfreut und Gott ist dieser vollkommenste und erfreulichste Gegenstand. Es genügt, um ihn zu lieben, dass man seine Vollkommenheiten betrachte und dies ist leicht, weil wir deren Vorstellungen in uns selbst vorfinden. Die Vollkommenheiten Gottes sind dieselben, wie die unserer Seele, nur dass Gott sie in unbegrenztem Masse besitzt. Er ist der Ozean, von dem wir nur Tropfen empfangen haben; in Uns wohnt einige Macht, einiges Wissen, einige Güte; aber in Gott sind sie in aller Fülle vorhanden. Die Ordnung, das Ebenmass, die Übereinstimmung entzücken uns; die Malerei und die Musik sind Funken davon; aber Gott ist ganz Ordnung, er bewahrt stets die Richtigkeit der Verhältnisse und er bewirkt die allgemeine Übereinstimmung. Alles Gute ist eine Ausbreitung seiner Strahlen.

    Hieraus erhellt, dass die wahre Frömmigkeit und selbst das wahre Glück in der Liebe zu Gott besteht, aber in einer verständigen Liebe, deren Kraft mit Einsicht verbunden ist. Diese Art der Liebe lässt an den
    guten Handlungen jenes Vergnügen finden, welches der Tugend eine Stütze gewährt, und welches indem es alles auf Gott, wie auf den Mittelpunkt bezieht, das Menschliche in das Göttliche überführt. Denn indem man seine Pflicht tut und der Vernunft gehorcht, erfüllt man die Vorschriften der höchsten Vernunft; man richtet alle seine Absichten auf das gemeine Beste, welches von dem Ruhme Gottes nicht verschieden ist. Man findet alsdann, dass nichts den eigenen Interessen mehr entspricht, als die allgemeinen Interessen zu den seinigen zu machen und man sorgt für sich seihst, wenn man mit Freuden
    den wahren Vorteilen der Menschheit dient. Mag unser Streben Erfolg haben oder nicht, so sind wir doch mit dem, was geschieht, zufrieden, sobald wir uns in den Willen Gottes ergeben und wir wissen, dass das, was er will, das Bessere ist. Aber schon ehe Gott seinen Willen durch die Ereignisse erkennbar macht, trachtet man, ihm entgegen zu kommen, indem man das tut, was seinen Vorschriften am meisten zu entsprechen scheint. Bei einer solchen Gemütsverfassung, werden wir durch den schlechten Erfolg nicht entmutigt und beklagen nur unsere Fehler. Trotz der Undankbarkeit der Menschen; lassen wir in der Übung unserer auf das Wohltun gerichteten Neigungen nicht nach. Unsere Liebe ist demütig und voll Mass; sie strebt nicht nach der Herrschaft. Gleich aufmerksam auf unsere Fehler, wie auf die Talente Anderer, sind wir immer bereit, unsere Handlungen zu prüfen und die der andern zu entschuldigen und wieder gut zu machen, lediglich um uns selbst zu vervollkommnen und Niemandem Unrecht zu tun.
    Ohne Mildtätigkeit giebt es keine Frömmigkeit und man kann keine aufrichtige Gottesfurcht zeigen, wenn man nicht dienstfertig und wohlthätig ist.

    Gute Anlagen, eine vorteilhafte Erziehung, der Verkehr mit frommen und tugendhaften Personen können viel dazu beitragen, dass unsere Seele zu solcher schönen Verfassung gelangt; aber das was sie darin am meisten befestigt, sind die guten Grundsätze. Ich habe es schon gesagt; man muss die Einsicht mit dem Eifer verbinden; die Vervollkommnung unseres Geistes muss der unseres Willens die Vollendung geben. Das tugendhafte Handeln kann ebenso wie das lasterhafte Handeln die Wirkung einer blosen Gewohnheit sein; man kann daran Geschmack finden; wenn aber die Tugend vernünftig ist, wenn sie sich auf Gott, als die höchste Vernunft der Dinge bezieht, so ist sie auf die Erkenntniss gegründet. Man könnte Gott nicht lieben, wenn man seine Vollkommenheiten nicht kennte und diese Kenntniss schliesst die Grundsätze der wahrhaften Frömmigkeit in sich. Das Ziel der wahren Religion soll dahin gehn, dass sie dem Gemüte der Menschen eingepflanzt werde. Dennoch haben sich sonderbarer Weise die Menschen und die
    Lehrer der Religion oft weit von diesem Ziele entfernt. Gegen den Willen unseres göttlichen Herrn ist die Andacht oft in Zeremonien umgewandelt und die Lehre mit Formeln überladen worden. Sehr oft waren diese Zeremonien nicht dazu angethan, um die Uebung der Tugend zu stützen; und die Formeln waren oft nicht klar und verständlich. Sollte man es glauben, die Christen haben gemeint gottergeben sein zu können, ohne doch ihren Nächsten zu lieben, und fromm, ohne Gott zu lieben. Ja man hat wohl auch gemeint, seinen Nächsten lieben zu können, ohne ihm nützlich zu sein und Gott zu lieben, ohne ihn zu kennen. Mehrere Jahrhunderte sind verflossen, ohne dass die öffentliche Meinung diesen Mangel bemerkt hat und noch sind grosse Überreste von dem Reiche der Finsterniss vorhanden. Man hört oft Leute, die selbst mit dem Unterricht zu tun haben, viel von der Frömmigkeit, von der Hingebung, von der Religion sprechen, aber man findet sie sehr wenig von den göttlichen Vollkommenheiten unterrichtet. Sie haben falsche Vorstellungen von der Güte und Gerechtigkeit des Herrn der Welt; sie bilden sich einen Gott, der weder der Liebe, noch der Nachahmung wert ist.

    Dergleichen ist nach meiner Meinung mit gefährlichen Folgen verknüpft, weil es von ausserordentlicher Wichtigkeit ist, dass die unmittelbare Quelle der Frömmigkeit nicht verunreinigt werde. Die alten Irrümer derer, welche die Gottheit angeklagt und einen schlechten Herrscher aus ihr gemacht haben, sind in unsern Tagen mitunter wieder hervorgesucht worden; man beruft sich auf die unwiderstehliche Macht Gottes, während man vielmehr seine erhabene Güte hätte darlegen sollen; man hat eine despotische Gewalt dahingestellt, wo man sie als eine von der höchsten Weisheit geleitete Macht hätte begreifen sollen. Diese Ansichten, die so grosses Unheil stiften können, werden, so viel ich bemerkt habe, vorzüglich auf die verworrenen Begriffe gestützt, welche man sich von der Freiheit, Notwendigkeit und dem Schicksal gebildet hat, und ich habe mehr als einmal, wo die Gelegenheit sich dazu bot, zur Feder gegriffen, um diese wichtigen Begriffe deutlicher zu machen. Indess habe ich zuletzt mich genöthigt gesehen, meine Gedanken über all diese, mit einander verknüpften Dinge zu sammeln und dem Publikum mitzuteilen. Dies ist in den Abhandlungen geschehen, welche ich hier dem Publikum übergebe und welche über die Güte Gottes über die Freiheit des Menschen und den Ursprung des Bösen handeln. Es giebt zwei Labyrinthe, in denen unsere Vernunft sich sehr oft verirrt; das eine betrifft die grosse Frage von der Freiheit imd der Nothwendigkeit, insbesondere in Bezug auf die Hervorbringung und den Ursprung des Uebels; das andere besteht in der Behandlung der Stetigkeit und der untheilbaren Dinge, welche deren Elemente zu sein scheinen und wo die Untersuchung des Unendlichen mit hinzutreten muss. Das erste Labyrinth umfasst beinahe das ganze menschliche Geschlecht, während das letzte nur die Philosophen beschäftigt. Vielleicht habe ich ein andermal die Gelegenheit, mich über das letztere auszusprechen und zu zeigen, dass in Folge mangelhaften Verständnisses der Natur der Substanz und des Stoffes, man falsche Sätze aufgestellt hat, die dann zu unüberwindbaren Schwierigkeiten führen, während letztere vielmehr zur Verwerfung jener Sätze benutzt werden sollten. Wenn jedoch die Erkenntniss der Stetigkeit für die philosophische Untersuchung von Wichtigkeit ist, so ist die Erkenntniss der Notwendigkeit es nicht weniger für das Handeln und sie bildet sammt den mit ihr verknüpften Dingen über die Freiheit des Menschen und die Gerechtigkeit Gottes den Gegenstand dieser Schrift.

    Zu allen Zeiten hat die Menschen ein Trugschluss beunruhigt, welchen die Alten die faule Vernunft nannten, weil er dahin führt, nichts zu thun oder wenigstens sich um nichts zu kümmern und nur seinen Neigungen zum unmittelbaren Genüsse zu folgen. Denn, sagte man, wenn das Zukünftige nothwendig ist, so wird das, was kommen muss, eintreten, gleichviel, was ich auch thun mag. Nun ist das Kommende nothwendig, sagte man, entweder weil die Gottheit alles voraussieht und sie selbst bei Leitung der Dinge dieser Welt es vorausbestimmt hat, oder weil vermöge der Verknüpfung der Dinge alles nothwendig eintritt, alles in Folge der Natur der Wahrheit selbst, die in den Aussprüchen, welche man über die kommenden Ereignisse machen kann, so bestimmt ist, wie es in allen andern Aussprüchen der Fall ist. Denn der Ausspruch an sich muss immer entweder wahr oder falsch sein, wenn man auch nicht immer weiss, welches von beiden er ist. Alle diese bestimmenden Gründe treffen, trotz ihrer anscheinenden Verschiedenheit, gleich Linien in einen Mittelpunkt zusammen; denn es gibt eine Wahrheit für die kommenden Ereignisse, welche durch deren Ursachen vorausbestimmt und indem Gott diese Ursachen angeordnet hat, hat er auch im Voraus die Ereignisse mitbestimmt.

    Die falsche Auffassung des Begriffes der Notwendigkeit, hat in ihrer Anwendung auf das Handeln, zu dem sogenannten Mohamedanischen Schicksal, dem Schicksal bei den Türken, Anlass gegeben, weil man von den Türken meint, dass sie den Gefahren nicht aus dem Wege gehen und selbst die Orte nicht verlassen, wo die Pest herrscht und zwar aus Gründen, welche den erwähnten gleichen. Denn das sogenannte Schicksal bei den Stoikern war nicht so schwarz, als man es macht; es entband die Menschen nicht von der Sorge für ihre Angelegenheiten, sondern wollte ihnen in Bezug auf die Ereignisse vielmehr nur eine Seelenruhe vermittelst der Betrachtung der Notwendigkeit einflössen, welche unsere Sorgen und Kummer als nutzlos erscheinen lässt. In diesem Punkte entfernten diese Philosophen sich nicht ganz von der Lehre unseres Herrn, welcher auch von dieser Sorge für den nächsten Tag abratet und sie mit den nutzlosen Anstrengungen vergleicht, durch welche ein Mensch sich abmüht, um seine Körpergrösse zu verlängern.

    Allerdings können diese Lehren der Stoiker (und vielleicht auch die von einigen berühmten Philosophen unserer Zeit), welche sich auf diese angebliche Notwendigkeit beschränken, nur eine erzwungene Ruhe gewähren, während unser Herr erhabenere Gedanken einflösst und uns selbst das Mittel für unsere Zufriedenheit lehrt, indem er uns versichert, dass der allgütige und allweise Gott für alles sorgt und selbst kein Haar auf unserem Kopfe vernachlässigt und wir ihm also voll vertrauen können. Denn, wenn wir ihn zu begreifen vermöchten, so würden wir einsehen, dass wir nichts besseres (in unbeschränktem Sinne für uns) zu wünschen brauchten, als das, was er tut. Dies ist genau so, als wenn man den Menschen sagte: Tut eure Pflichten und seid mit dem, was kommt, zufrieden, nicht blos deshalb, weil ihr der göttlichen Vorsehung oder der Natur der Dinge keinen Widerstand leisten könnt (was allerdings für unsere Ruhe zureichen möchte, aber nicht für unsere Zufriedenheit), sondern auch deshalb, weil ihr es mit einem guten Herrn zu tun habt. Man könnte dies das christliche Schicksal nennen.

    Indess zeigt sich, dass die Mehrzahl der Menschen und selbst der Christen bei ihren Handeln auch etwas Mischung mit dem türkischen Schicksal eintreten lassen, wenn sie sich dessen auch nicht genügend bewusst sind. Sie verharren allerdings bei offenbaren Gefahren, oder bei sichern und grossen Glücksfällen nicht in Untätigkeit und Nachlässigkeit; denn sie werden z. B. nicht versäumen, ein einstürzendes Haus zu verlassen oder sich von einem Abgrunde, der auf ihrem Wege sich öffnet, wegzuwenden; sie werden auch in der Erde nach dem Schatz graben, der schon halb entdeckt ist, und nicht warten, bis das Schicksal ihn vollends hervortreten lässt; ist dagegen das Gute oder das Übel noch entfernt und zweifelhaft und das Schutzmittel beschwerlich oder nicht genehm, so gilt uns die faule Vernunft für gut. Handelt es sich z. B. um die Erhaltung unserer Gesundheit und selbst unseres Lebens vermittelst einer zuträglichen Lebensweise, so entgegnen die Leute, denen man einen solchen Rat gibt, sehr oft, dass unsere Tage gezählt seien und dass es vergeblich sei, gegen das zu kämpfen, was Gott uns bestimmt habe. Dabei ergreifen aber dieselben Leute mit Hast die lächerlichsten Mittel, wenn das vernachlässigte Übel sich nähert. Ebenso bringt man ähnliche Gründe da hervor, wo das Überlegen etwas schwierig wird; z. B. wenn man sich fragt, quod vitae sectabor iter? welchen Beruf man wählen solle ? oder wenn es sich um eine Heirat handelt, oder um einen Krieg, den man unternehmen soll, oder um eine Schlacht, die es geben wird; denn in allen diesen Fällen werden Manche die Mühe des Überlegens zu vermeiden gern geneigt sein, und vorziehen, sich dem Schicksal oder ihrer Neigung zu überlassen, als wenn sie ihre Vernunft nur in jenen leichten Fällen zu gebrauchen hätten. Man wird dann oft wie ein Türke denken (obgleich man dies sehr verkehrter Weise ein Ergeben in die Vorsehung nennt, denn dies passt nurda, wo man das Seinige gethan hat) und man wird die faule Vernunft benutzen, welche sich auf das unvermeidliche Schicksal stützt, um damit sich die Überlegung, welche sich gehört, zu ersparen. Man bedenkt nicht, dass wenn ein solcher Einwand gegen den Gebrauch der Vernunft begründet wäre, er immer gelten müsste, mag die Üeberlegung leicht oder schwer sein. Diese Faulheit ist auch zum Teil die Quelle für das abergläubische Handwerk der Wahrsager, auf welches die Leute sich ebenso, wie auf den Stein der Weisen verlassen; denn sie mögen gern einen kürzern Weg, auf dem sie ohne Mühe das Glück erreichen können.

    Ich spreche hier nicht von denen, welche ihrem Glück blind vertrauen, weil sie bisher glücklich gewesen sind, als wenn hier etwas Beharrliches bestände. Ihre Folgerungen von dem Vergangenen auf das Kommendesind so wenig begründet, wie die Lehren der Astrologieund andere Voraussagungen. Sie bedenken nicht, dass das Glück seine Ebbe und Flut hat, una manca, wie die Bassette spielenden Italiener es zu nennen pflegen. Sie machen hierbei ihre besonderen Beobachtungen, auf die ich Niemanden raten möchte, zu fest sich zu verlassen. Indess steigert allerdings ein solches Vertrauen auf das eigene Glück oft den Mut dieser Menschen, insbesondere bei den Soldaten. In Wahrheit macht oft das besondere Glück, was sie sich zuschreiben, wie ja auch Voraussagungen dies oft bewirken, dass das Vorausgesagte eintrifft. So nimmt man ja auch an, dass die Meinung der Mahomedaner vom Schicksal sie entschlossener mache. In dieser Weise haben selbst Irrtümer mitunter ihren Nutzen, indess meist nur insofern, als sie andere Irrtümer verbessern; aber die Wahrheit ist unbedingt mehr wert.

    Man treibt jedoch mit dieser vorgeblichen Notwendigkeit des Schicksals hauptsächlich Missbrauch, um damit seine Laster und sein ausgelassenes Leben zu entschuldigen. Ich habe oft aufgeweckte junge Leute, die als starke Geister sich zeigen wollten, sagen hören, dass es unnütz sei, die Tugend zu predigen, das Laster zu tadeln und auf Lohn zu hoffen oder Strafen zu fürchten,weil man von dem Buche des Schicksals behaupten könne, dass es bei dem, was darin geschrieben stehe, verbleibe und dass unser Verhalten darin nicht das Mindeste ändern könne. Deshalb sei es das Beste, seinen Neigungen zu folgen und nur an das sich zu halten, was für die gegenwärtige Zeit uns befriedige. Sie bedenken die sonderbaren Folgerungen nicht, welche an einen solchen Grund sich knüpfen, welcher zu viel beweist, weil er z.B. beweisen dürfte, dass man einen süssen Trank auch dann trinken solle, wenn man wisse, dass er Gift enthalte. Mit demselben Grunde (wenn er ein gültiger wäre) könnte ich auch behaupten, dass wenn es in dem Buche der Parzen geschrieben stehe, dass das Gift jetzt mich töten oder mir Schaden zufügen werde, dies auch eintreten werde, wenn ich den Trank nicht trinke; und dass wenn dies in diesem Buche nicht geschrieben stehe, es auch nicht geschehen werde, selbst wenn ich das Gift trinken würde. Mithin könnte ich ungestraft meinen Neigungen folgen und das wählen, was angenehm ist, wenn es auch noch so schädlich ist. Indess sind solche Behauptungen eine offenbare Verkehrtheit. Wenn ein solcher Einwurf jene Leute auch ein wenig stutzig macht, so kommen sie doch immer auf ihre Reden zurück, welche sie in mancherlei Weise so lange hin und her wenden, bis man ihnen den Fehler ihres Trugschlusses begreiflich macht. Es ist nämlich falsch, dass das Ereigniss eintrete, gleichviel was man tue; vielmehr tritt es ein, weil man das thut, was dahin führt und wenn das Ereigniss in jenem Buche geschrieben steht, so ist auch die Ursache darin verzeichnet, welche es eintreten macht. Anstatt dass also die Verknüpfung der Wirkungen und Ursachen die Lehre von einer das Handeln beschädigenden Nothwendigkeit bestätigte, dient sie vielmehr zu deren Widerlegung.

    Aber auch abgesehen von schlechten Absichten und unsittlichen Neigungen, kann man auch in anderer Weise die bedenklichen Folgen einer solchen Schicksalsnotwendigkeit einsehen, wenn man bedenkt, dass sie die Freiheit des Willens auf hebt, welche dem sittlichen Handeln so unentbehrlich ist; denn das Gerechte und Ungerechte, das Lob und der Tadel, die Strafe und der Lohn finden auf notwendige Handlungen keine Anwendung und Niemand ist verbunden, das Unmögliche zu tun oder das unbedingt Notwendige nicht zu tun. Man wird vielleicht solche Gründe nicht dazu missbrauchen, dass man das Unsittliche begünstigt, allein man wird doch mitunter in Verlegenheit gerathen, wenn man ein Urtheil über fremde Handlungen fällen soll, oder vielmehr wenn man Eiuwänden begegnen soll, unter denen es auch solche giebt, welche sich auf die Handlungen Gottes beziehen und von denen ich bald sprechen werde. Da die Annahmen einer unüberwindlichen Nothwendigkeit aller Gottlosigkeit die Tür öffnet, sei es in Folge der Straflosigkeit, die man daraus ableiten kann, oder sei es, weil es nutzlos sei, einem, alles mit sich fortreissenden Strome zu widerstehen, so ist es wichtig, dass man auf die verschiedenen Grade der Nothwendigkeit liinweise, um zu zeigen, dass es Grade derselben hier giebt, die unschädlich sind, aber auch andere, die man nicht zulassen kann, wenn man nicht schlechten Folgerungen Raum geben will.

    Manche gehen selbst noch weiter und benutzen die Notwendigkeit nicht blos als Vorwand dafür, dass die Tugend und das Laster weder schaden noch nützen, sondern sie sind sogar so kühn, die Gottheit zur Mitschuldigen ihrer Fehler zu machen. Sie folgen den alten heidnischen Völkern, welche den Göttern die Ursachen ihrer Verbrechen zuschoben, als wenn eine Gottheit sie zu dem Unrechttun hintriebe. Die christliche Philosophie, welche besser, als die alte, die Abhängigkeit aller Dinge von den ersten Urheber und dessen Mitwirkung zu allen Handlungen der Geschöpfe erkannt hat, scheint diese Verlegenheit nur zu steigern. Manche kluge Leute sind in unsern Tagen dahin gelangt, dass sie den Geschöpfen alles Handeln absprechen und Herr Bayle, welcher ein wenig zu diesen aussergewöhnlichen Ansichten hinneigte, hat sie zur Wiederaufrichtung jenes gefallenen Lehrsatzes von den zwei Prinzipien oder von den zwei Göttern benutzt, einem guten und einem schlechten, als wenn dieser Lehrsatz besser die Schwierigkeiten über den Ursprung des Bösen beseitigte. Indess erkennt er doch im übrigen an, dass diese Ansicht sich nicht aufrecht erhalten lasse, und dass der Satz, wonach es nur ein Prinzip giebt, unbestreitbar in der Vernunft a priori 1 begründet sei. Aber er will doch daraus folgern, dass unsere Vernunft sich verwirrt, die Einwürfe nicht zu widerlegen vermag und dass man deshalb sich fest an die offenbarten Wahrheiten halten müsse, wonach nur ein Gott besteht, der allweise, allmächtig und allgütig ist. Indess dürften viele seiner Leser in der Überzeugung von der Unwiderleglichkeit seiner Einwürfe, sie mindestens für ebenso stark halten, wie die Beweise für die Wahrheit der Religion und daher gefährliche Folgerungen daraus ziehen.

    Wenn es auch keine Mitwirkung Gottes bei schlechten Handlungen gäbe, so würde man doch Schwierigkeiten deshalb hier finden, weil er dieselben voraussieht und geschehen lässt, obgleich er sie doch durch seine Allmacht verhindern könnte. Deshalb haben manche Philosophen und selbst manche Theologen ihm lieber die Kenntniss der Einzelheiten in den Dingen abgesprochen, namentlich in den zukünftigen Ereignissen, als dass sie das einräumten, was nach ihrer Meinung seine Güte erschüttern könnte. Die Socinianer und namentlich Conrad Vorstius neigen zu dieser Ansicht und Thomas Bonartes, der falsche Name eines englischen Jesuiten, eines sehr gelehrten Mannes, welcher ein Buch über die Uebereinstimmung der Wissenschaft mit dem Glauben geschrieben hat, über welches ich nachher sprechen werde, scheint auch diese Ansicht zu billigen.

    Sie haben offenbar ganz Unrecht, aber nicht minder Andere, welche in der Ueberzeugung, dass nichts ohne den Willen und die Macht Gottes geschehe, ihm Absichten und Handlungen unterschieben, welche so unwürdig des grössten und besten der Wesen sind, dass man behaupten möchte, diese Schriftsteller hätten wirklich den Lehrsatz von der Gerechtigkeit und Güte Gottes aufgegeben. Sie haben angenommen, dass Gott als Herr der Welt, ohne allen Nachtheil für seine Heiligkeit sündigen könne, weil es ihm so gefalle oder um sich an der Bestrafung zu erfreuen und dass er selbst Vergnügen darin finden könne, Unschuldige in Ewigkeit zu betrüben, ohne damit eine Ungerechtigkeit zu begehen, weil Niemand das Recht oder die Macht habe, seine Handlungen zu beaufsichtigen. Manche sind so weit gegangen, zu behaupten, dass Gott wirklich so verfahre und indem sie vorgeben, dass wir in Vergleich zu ihm nur ein Nichts seien, stellen sie uns den Würmern der Erde gleich, welche die Menschen bei ihren Schritten zu zertreten sich nicht scheuen oder überhaupt den Geschöpfen von anderer als unserer Art, die man ohne Bedenken misshandelt.

    Selbst Manche, mit guten Gesinnungen, neigen zu solchen Meinungen, weil sie deren Folgen nicht genügend erkennen. Sie sehen nicht ein, dass damit eigentlich die Gerechtigkeit Gottes vernichtet wird; denn was soll man von solch einer Gerechtigkeit denken, die nur ihr Belieben zur Regel nimmt, d.h. wo der Wille nicht mehr durch die Regeln des Guten geleitet wird und sich geradezu dem Schlechten zuwendet; stimmt dies nicht ganz mit der tyrannischen Definition des Thrasimachus bei Plato, welcher das für gerecht erklärte, was dem Mächtigem gefalle. Darauf kommen Alle zurück, welche die Pflichten auf den Zwang gründen und folgeweise die Macht als Massstab des Rechts aufstellen. Man wird indess so sonderbare Grundsätze, die so wenig geeignet sind, die Menschen durch Nachahmung Gottes gut und liebevoll zu machen, bald aufgeben, wenn man wohl bedacht haben wird, dass ein Gott, der sich an dem Schlechten eines Anderen erfreut, von dem schlechten Prinzip der Manichäer sich nicht unterscheiden würde, vorausgesetzt, dass dieses Prinzip zum alleinigen Herrn der Welt geworden wäre. Deshalb muss man dem wahren Gott Gesinnungen beilegen, die ihn würdig machen, das gute Prinzip zu heissen.

    Glücklicherweise bestehen solche übertriebene Lehrsätze unter den Theologen beinah nicht mehr; aber geistvolle Männer, die gern Schwierigkeiten erregen, holen sie wieder hervor. Sie suchen unsere Verlegenheit zu steigern, indem sie die Streitsätze, welche die christliche Theologie hervorgerufen hat, mit den Zeugnissen der Philosophie verbinden. Die Philosophen haben die Fragen der Nothwendigkeit, der Freiheit und vom Ursprung des Uebels erörtert und die Theologen haben diesen Fragen die weiteren über die Erb-Siinde, über die Gnade und die Vorherbestimmung hinzugefügt. Die ursprüngliche Verdorbenheit des Menschengeschlechts, welche von der ersten Sünde gekommen ist, scheint uns eine natürliche Nothwendigkeit zu sündigen aufgelegt zu haben, wenn die Gnade Gottes uns nicht beistehe. Weil aber die Nothwendigkeit sicli mit der Bestrafung nicht vertrage, so müsse man folgern, dass ein genügender Grund von Gnade allen Menschen hätte mitgetheilt werden sollen; allein dies stimmt nicht recht mit der Erfahrung.

    Diese Schwierigkeit ist jedoch gross, vorzüglich in Bezug auf die Bestimmung Gottes über das Heil der Menschen. Es giebt nur wenig Gerettete oder Auserwählte ; Gott hat also nicht den beschliessenden Willen, viele zu erwählen und da man einräumt, dass die von ihm Erwählten dies nicht mehr als die Andern verdienen und sie im Grunde nicht weniger schlecht, als diese sind, weil das Gute an ihnen nur von dem ihnen zugefallenen Geschenke Gottes kommt, so ist die Schwierigkeit dadurch nur vergrössert. Wo bleibt da seine Güte? Die Partheilichkeit oder die Begünstigung einzelner Personen widerstreitet der Gerechtigkeit und wer ohne Grund seiner Güte Schranken setzt, kann keine genügende Güte besitzen. Allerdings sind die Nichterwählten durch ihre eigenen Fehler verloren; es fehlt ihnen der gute Wille oder der lebendige Glaube; allein es hat doch nur von Gott abgehangen, ihnen diesen Willen und Glauben zu geben. Man macht geltend, dass neben der innern Gnade es gewöhnlich äussere Anlässe sind, welche die Unterschiede unter den Menschen herbeiführen und dass die Erziehung, der Umgang, das Beispiel oft die natürliche Anlage verbessere oder verschlechtere. Wenn nun Gott für die Einen günstige Anlässe entstehen lässt und Andere in Verhältnisse gerathen lässt, die ihr Unglück befördern, sollte man da keinen Grund haben, sich zu erstaunen? Auch genügt es nicht (wie es scheint), dass man mit Einigen sagt, die innere Gnade sei allgemein und gleich für alle; denn dieselben Männer müssen wieder auf die Aussprüche des heiligen Paulus zurückgehen und sagen: Welche Tiefe! wenn sie bedenken, wie viele Menschen durch äussere Gnaden so zu sagen ausgezeichnet sind, d. h. durch solche Gnaden, welche auf dem Unterschied der Umstände beruhen, die Gott hat entstehen lassen und über welche die Menschen keme Macht haben, die aber doch einen grossen Einfluss auf das haben, was sich auf ihr Heil bezieht.

    Man braucht auch nicht weiter vorgeschritten zu sein, um mit dem heiligen Augustinus zu sagen, dass alle Menschen durch die Sünde Adams in der Verdammniss befasst seien und Gott sie deshalb alle in ihrem Elende lassen könnte; es sei deshalb eine reine Güte, wenn er einige daraus befreie. Denn abgesehen davon, dass es sonderbar ist, wie die Sünde eines Fremden Jemanden zur Verdammniss bringen solle, bleibt immer die Frage, weshalb Gott nicht Alle befreit habe, weshalb er nur den kleinern Theil befreit und weshalb er die Einen vor den Anderen vorziehe. Es ist wahr, dass er deren Herr ist, aber er ist ein guter und gerechter Herr; seine Macht ist zwar unbeschränkt, aber seine Weisheit erlaubt ihm nicht, sie in einer willkürlichen und despotischen Weise zu üben, die in Wahrheit tyrannisch sein würde.

    Überdem ist der Sündenfall des ersten Menschen nur eingetreten, weil Gott es gestattet hat und Gott kann dessen Gestattung nicht beschlossen haben, ohne dessen Folgen vorhergesehen zu haben, nämlich das Verderben des ganzen Geschlechts der Menschen und der Auswahl einer kleinen Zahl, während alle Andern verlassen wurden. Deshalb hilft es nichts, die Schwierigkeit dadurch zu verhüllen, dass man sich auf die schon verdorbene Menge beschränkt; denn man muss trotzdem auch die Kenntniss der Folgen der ersten Sünde mit berücksichtigen, welche Kenntniss dem Beschlüsse vorausging, durch welchen Gott diese erste Sünde gestattete und wodurch er gleichzeitig gestattete, dass die Nicht-Aus erwählten in die Summe der Verderbniss mit einbegriffen wurden und daraus nicht befreit werden würden; denn Gott und der Weise beschliessen nichts ohne die Folgen zu bedenken.

    Ich hoffe alle diese Schwierigkeiten beseitigen zu können, und werde darlegen, dass die unbedingte Nothwendigkeit, die man auch die logische oder metaphysische und manchmal auch die geometrische nennt, und die man allein hier zu fürchten hätte, bei den freien Handlungen nicht besteht und dass somit die Freiheit nicht blos dem Zwange, sondern auch der wahren Nothwendigkeit entnommen ist. Ich werde darlegen, dass selbst Gott zwar immer das Beste wählt, aber doch nicht vermöge einer unbedingten Notwendigkeit handelt und dass die Gesetze über das Angemessene, welche Gott der Natur vorgeschrieben hat, die Mitte zwischen den geometrischen, unbedingt nothwendigen Wahrheiten und den rein willkürlichen Beschlüssen halten, was Herr Bayle und andere neuere Philosophen nicht genügend begriffen haben. Ich werde auch darlegen, dass es eine Unentschiedenheit in der Freiheit giebt, weil bei ihr keine unbedingte Nothwendigkeit für die eine oder die andere Seite besteht, aber dass trotzdem niemals eine Unentschiedenheit mit vollkommenem Gleichgewicht der beiden Seiten in ihr besteht. Ich werde auch zeigen, dass bei den freien Handlungen eine vollständige Selbstbestimmung besteht, die über alles bisher begriffene hinaus geht. Ich werde endlich erkennen lassen, dass die bedingte und die moralische Nothwendigkeit, welche bei den freien Handlungen angetroffen werden, nichts Unpassendes enthalten und dass die faule Vernunft in Wahrheit ein Trugschluss ist.

    Ebenso werde ich in Betreff des Ursprungs des Uebels und seiner Beziehung auf Gott eine Vertlieidigung von Gottes Vollkommenheiten bieten, die ebenso seine Heiligkeit, Gerechtigkeit und Güte, wie seine Grösse, seine Macht und seine Unabhängigkeit aufrecht erhält. Ich werde zeigen, wie es möglich ist, dass alles von Gott abhängt, dass seine Mitwirkung bei allen Handlungen der Geschöpfe statt hat, und dass, wenn man will, er sogar die Geschöpfe ununterbrochen erschafft und dass er trotz dem nicht der Urheber der Sünde ist, wobei ich auch zeige, wie man die beraubende Natur des Uebels zu verstehen habe. Ja ich thue noch mehr; ich zeige, dass das Uebel aus einer andern Quelle, als dem Willen Gottes entspringt und dass man deshalb mit Recht von dem moralischen Uebel sagen kann, dass Gott es nicht wolle, sondern nur gestatte. Aber ich zeige auch, und dies ist das allerwichtigste, dass Gott die Sünde und das Elend hat gestatten können, und dass er dazu hat mitwirken und mit beitragen können, ohne Schaden für seine höchste Weisheit und Güte, obgleich er, unbedingt gesprochen, alle diese Uebel hätte vermeiden können.

    Und was die Gnade und die Vorherbestimmung anlangt, so rechtfertige ich die bedenklichsten Aussprüche, wie z. B. den, dass wir nur durch die vorausgehende Gnade Gottes bekehrt werden und dass wir das Gute nur mit seinem Beistand vollbringen können; ferner dass Gott das Heil aller Menschen will und dass er nur die mit bösen Willen verdammt und dass er allen eine genügende Gnade gewährt, vorausgesetzt, dass sie davon Gebrauch machen wollen, und dass Jesus Christus der Anfang und der Mittelpunkt der Erwählung ist und dass Gott die Erwählten zum Heil bestimmt hat, weil er vor- aussah, dass sie in einem lebendigen Glauben sich der Lehre Jesu Christi anschliessen würden. Allerdings ist es richtig, dass dieser Grund für die Erwählung nicht der letzte Grund ist und dass selbst dieses Voraussehen noch eine Folge seines vorhergegangenen Beschlusses ist; ebenso ist der Glaube ein Geschenk Gottes und Gott hat die Gläubiger aus Gründen eines höheren Beschlusses im voraus bestimmt, welcher die Gnade und die unter stützenden äusseren Umstände in Gemässheit der Tiefe seiner Allweisheit vertheilt.

    Da nun einer der ausgezeichnetsten Männer unserer Zeit, dessen Beredtsamkeit so gross, wie sein Scharfsinn ist und welcher grosse Beweise von seiner ausgebreiteten Gelehrsamkeit gegeben hat, in Folge einer Richtung, die ich nicht weiter bezeichnen mag, unternommen hat, alle Schwierigkeiten in dieser Materie, die ich nur im Umriss hier angedeutet habe, zu beseitigen, so habe ich ein vortreffliches Feld um mich zu üben gefunden, indem ich mit ihm in die Einzelheiten eingehe. Ich erkenne an, dass Herr Bayle (denn man wird leicht bemerken, dass ich ihn meine) den Vortheil ganz auf seiner Seite hat, wenn man nicht auf die tiefere Grundlage der Sache eingeht; aber ich hoffe, dass die nackte Wahrheit (die nach seinem eigenen Anerkenntniss mir zur Seite steht) mich über allen Schmuck der Beredtsamkeit und der Gelehrsamkeit wird siegen lassen, sofern nur diese Wahrheit so, wie es sich gehört, dargelegt wird. Ich hoffe um so mehr, dass mir dies gelingen wird, als ich die Sache Gottes vertrete und als einer der Sätze, die ich vertheidige, dahin lautet, dass Gottes Beistand denen nicht mangelt, denen es nicht an guten Willen fehlt.

    Von letzterem glaubt der Verfasser dieser Abhandlung den Beweis durch die Sorgfalt geliefert zu haben, welche er auf diesen Gegenstand verwendet hat. Er hat seit seiner Jugend darüber nachgedacht; er hat sie mit mehreren der einsichtigsten Männer dieser Zeit besprochen und er hat sich darüber durch das Studium guter Schriftsteller unterrichtet. Der Erfolg, welchen Gott ihm bei einigen anderen Untersuchungen (nach dem Urtheil mehrerer urtheilsfähiger Pächter) gewährt hat, welche von grossem Einfluss auf den vorliegenden Gegenstand sind, lässt ihn wohl mit Kecht auf die Aufmerksamkeit derjenigen Leser hoffen, ‘welche die Wahrheit lieben und zu deren Aufsuchung geeignet sind.

    Der Verfasser hatte überdem noch besondere und gewichtige Gründe; um die Feder zur Untersuchung dieses Gegenstandes in die Hand zu nehmen. Wiederholt haben ihn dazu die Unterhaltungen veranlasst, welche er darüber mit Gelehrten und Hofleuten in Deutschland und Frankreich und besonders mit einer der bedeutendsten und vollendetsten Fürstin gepflogen hat i’). Ich habe die Ehre gehabt, dieser Fürstin meine Ansichten über mehrere Stellen des vortrefflichen Wörterbuches des Herrn Bayle auseinandersetzen zu können, wo die Vernunft und die Beligion als Kämpfer gegen einander auftfeten und wo Herr Bayle der Vernunft erst zu schweigen heisst, nachdem er sie zu laut hat sprechen lassen. Er nennt dies den Triumph des Glaubens. Ich habe bereits erklärt, dass ich anderer Ansicht bin; aber ich freue mich, dass ein so grosser Geist mir damit die Gelegenheit verschafft, um diesen eben so wichtigen wie schwierigen Fragen auf den Grund zu gehen. Ich gestehe, dass ich sie seit lange geprüft habe, und dass ich mekreremale Bedenken gehabt, meine Gedanken hierüber zu veröffentlichen, die nur diejenige Erkenntniss Gottes fördern sollen, welche die Frömmigkeit erweckt und die Tugend nährt. Jene Fürstin ermahnte mich indess, diese lang gehegte Absicht auszufiihren und manche Freunde thaten dasselbe. Ich war um so mehr versucht, diesen Wünschen nachzugeben, als ich in Folge meiner Untersuchungen hoffen konnte, dass die Einsicht und die Kenntnisse des Herrn Bayle mir dabei helfen würden, um den Gegenstand so klar darzulegen, als unserer beider gemeinsamen Sorgfalt möglich sein würde. Indess kamen manche Abhaltungen dazwischen; der Tod der unvergleichlichen Königin war nicht der geringste. Inmittelst geschah es, dass Herr Bayle von ausgezeichneten Männern angegriffen wurde, welche die Untersuchung derselben Fragen unternahmen. Herr Bayle antwortete ihnen ausführlich und immer geistreich. Ich verfolgte diesen Streit und hätte beinah mich selbst hineingemischt. Es kam dies in folgender Weise: Ich hatte ein neues System veröffentlicht, das mir geeignet schien, die Verbindung zwischen Seele und Körper zu erklären. Es fand selbst bei denen Beifall, welche nicht ganz damit einverstanden waren und viele geschickte Männer versicherten mich, dass sie schon ähnliche Ansichten gehabt, aber zu keiner scharfen Auffassung gelangt seien, ehe sie meine Schrift gelesen gehabt. Herr Bayle beurtheilte die Schrift in seinem historischen und kritischen Wörterbuche in dem Artikel: Rorarius. Er meinte, dass meine Aufklärungen eine weitere Pflege verdienten; er zeigte deren Nützlichkeit in mehreren Beziehungen und er hob auch die Punkte hervor, wo noch Schwierigkeiten sich ergeben dürften. Ich musste auf solche verbindliche Aeusserungen und solche belehrende Betrachtungen natürlich antworten, und wegen des grösseren Nutzens für mich, veröffentlichte ich einige Erläuterungen in der Gelehrten – Geschichte, Juli 1680 r). Herr Bayle antwortete darauf in der zweiten Ausgabe seines Wörterbuchs. Ich sandte ihm sodann eine Entgegnung, die noch nicht erschienen ist und ich weiss nicht, ob er darauf zum dritten Male geantwortet hat.

    Inmittelst hatte Herr Le Clerc in seiner „auserwählten Bibliothek“ einen Auszug aus dem „System des Verstandes“ des verstorbenen Herrn Cudworth geliefert und darin gewisse formende Naturen erläutert, welche dieser ausgezeichnete Schriftsteller bei der Bildung der Thiere benutzt hatte. Herr Bayle glaubte (man sehe die Fortsetzung seiner “Mancherlei Gedanken”, Kapitel 21, Artikel 11), dass, da diese Naturen des Bewusstseins ermangelten, man durch ihre Annahme den Grund erschüttere, welcher aus der wunderbaren Gestaltung der Dinge darlegt, dass die Welt eine vernünftige Ursache gehabt haben müsse. Herr Giere entgegnete (Art. 4, Band 5 seiner “ausgewählten Bibliothek”), dass diese Naturen der Leitung durch die göttliche Weisheit bedürften. Herr Bayle blieb dabei (Art. 7 der “Gelehrten-Geschichte”, August 1704), dass eine blose Leitung bei einer des Wissens unfähigen Ursache nicht genüge, man müsste sie denn für ein bloses Werkzeug Gottes ansehen, in welchem Palle sie nichts erklären würde. Herr Bajde berührte dabei nebenbei meine Ansicht und dies veranlasste mich, dem berühmten Verfasser der “Gelehrten-Geschichte” einen kleinen Aufsatz zu übersenden, welchen er im Mai 1705 im Artikel 9 veröffentlichte und worin ich zu zeigen suchte, dass in Wahrheit der Mechanismus zur Herstellung der organischen Körper der Thiere genüge, ohne noch besonderer bildender Kräfte zu bedürfen, sofern man zu ihnen die schon ganz organische Vorausgestaltung in dem Samen der entstehenden Körper hinzunehme, welcher in den Kör pern, aus denen sie entstehen, bis hinauf zu dem ersten Samen enthalten ist. Dies kann nur von dem unendlich mächtigen und unendlich weisen Urheber aller Dinge herrühren, welcher von Anfang an alles in Ordnung er¬ schafft und liier im Voraus jedwede zukünftige Ordnung und Kunst eingerichtet hat. Es giebt kein Chaos in dem Innern der Dinge und der Organismus ist überall in dem Stoffe, dessen Einrichtung von Gott ausgeht; dies wird sich hier um so mehr zeigen, je grössere Fortschritte man in der Anatomie machen wird und man würde sie immer weiter erkennen, selbst wenn man bis zu dem Unendlichen fortschreiten könnte, wie die Natur dies thut und wenn man die weitere Tlieilung in unserm Erkennen so fortsetzen könnte, wie die Natur sie in Wirklichkeit fortgesetzt hat.

    Da ich zur Erklärung dieser wunderbaren Bildung der Geschöpfe eine im Voraus angeordnete Harmonie benutzte, d. h. das nämliche Mittel, dessen ich mich zur Erklärung eines andern Wunders, nämlich des Verkehrs der Seele mit dem Körper bedient hatte, worin ich die Einheit und die Fruchtbarkeit der von mir aufgestellten obersten Grundsätze darlegte, so scheint dies Herrn Bayle an mein „System“ erinnert zu haben, welches den Grund für diesen Verkehr angiebt und welches er früher geprüft hatte. Er erklärte (in
    Kap. 180 seiner Antwort auf die Fragen eines Mannes aus der Provinz, Seite 1253, Teil 3), dass nach seiner Ansicht Gott dem Stoffe oder einer andern Ursache keine organisirende Kraft habe verleihen können, ohne ihm nicht auch die Vorstellung oder die Kenntniss der Organisation mitzutheilen und dass er noch nicht glauben könne, dass Gott trotz all seiner Macht über die Natur und seines ganzen Vorauswissens der möglichen Folgen, die Dinge hätte so einrichten können, dass durch die blosen mechanischen Gesetze z. B. ein Schiff in den ihm angewiesenen Hafen gelangen könne, ohne dass es während seiner Fahrt durch irgend einen einsichtigen Aufseher geleitet worden sei. Ich war erstaunt, dass man der Macht Gottes Grenzen setzte, ohne irgend einen Beweis dafür anzuführen und ohne anzudeuten, dass von Seiten des Gegenstandes hier kein Widerspruch und von Seiten Gottes keine Unvollkommenheit zu befürchten sei, obgleich ich in meiner Entgegnung schon gezeigt hatte, dass selbst die Menschen oft Automaten verfertigen und damit etwas Aehnliches herstellen, wie die von der Vernunft ausgehenden Bewegungen und dass schon ein endlicher, aber freilich stärkerer Geist als der unselige selbst das auszuführen vermöchte, was Herr Bayle für etwas der Gottheit Unmögliches erklärt; abgesehen davon, dass Gott im voraus alle Dinge auf einmal geregelt hat und deshalb die Einhaltung des richtigen Weges durch dieses Schiff nicht auffallender erscheint, als der Weg einer Rakete längs der Leine bei einem Feuerwerk, da die ganze Regelung aller Dinge eine vollkommene Harmonie zwischen ihnen durch deren gegenseitige Einwirkung einhält.

    Jene Erklärung des Herrn Bayle nötigte mich zu einer Erwiederung und ich wollte ihm Vorhalten, dass wenn man nicht mindestens sagen wolle, Gott selbst bilde die organischen Körper durch ein fortgehendes Wunder oder er habe dies Geistern aufgetragen, deren Macht und Wissen beinah göttlich wäre, man annehmen müsse, Gott habe die Dinge im Voraus so geschaffen, dass die neuen Organismen nur die mechanische Folge einer vorgehenden organischen Einrichtung seien, ebenso wie die Schmetterlinge aus den Seidenwürmern entstehen, bei denen Herr Swammerdam gezeigt hat, dass es sich nur um eine Auswickelung handele. Auch hatte ich hinzugefügt, dass gerade die im Voraus geschehene Ein¬ richtung der Pflanzen und Thiere mehr wie alles andere mein System bestätige, wonach zwischen Seele und Körper im Voraus eine Uebereinstimmung eingerichtet sei, und wo der Körper durch seine ursprüngliche Ver¬ fassung genöthigt sei, mit Hülfe der äusseren Dinge alles auszuführen, was er in Folge des Willens der Seele thut, ebenso wie die Samen durch ihre ursprüngliche Verfassung in natürlicher Weise die Absichten Gottes durch ein viel grösseres Wunder vollführen, als das ist, welches bewirkt, dass in unserm Körper alles sich in Ueberein¬ stimmung mit den Beschlüssen unseres Willens vollzieht. Da Herr Bayle ganz mit Recht viel mehr Kunst in der Organisation der Thiere findet, als in dem schönsten Gedichte der Welt und in der schönsten Erfindung, deren der menschliche Geist fähig ist, so folgt, dass mein System über den Verkehr zwischen Seele und Körper ebenso leicht fasslich ist, als die gewöhnliche Meinung von der Formation der Thiere, denn meine Meinung (die mir richtig scheint) führt in Wahrheit dahin, dass Gott die Natur wirklich so gemacht hat, dass sie in Folge ihrer Gesetze im Stande ist, Geschöpfe zu erzeugen. Ich erläutere nur diese Meinung und lasse die Möglichkeit derselben durch das Mittel der Vorauseinrichtung nur deutlicher einsehen. Dann braucht man sich nicht mehr darüber zu wundern, dass Gott den Körper so ge¬ schaffen hat, dass dieser vermöge seiner eigenen Gesetze die Absichten der vernünftigen Seele ausführen kann; da alles, was die vernünftige Seele dem Körper befehlen kann, weniger schwer ist, als diejenige Organisation, deren Ausführung Gott dem Samen aufgegeben hat. Herr Bayle sagt (Antwort auf die Fragen eines Mannes aus der Provinz, Kap. 182, S. 1294), dass es erst seit Kurzem Personen gegeben habe, die eingesehen hätten, dass die Bildung lebendiger Körper kein natürlicher Vorgang sein könne. Ebendasselbe konnte er nach seinen Grundsätzen von dem Verkehr zwischen Seele und Körper sagen, da ja Gott in dem System der Gelegenheitsursachen “j, welchem dieser Schriftsteller beistimmt, dabei den ganzen Verkehr bewirke. Ich nehme dagegen hier das Übernatürliche nur für den Anfang der Dinge an und zwar in Bezug auf die erste Bildung der Tiere, oder in Bezug auf die erste Einrichtung der Uebereinstimmung, welche im Voraus zwischen Seele und Körper angeordnet worden ist. Nachdem dies geschehen, halte ich die gegenwärtige Formation der Geschöpfe und den Verkehr zwischen Seele und Körper für etwas ebenso Natürliches, wie irgend die alltäglichsten Vorgänge der Natur. Es rjirhält sich hier ziemlich so, wie man über den Instinkt und die wunderbaren Werke der Thiere denkt. Man findet hier Vernunft, aber nicht in den Thieren, sondern in dem, der sie geschaffen hat. Ich stimme deshalb in dieser Hinsicht der gewöhnlichen Meinung bei, nur hoffe ich ihr durch meine Auseinandersetzung mehr Deutlichkeit und Klarheit und selbst eine weitere Ausdehnung gegeben zu haben.

    Um nun mein System gegen die neuen Bedenken des Herrn Bayle zu rechtfertigen, wollte ich zur selbigen Zeit ihm die Gedanken mitteilen, die ich seit lange in Bezug auf die Schwierigkeiten gehegt hatte, welche Herr Bayle gegen diejenigen hervorgehoben, welche die Vernunft mit dem Glauben in Bezug auf das Dasein des Uebels zu vereinigen suchten. Es giebt auch wohl in der That wenige Personen, welche sich hier mehr bemüht haben, als ich. Ich hatte kaum nothdürftig lateinische Bücher zu verstehen gelernt, als mir die Gelegenheit wurde, in einer Bibliothek zu blättern; ich sprang von einem Buche zum andern über und da mir die Dinge, welche Nachdenken erforderten, ebenso zusagten, wie die Geschichte und die Fabeln, so ergötzte ich mich an dem Werke des Laurentius Valla gegen Boethius und an dem Werke Luthers gegen Erasmus, obgleich ich sah, dass sie der Ermässigung bedurften. Ich Hess auch die Streitschriften nicht ungelesen, und, neben andern Schriften dieser Art, schienen mir die Verhandlungen über das Gespräch in Monbeillard, welche den Streit wieder angeregt hatten, belehrend. Ich vernachlässigte auch nicht die Aufklärungen unserer Theologen und das Studium ihrer Gegner machte mich nicht unruhig, sondern befestigte mich vielmehr in den gemässigten Aussprüchen der Kirchen des Augsburgischen Bekenntnisses. Auf meinen Reisen hatte ich die Gelegenheit, mit vielen ausgezeichneten Männern aus den entgegengesetzten Parteien mich zu besprechen; z. B. mit Herrn Peter v. Wallenburg, Suffraganbischof von Mainz; mit Herrn Peter Ludwig Fabrice, den ersten Theologen Heidelbergs und endlich mit dem berühmten Herrn Arnauld 2, dem ich sogar ein in meiner Weise abgefasstes lateinisches Gespräch über diesen Gegenstand mittheilte. Es geschah dies um das Jahr 1673, und ich stellte darin schon als Thatsache hin, dass Gott die vollkommenste aller möglichen Welten erwählt habe und dass seine Weisheit ihn bestimmt habe, das mit ihr verbundene Uebel zuzulassen, was aber nicht hindere, dass diese Welt, alles in allem erwogen und überlegt, nicht doch die beste sei, die gewählt werden konnte. Auch habe ich seitdem alle guten Schriftsteller über diesen Gegenstand gelesen und ich habe mich bestrebt, alle jene Kenntnisse mir anzueignen, vermöge deren ich alles beseitigen konnte, was den Gedanken einer in Gott anzuerkennenden höchsten Vollkommenheit hätte verdunkeln können. Ich habe die Schriftsteller der strengsten Art, welche die Nothwendigkeit der Dinge am weitesten ausgedehnt haben, nicht vernachlässigt, wie Hobbes und Spinoza. Ersterer hat diese unbedingte Notwendigkeit nicht blos in seinen „Physikalischen Elementen“ und sonst aufrecht erhalten, sondern dies auch in einer ausdrücklich gegen den Bischof Bramhall gerichteten Schrift gethan. Spinoza behauptet so ziemlich (wie der alte Peripatetiker Straton), dass alles von einer ersten Ursache oder einer ursprünglichen Natur durch eine blinde, ganz geometrische Notwendigkeit entstanden sei, ohne dass dieses erste Anfangende der Dinge eines Wählens oder einer Güte oder eines Wissens fähig sei.

    Ich habe indess, glaube ich, ein Mittel aufgefunden, was das Gegentheil in einer aufklärenden Weise ergiebt und was uns gleichzeitig in das Innere der Dinge einführt. Indem ich neue Entdeckungen über das Wesen der thätigen Kraft und über die Gesetze der Bewegung gemacht habe, zeige ich, dass dieselben keine geometrische Nothwendigkeit an sich haben, wie Spinoza meint und dass sie auch nicht rein willkürliche sind, wie Herr Bayle und einige neuere Philosophen behaupten, sondern dass sie von der Angemessenheit abhängen, wie ich schon oben bemerkt habe oder von dem, was ich den Grundsatz des Besten nenne und dass man hierin wie in jeder andern Sache die Kennzeichen der ersten Substanz erkennt, deren Werke eine höchste Weisheit darlegen und die vollkommenste Harmonie bilden.

    Ich habe auch gezeigt, dass diese Harmonie es ist, welche sowohl das Vergangene mit dem Kommenden, wie das Anwesende mit dem Abwesenden verknüpft. Die erste Art der Verknüpfung eint die Zeiten und die zweite die Orte. Diese letztere zeigt sich in der Einheit von Seele und Leib und überhaupt in dem Verkehr der wahrhaften Substanzen unter sich und mit den stofflichen Erscheinungen. Die erstere findet Statt in der Vorausbildung der organischen Körper oder vielmehr aller Körper, weil überall eine Organisation besteht, wenn auch nicht alle Stoffe organische Körper bilden; so wie ein Teich sehr wohl voller Fische und anderer organischer Körper sein kann, obgleich er selbst kein Geschöpf oder organischer Körper ist, sondern nur eine Masse, welche sie in sich enthält. Indem ich bestrebt war, auf solchen Grundlagen, welche in beweisender Form gelegt waren, ein vollständiges Gebäude von obersten Kenntnissen zu errichten, wie sie die reine Vernunft uns erkennen lässt, ein Gebäude, sage ich, in dem alle Theile wohl miteinander verbunden sind und welches die erheblichsten Bedenken der Alten und Neuern beseitigen kann, habe ich mir in Folge dessen auch eine Art System über die menschliche Freiheit und die Mitwirkung Gottes f) gebildet. Dieses System scheint mir in keiner Weise die Vernunft und den Glauben zu verletzen und ich war geneigt, es Herrn Bayle und denen, die in diesem Streite auf seiner Seite stehen, vorzulegen. Er hat uns aber eben verlassen und der Verlust eines solchen Schriftstellers, dessen Gelehrsamkeit und Scharfsinn ohne Gleichen waren, ist kein geringer. Da jedoch der Gegenstand noch verhandelt wird und gewandte Arbeiter sich daran betheiligen und das Publikum mit Aufmerksamkeit ihnen folgt, so halte ich es für eine passende Gelegenheit, eine Probe von meinen Gedanken zu veröffentlichen.

    Es ist vor dem Schluss dieser Vorrede vielleicht zweckmässig, da ich den physischen Einfluss der Seele auf den Körper und des Körpers auf die Seele, d. h. einen Einfluss bestreite, welcher bewirken würde, dass das eine die Gesetze des andern störte, zu bemerken, dass ich doch deshalb die Einheit beider nicht bestreite, welche ein einheitliches Wesen daraus macht, nur ist diese Einheit etwas Metaphysisches, welche in den Er¬ scheinungen nichts ändert. Ich habe dies bereits in der Antwort auf das gesagt, was der ehrwürdige Pater von Tournemine, dessen Geist und Kenntniss von einem un¬ gewöhnlichen Grade sind, in den Memoiren von Trevoux mir entgegengestellt hat. Man kann deshalb in einem metaphysischen Sinne sagen, dass die Seele auf den Körper und dieser auf jene einwirkt. Auch ist es richtig, dass die Seele dieEntelechie, oder das thätige Prinzip ist, während das blos körperliche oder das einfach-stoffliche nur das leidende Prinzip enthält und dass deshalb das thätige Prinzip in der Seele enthalten ist. Ich habe dies bereits wiederholt in der Leipziger Zeitschrift auseinandergesetzt; aber noch bestimmter in meiner Antwort an den Philosophen und Mathematiker Sturm in Altorf, wo ich sogar gezeigt habe, dass wenn in den Körpern nur Leidendes enthalten wäre, ihre verschiedenen Zustände nicht würden unterschieden werden können. Ich möchte bei dieser Gelegenheit auch erwähnen, dass ich dem gewandten Verfasser des Werkes über die Erkenntniss seiner selbst, welcher darin einige Einwürfe gegen mein System der vorauseingerichteten Harmonie erhoben hatte, eine Antwort nach Paris geschickt habe, worin ich gezeigt habe, dass er mir Gedanken beilegt, von denen ich sehr entfernt bin. Auch ein ungenannter Doktor der Sorbonne hat später dasselbe in Betreff eines andern Gegenstandes gethan, und es würden diese Missverständnisse sofort von den Lesern bemerkt worden sein, wenn man die Stellen, auf welche man sich stützen zu können meinte, wörtlich angeführt gehabt hätte.

    Diese Neigung zu Missverständnissen bei Angabe fremder Gedanken, führt mich auch zu der Bemerkung, dass wenn ich irgendwo gesagt habe, dass der Mensch bei seiner Bekehrung sich der Hülfe der Gnade Gottes bediene, ich damit nur meine, dass er davon durch das Aufhören des überwundenen Widerstandes Nutzen ziehe, aber ohne dass er seinerseits eine Beihilfe leistet; so wie es ja auch keiner Mitwirkung des Eises bedarf, wenn es gebrochen wird; denn die Bekehrung ist das reine Werk der Gnade Gottes, wo der Mensch nur insofern mitwirkt, als er der Gnade Widerstand leistet. Dieser Widerstand kann nach der Person und den Umständen kleiner oder grösser sein. Auch unterstützen die Umstände mehr oder weniger unsere Aufmerksamkeit und die Bewegungen, welche in unserer Seele entstehen. Das Zusammentreffen aller dieser Dinge, in Verbindung mit der Stärke des Eindrucks und dem Zustande des Wollens bestimmt die Wirkung der Gnade, aber macht alle diese Dinge nicht zu notliwendigen. Ich habe übrigens anderwärts mich genügend darüber ausgesprochen, dass in Bezug auf diese heilsamen Umstände der nicht wiedergeborene Mensch wie tot aufgefasst werden muss und ich stimme ganz dem bei, wie die Theologen des Augsburgisehen Bekenntnisses sich über diesen Gegenstand ausgesprochen haben. Indess hindert diese Verderbniss des nicht wiedergeborenen Menschen ihn nicht, an der Ausübung sonstiger wahrhaft sittlicher Tugenden. Er vermag mitunter in dembürgerlichen Leben gut und in Folge eines guten Grundsatzes zu handeln, und zwar ohne dabei eine böse Absicht zu haben und ohne Einmischung einer wirklichen Sünde. Man wird es mir hoffentlich verzeihen, wenn ich hier von der Ansicht des heiligen Augustin ab weiche, eines unzweifelhaft grossen Mannes mit einem bewun¬derungswürdigen Geiste; nur scheint er mitunter geneigt, die Sachen auf die Spitze zu treiben, namentlich in der Hitze des Streites. Ich habe alle Achtung vor Menschen, welche sich als die Schüler des heiligen Augustin bekennen , unter andern auch vor dem verehrten Pater Quesnel, dem würdigen Nachfolger des grossen Arnauld in der Fortsetzung des Streites, den sie mit der berühmtesten Gesellschaft begonnen haben. Ich habe indessen bemerkt, dass bei diesen Streitigkeiten zwischen Männern von grossen Verdiensten (und deren giebt es hier unzweifelhaft in beiden Parteien) die Vernunft auf jeder Seite vorhanden ist, nur dass es bei verschiedenen Punkten der Fall ist und dass sie mehr auf Seiten der Vertheidigung, wie auf Seiten des Angriffs besteht, wenngleich bei der boshaften Natur des menschlichen Herzens die Angriffe den Lesern angenehmer sind, als die Vertheidigungen. Ich hoffe, dass der ehrwürdige Pater Ptolemei, die Zierde seiner Gesellschaft bei der Ausfüllung der Lücken, welche der berühmte Bellarmin gelassen hat, uns über alles dies Aufklärungen geben wird, wie sie von seinem Scharfsinn, von seinen Kenntnissen, und ich wage hinzuzufügen, von seiner Mässigung gehofft werden können. Auch muss man erwarten, dass sich unter den Theologen des Augsburgischen Bekenntnisses ein neuer Chemnitz oder Calixtus erheben wird, wie man ja auch mit Grund erachten kann, dass neue Usseriusse oder Daille’s unter den Reformirten aufleben werden und dass alle an der Beseitigung der Missverständnisse arbeiten werden, mit denen diese Materien belastet sind. Endlich wäre es mir sehr angenehm, wenn die Männer, welche diese Missverständnisse aufdecken wollen, die Einwendungen nachläsen, welche ich in Verbindung mit Antworten in dem kleinen Aufsatz am Ende dieses Buches beigefügt habe und die gleichsam als eine Zusammenfassung desselben dienen sollen. Ich habe da versucht, einigen neuen Einwendungen zuvorzukommen, indem ich z. B. erklärt habe, weshalb ich den vorgehenden und nachfolgenden Willen für vorgängig und abschliessend nach dem Beispiel von Thomas, Scotus und Anderen angenommen habe; ferner wie es möglich sei, dass in dem Ruhme aller Erretteten unvergleichlich mehr Gutes enthalten sei, als Uebel in dem Elend aller Verdammten, obgleich letztere die Mehrzahl sind; ferner wie meine Behauptung, dass das Uebel nur als eine unumgängliche Bedingung gestattet worden, nicht in dem Sinne einer Nothwendigkeit zu verstehen sei, sondern in dem Sinne der Angemessenheit; ferner wie die von mir zugelassene Vorausbestimmung immer nur anreizend, aber niemals zwingend ist; ferner wie Gott denen, welche von ihren Einsichten einen guten Gebrauch gemacht haben, neue nothwendige Einsichten nicht versagen werde. Ich lasse dabei andere Aufklärungen unerwähnt, die ich über einige schwierige Fragen zu geben versucht habe, die an mich seit Kurzem gerichtet worden sind. Auch bin ich dem Käthe einiger Freunde gefolgt, welche die Beigabe zweier Nachträge für wünschenswert hielten; der eine betrifft die zwischen Herrn Hobbes und dem Bischof Bramhall verhandelte Streitfrage über Freiheit und Notwendigkeit; die andere betrifft das vor Kurzem in England erschienene gelehrte Werk über den Ursprung des Übels.

    Ich habe endlich alles auf die Erbauung einzurichten gesucht, und wenn ich für die Neugierde etwas gesorgt habe, so ist es nur geschehen, weil ich glaubte, dass ein Gegenstand, dessen Ernst leicht abschrecken kann, auch der Erheiterung bedürfe. In dieser Rücksicht habe ich das unterhaltende Luftschloss einer gewissen astronomischen Theologie mit aufgenommen, da ich nicht zu fürchten hatte, dass Jemand dadurch irregeführt werden dürfte und ich meinte, die blose Darstellung desselben enthalte auch schon seine Widerlegung. Es sind Erdichtungen behufs Erdichtungen. Anstatt sich vorzustellen, dass die Planeten Sonnen gewesen sind, könnte man vielleicht annehmen, dass sie Massen gewesen, welche in der Sonne geschmolzen und dann herausgestossen worden sind und damit würde die Grundlage dieser hypothetischen Theologie zerstört sein. Die alte Irrlehre von zwei Prinzipien, welche die Orientalen durch die Namen Oromasdes und Arimanius unterscheiden, hat mich zur Erläuterung einer Vermuthung in Betreff der ältesten Geschichte der Völker geführt; denn da hat es den Anschein, dass es die Namen von zwei gleichzeitigen grossen Fürsten gewesen sind, von denen der eine einen Theil von Ober-Asien beherrschte, wo es seitdem mehrere Monarchen dieses Namens gegeben hat und der andere, ein König der Celto-Scythen, welcher in die Staaten jenes einbrach und dessen Namen auch unter den Gottheiten der Germanen vorkommt. Es hat in der That den Anschein, als wenn Zoroaster die Namen dieser Fürsten zu Symbolen unsichtbarer Mächte benutzt hat, da deren Thaten in der Meinung der Asiaten sie jenen Gottheiten gleichstellten.

    Indess scheint Zardust oder Zoroaster, der zu einem Zeitgenossen des grossen Darius gemacht wird, nach den Berichten arabischer Schriftsteller, welche wohl besser, als die griechischen dies wissen konnten, rücksichtlich einiger Besonderheiten der orientalischen Geschichte, diese beiden Prinzipien nicht als die ganz ersten und unabhängigen genommen zu haben, sondern als abhängig von einem hohem und einem Prinzip, und dass er in Uebereinstimmung mit der Schöpfungsgeschichte des Moses angenommen, dass Gott, der keinen Vater hat, alles geschaffen und das Licht von der Finsterniss geschieden habe; dass das Licht seiner ursprünglichen Absicht entsprochen, aber dass die Finsterniss nur als eine Folge gekommen sei, so wie der Schatten dem Körper folgt und dass diese Finsterniss nichts als eine Beraubung ist. Dies würde diesen alten Schriftsteller von den Irrthümern befreien, welche ihm die Griechen zuschreiben. Die Orientalen haben ihn wegen seines grossen Wissens mit dem Mercur oder Hermes der Ägypter und der Griechen verglichen, wie die Nordländer ihren Wodan oder Odin mit demselben Mercur verglichen haben. Die Mittwoch (Mercredi) oder der Tag des Mercur heisst deshalb bei den Nordländern Wodans-Tag, aber bei den Asiaten Zardust-Tag; denn die Türken und Perser nennen ihn Zaraschamba oder Dscarschambe und die aus dem Nord-Osten gekommenen Ungarn Zerda und die Slaven von dem Innern Gross-Russlands bis zu den Lüneburger Wenden nennen ihn Sreda, da die Slaven den Namen auch von den Orientalen empfangen hatten. Diese Bemerkungen werden das Interesse der Wissbegierigen erregen und hoffentlich wird das kleine Gespräch am Ende der Aufsätze gegen Herrn Bayle die Leser befriedigen, welche schwierige aber wichtige Wahrheiten gern in einer leichten und verständlichen Weise dargelegt sehen.

    Ich habe mich einer fremden Sprache selbst auf die Gefahr hin, viele Fehler zu machen, bedient, weil der Gegenstand von Andern kürzlich in dieser Sprache behandelt worden ist und er in dieser Sprache mehr von denen gelesen wird, denen ich durch diese kleine Arbeit habe nützlich werden wollen. Hoffentlich werden die Sprachfehler Verzeihung finden; siefallen nicht blos dem Drucker und dem Abschreiber zur Last, sondern auch der Eile des Verfassers, der viele Störungen zu ertragen hatte r). Sollte auch in die Gedanken ein Irrthum sich eingeschlichen haben, so wird der Verfasser der erste sein, welcher ihn berichtigen wird, so wie er des Bessern belehrt sein wird, da er bereits solche Beweise für seine Wahrheitsliebe geliefert hat, dass man hoffentlich diese Worte nicht blos für eine Redensart nehmen wird.

    Referenzen, Anmerkungen

    1. Anmerkung steinerschüler: In dieser Ausgabe zu finden auf Seite 12, unten. “A priori” war schon vor Leibniz in Gebrauch, “Vernunft a priori” dachte ich aber hätte erst mit Kant begonnen. Dem ist offensichtlich nicht der Fall.

    bookmark_border3.5.2.3-12 Experimentelle PZS-Anwendung auf die DWA

    Da sich die Kategorisierung des Artikels zu ‘Emergenz’ der Prinzipienzusammensetzung als schwierig erweist (weil ich Emergenz nicht verstehe), schreibe ich an Artikeln die als Ablenkung dienen sollen, um meinen Kopf etwas zu durchlüften. Meistens kommen danach bessere Ideen.

    Zu Substanz, Gattung und System

    Es ist wohl widersinnig, mich von der Prinzipienzusammensetzung (die PZS beschreibt, wie sich ‘Prinzipien an sich’ zusammensetzen) ablenken zu wollen, und dabei die PZS zu verwenden um das Weltanschauungsprinzip (WAP) anzuschauen. Da es aber ein Prozess des ‘Kopfdurchlüftens’ ist, ein Eigenleben habende Gedanken niederzuschreiben, ob nun am Bildschirm oder auf Papier, schreibe ich auch diesen nieder. Lieber am Bildschirm, weil das Schreiben auf Papier Ewigkeiten dauert.

    Das WAP hat nach der PZS 24 Einheiten. Dreiundzwanzig davon sind Substanzen (oder Arten), und eine ist das Weltanschauungssystem. Das WAP hat neben den dutzend Weltanschauungen (DWA) auch die sieben Visibilitätsstufen (DVS), die drei Seelentöne (DST) und den Anthropomorphismus (DAM). Es hat somit vier Gattungen, und ein übergeordnetes System. Hier eine Übersicht des WAP:

    Die Prinzipienzusammensetzung (PZS) hat folgenden Aufbau:

    Vermengung aus PZS und DWA

    Folgendes Experiment ist nicht eine Anwendung der PZS auf das WAP, sondern die Perspektive aus einer einzelnen WA heraus auf den Rest der dutzend Weltanschauungen. In folgendem Beispiel ist es die Sicht des Materialismus, von dem aus die Klassen der PZS auf andere WA verteilt werden. Wäre es ein einseitiger Materialismus, würde er darauf bestehen, dass alle sieben Klassen bei ihm bleiben. Für das Experiment gebrauchen wir aber einen flexibleren Materialismus.

    Wir betrachten nun nur die zwölf Substanzen der Gattung ‘dutzend Weltanschauungen’. Nehmen wir dazu versuchsweise an, der Materialismus sei ‘Substanz’, der Mathematizismus sei dessen ‘Identität’, der Rationalismus ‘Modus’, der Idealismus ‘Kategorie’, der Psychismus ‘Relation’, der Pneumatismus ‘System’, und schliesslich der Spiritualismus die ‘Emergenz’ aus dem Materialismus. In anderen Worten sind wir für dieses Gedankenexperiment weltoffene Materialisten, die annehmen, dass der Materialismus zwar das Erste sei, dass aus ihm jedoch anderes folge (andere WA).

    Die Zuteilung der Klassen des PZS erschliesst sich im obigen Schema fast von selber. Wir wollen im Anschluss testen, ob einer beliebigen WA die Klasse ‘Substanz’ zugewiesen werden kann, und ob wir von da aus in beide Richtungen die Emergenz zur Polaritätsseite hin platzieren können (auch wenn sich hier bis jetzt noch keine Beschreibung – nach WAP-Logik – für die Emergenz findet).

    Da in obigem Bild vom Materialismus zum Mathematismus gegangen wird, und der Mathematismus abstrahiert was der Materialismus ist, und die Identität abstrahiert was die Substanz ist, funktioniert obiges Schema. Auch dass die Kategorisierung hier gerade mit dem Idealismus zusammentrifft, ist passend.

    Ähnliches gilt für den Spiritualismus und den Monadismus: der Monadismus abstrahiert den Spiritualismus 1. Wenn wir also noch einmal im Gegenuhrzeigersinn gehen, diesmal vom Spiritualismus zum Materialismus, findet sich wieder ein funktionierendes Schema:

    Von Spiritualismus kann mit diesem Schema im Gegenuhrzeigersinn zum Materialismus gegangen werden. Um es aber auf andere Weltanschauungen in solcher Weise anzuwenden, muss folgende Frage gestellt werden: ist es wirklich so, dass der Mathematismus den Materialismus abstrahiert, und dass der Monadismus den Spiritualismus abstrahiert? Denn es könnte sein, dass sich dieser Gedanke nur deswegen gebildet hat, weil über persönliche Vorzüge der Übergang vom einen zum anderen einfacher schien, wenn das Eine das Andere abstrahiert, und nicht das Andere das Eine.

    Übergang über die Ränder: Gnostismus und Okkultismus

    Zum ‘Übergang über die Ränder’ schrieb ich vor einigen Monaten einen Artikel, den ich entweder nicht mehr finden kann (was durch das Vorhandensein der Suchfunktion eigenartig wäre, wenn es den Artikel noch gibt), oder der es nicht über das Entwurfsstadium hinaus geschafft hat und gelöscht wurde; auch kommt der Übergang über die Ränder in den ‘Hauptsätzen des WAP‘ vor, als der ‘Transitionssatz über die Ränder’ (RTS). Die Idee hierbei ist, dass der Übergang vom Materialismus (MLM) zum Mathematismus (MTM), und vom Materialismus zum Sensualismus (SSM), über bestimmte Visibilitätsstufen geschieht. Weil der okkultistische Materialismus und der gnostische Mathematizismus einander ähnlich sind, geschieht der Übergang von der einen Weltanschauung zur anderen am leichtesten dort. Gleichsam sind sich der gnostische Materialismus und der okkultistische Sensualismus ähnlich, wodurch der Übergang vom einen zum anderen bei diesen beiden dort geschieht. Der Gnostismus und der Okkultismus gelten hierbei als die ‘äusseren’ Visibilitätsstufen, über die die Übergänge geschehen.

    Es muss nun also nicht sein, dass in den dutzend Weltanschauungen die Abstraktion nur vom MLM zum MTM, und vom STM zum MDM (Spiritualismus zu Monadismus) zu finden ist, dass wir nur zwischen MLM und MTM, und genau gegenüber, Abstraktion vorfinden, vielmehr scheint es möglich, dass die Abstraktion im Gegenuhrzeigersinn bei allen Weltanschauungen zu finden ist, dass also der Realismus beim Übergang den Dynamismus abstrahiert, der Phänomenalismus den Realismus usw.

    Für obiges Schema muss die Idee der Abstraktion folglich hintenan gestellt werden.

    Abstraktion und Aktualisation

    Somit fände sich im umgekehrten Zeigersinn, d.h. im Uhrzeigersinn, das Gegenteil der Abstraktion: Aktualisation (das ist ‘Konkretisierung’, eine Art von ‘Verwirklichung’, entlehnt von der englischen ‘Self-actualization’ der New-Age-Bewegung und dergleichen, übersetzt ‘Selbstverwirklichung’).

    Hierzu möchte ich einen separaten Artikel beginnen, um dadurch die Inhalte leichter finden zu können (oder nicht mehr zu verlieren).

    Referenzen, Anmerkungen

    1. Rudolf Steiner in “Der menschliche und der kosmische Gedanke” GA151, Rudolf Steiner Taschenbuch, zweiter Vortrag S. 43: “Es gibt Monaden (…) verschiedener Grade. – Ein solcher (monadistischer) Mensch kommt nicht dazu, sich das Konkrete der einzelnen geistigen Wesenheiten so vorzustellen wie der Spiritualist; aber er reflektiert in der Welt auf das Geistige, das er nur unbestimmt sein lässt. Er nennt es Monade, das heisst, er kümmert sich nur um den Vorstellungscharakter, als wenn man sagen würde: Ja, Geist, Geister sind in der Welt; aber ich beschreibe sie nur so, dass ich sage, sie sind verschiedenartig vorstellende Wesen. Eine abstrakte Eigenschaft nehme ich aus ihnen heraus. Da bilde ich mir diese einseitige Weltanschauung aus, für die vor allem so viel vorgebracht werden kann, als der geistvolle Leibniz für sie vorgrbracht hat. So bilde ich den Monadismus aus. – Der Monadismus ist ein abstrakter Spiritualismus.”

    bookmark_borderKarl Acham – Über den Weltanschauungsbegriff

    Der österreichische Akademiephilosophe Karl Acham veröffentlichte 1 2 im internationalen Phänomenologie, Hermeneutik und Metaphysik-Magazin 3 einen Artikel zum Weltanschauungsbegriff, mit dem Titel “Weltanschauung: Über einige ihrer Formen und Funktionen“. Im Folgenden wird der gesamte Artikel wiedergegeben (was viel Zeit frisst, da sich PDFs vehement dagegen wehren, in ein normales Format gebracht zu werden, und dieser Artikel ursprünglich selber schon reich an Formatierungsarten ist).

    An solchen Artikeln ist zu sehen, dass bei vielen Philosophen Kategorien etwas Schönes an sich haben müssen, um anerkannt zu werden. Es ist erleichternd zu sehen, dass Ästhetik in Universitäten nicht überall durch rein funktionale Logik verdrängt wurde. Hut ab vor Herrn Acham.

    Hier das PDF:


    von Karl Acham

    Weltanschauung: Über einige ihrer Formen und Funktionen

    Zusammenfassung

    Der vorliegende Beitrag untersucht vergleichend einige zentrale Denkformen und Gedankeninhalte, die seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert in der Philosophie und den Sozialwissenschaften mit dem Begriff der Weltanschauung in Beziehung gebracht wurden. Beginnend mit Kants Unterscheidung von „Anschauen“ und „Erscheinen“, also der aktiven Weltbetrachtung sowie dem rezeptiv erfahrenen Weltbild, führen die Betrachtungen weiter zu Wilhelm Diltheys Typologie der Weltanschauungen, zum Streit zwischen Ideologie und Wissenschaft bei Karl Marx, Joseph Schumpeter und Theodor Geiger, sowie zur Vielfalt von Wittgensteins „Sprachspielen“ und „Lebensformen“. Zum Schluss wird die Frage erörtert, inwiefern die Weltanschauungsanalyse –was Karl Mannheim angenommen zu haben scheint –einen Beitrag zur Beilegung von Konflikten zwischen den ideologischen Weltanschauungs-Parteien zu leisten imstande ist.

    Schlüsselwörter

    Weltanschauung; Formen; Funktionen; Dilthey; Typologie der Weltanschauungen.

    Einleitung zur ursprünglichen Ambivalenz des Begriffs der Weltanschauung

    Das Wort “Weltanschauung” erscheint zuerst 1790 bei Kant in seiner Kritik der Urteilskraft, (KANT, 1968, S. 254) 4 und von dem damit Gemeinten heißt es, dass ihm “als bloßer Erscheinung” die “Idee eines Noumenons […] zum Substrat untergelegt” werde. Der Ausdruck bezeichnet einerseits den Vorgang des Anschauens, andererseits den des Erscheinens. Grammatisch-semantisch gesprochen heißt das, wie Werner Betz in einer der Geschichte des Wortes “Weltanschauung” gewidmeten Abhandlung bemerkt, dass Kant ein Wort gebraucht, “das”, wie beispielsweise das Wort ‘Übersetzung’ auch, “nicht nur Nomen actionis ist, Bezeichnung des Vorganges, sondern das zugleich auch ein Nomen acti, Bezeichnung des Ergebnisses darstellt. […] Diese doppelte Funktion wird für Kant durch das Wort Weltanschauung, erfüllt, besser als durch die schon vorhandenen Ausdrücke ‘Weltbetrachtung’ oder ‘Weltbild’, die jeweils nur entweder Nomen actionis oder Nomen acti sind, während eben Weltanschauung in der Sprache Kants als Anschauung schon beides in sich vereint.” (BETZ, 1981, S. 19) Dass “Weltanschauung” also durch das aktive individuelle Anschauen gewonnen werden kann, andererseits aber ein durch viele Anschauungen und Gewöhnungen kondensiertes Bild oder System meint, macht den Reiz und den Erfolg des Wortes in seiner bisherigen Begriffsgeschichte aus.
    Religiöse Glaubensinhalte werden in den folgenden Betrachtungen zu den Formen und Funktionen der Weltanschauung ausgeklammert werden. Für diese bedürfte es einer besonderen Untersuchung.

    Einiges zur weiteren Entwicklung des Weltanschauungsbegriffs

    In der Zeit nach Kant führte der Weg der Erkenntnisbemühungen häufig zur vereinseitigten Analyse von entweder Anschauen oder Angeschautem, von subjektiver Welterfahrung bzw. objektiviertem Erfahrungsresultat. Dass dabei oftmals Weltanschauung, und zwar durch das Wörtlich-Nehmen im Sinne des nomen actionis, zu spöttischer Kritik Anlass gab, belegt exemplarisch eine Stelle in einem Brief Jacob Burckhardts an Gottfried Kinkel: “Vor Zeiten war ein jeder ein Esel auf seine Faust und ließ die Welt in Frieden; jetzt dagegen hält man sich für ‘gebildet’, flickt eine ‘Weltanschauung’ zusammen und predigt auf den Nebenmenschen los.” (BETZ, 1921, S. 276) Die von jeglicher Überprüfbarkeit enthemmte Subjektivität ist es, welche hier in Betracht steht und erkenntnistheoretische Realisten auf den Plan gerufen hat. Später erfolgte eine Art Ontologisierung der Weltanschauung, eine Änderung der Aufmerksamkeitsrichtung vom Vorgang zum Resultat, vom nomen actionis zum nomen acti. Darauf ist hier im einzelnen nicht einzugehen; es mag hier der Hinweis genügen, dass der Inhalt einer Weltanschauung zumeist entweder im Sinne der theoretischen Vernunft als Erkenntnis, oder aber im Sinne der praktischen Vernunft als Bekenntnis verstanden wurde.

    Repräsentativ für eine Bestimmung der Bedeutung des Begriffs Weltanschauung im Sinne der theoretischen Vernunft ist Rudolf Eislers (erstmals 1899 erschienenes) Wörterbuch der philosophischen Begriffe, wo es in der dritten Auflage aus dem Jahre 1910 heißt: “Ein philosophisches System ist die Vereinigung allgemeiner Erkenntnisse zur Einheit einer Weltanschauung.” Die werthaft-präskriptive Ebene bleibt ausgeklammert. Beispielhaft für die Bestimmung der Bedeutung dieses Begriffs im Sinne der praktischen Vernunft wiederum sind Hegels Ausführungen über “Die moralische Weltanschauung” in der Phänomenologie des Geistes (1807) oder – mehr als 120 Jahre später – Theodor Litts Hinweise auf “Lebensfragen, denen nur in einer Weltanschauung Antwort werden kann”. (LITT, 1928, S. 76) Auch in den so genannten politischen Weltanschauungsparteien dominiert im Allgemeinen ein Verständnis von Weltanschauung im Sinne von praktischen Lebensfragen und von darauf gegebenen Antworten zur individuellen und kollektiven Lebensführung. Allerdings ist der Anspruch jener Parteien in der Regel umfassender und schließt auch Lehren ein, die sich auf bestimmte den Menschen, die Gesellschaft und die Natur betreffende Inhalte theoretischer Art beziehen. So handelt es sich bei ihnen um Weltanschauungen im Sinne von “Gesamtdeutungen”,5 die verschiedentlich an die Stelle umfassender älterer metaphysischer Weltdeutungen traten. Gelegentlich wurden sie auch in diesem definiert, wie beispielsweise von Paul Thormeyer in seinem Philosophischen Wörterbuch: “Weltanschauung (= metaphysisches System) ist ein durch einheitliche Zusammenfassung alles Wissens und abschließende Betrachtung gewonnenes Gesamtbild von der Welt.” (THORMEYER, 1922). 6 Bei diffusen Ganzheitsvorstellungen dieser Art setzten Wilhelm Diltheys Analysen in seiner “Weltanschauungslehre” an, mit welchen er das theoretischpraktische Amalgam der herkömmlichen einschlägigen Auffassungen zu systematisieren suchte, und die ein einer wirkungsgeschichtlich höchst bedeutsamen Typologie der Weltanschauungen ihren Ausdruck fanden.

    Weltanschauung als Erkenntnisinteresse

    Diltheys Typen der Weltanschauungen

    Für Dilthey ist die Welt ein in unterschiedlichen Erlebnissen zugänglicher Sachverhalt, obschon ihm, wie bereits Kant, die Idee einer Einheit des darauf bezogenen Wissens als ein regulatives Prinzip der Erkenntnis galt. Diese Einheit des Wissens war für ihn aber nicht verbürgt durch ein “Ding an sich”, sondern durch die Anthropologie, aus der heraus die verschiedenen perspektivischen Formen der Welterfahrung als “Typen der Weltanschauung” verständlich gemacht werden sollten. Die “Menschennatur”, wie sie sich im realen Lebensprozess zeigt, habe, wie Dilthey bereits in seiner Einleitung in die Geisteswissenschaften sagt, “am Wollen, Fühlen und Vorstellen nur seine verschiedenen Seiten”. (DILTHEY, 1973, S. XVIII). So konzipiert er

    • den “Naturalismus” als den positivistischen Ansatz vom Verstand her, wie er exemplarisch von Demokrit und Hobbes vertreten und durch die verschiedenen Sparten der Naturwissenschaften praktiziert wird;
    • den “objektiven Idealismus” als den kontemplativen Ansatz vom Gefühl her, wie er etwa von Heraklit, Leibniz, Hegel und Goethe repräsentiert wird und sich in einer harmonisierenden Religion oder einer gleichartigen, am besten wohl als apollinisch zu bezeichnenden künstlerischen Weltbetrachtung ausdrückt;
    • den “Idealismus der Freiheit” als den aktivistischen Ansatz vom Willen her, wie er uns beispielsweise im Schrifttum von Plato und Kant begegnet und wie er im ethischen, juristischen und politischen Denken und Handeln Ausdruck findet. 7

    Dilthey befindet sich damit sowohl in der Tradition von David Hume, dessen Treatise of Human Nature bekanntlich aus den drei Büchern “Of the Understanding”, “Of the Passions” sowie “Of Morals” besteht, als auch in der von Immanuel Kant und seinen drei Kritiken, die in gewisser Hinsicht jenem dreigliedrigen Aufbau von Humes Schlüsselwerk entsprechen.

    In der Anthropologie als der Selbsterkenntnis des Menschen liegt also nach Dilthey der Grund für die drei von ihm in seiner Weltanschauungslehre dargelegten Erkenntnisorientierungen. 8 Für ihn stand fest, dass jede Vereinseitigung einer dieser drei Weltanschauungs-Orientierungen im Sinne des für sie reklamierten besonderen Geltungsanspruchs zu einer dogmatischen Metaphysik führt. Es ginge darum, zu zeigen, dass sich Einsichten, welche in einem der von Dilthey genannten Bereiche der “geistigen Welt” – in den Naturwissenschaften, in Kunst und der Religion, in Ethik und der Politik – entstanden, zu Irrtümern werden, sobald man sie verabsolutiert und auf kategorial andersartige Sachbereiche überträgt. Notwendigerweise ist nach Dilthey jede Weltanschauung einseitig; es ist uns, wie er ausführt, versagt, diese Seiten zusammenzuschauen: “Das reine Licht der Wahrheit ist nur in verschieden gebrochenem Strahl für uns zu erblicken.” (DILTHEY, VIII 1977, S. 224)

    Vieles als “Ideologie” Bezeichnete ist bekanntlich durch eine solche Verabsolutierung von Prinzipien entstanden, welche innerhalb eines bestimmten Teilgebietes ihre unbestreitbare Gültigkeit haben, dann aber auf ihnen nicht gemäße Gegenstandsbereiche zur Anwendung gebracht wurden. 9 Dazu einiges noch im Folgenden.

    Zur Wirkungsgeschichte von Diltheys Typologie der Weltanschauungen

    Auch das Werk eines Philosophen wird im Allgemeinen nicht nur dadurch bestimmt, was es für sich genommen ist, sondern auch durch das, was es auf dem Wege der Rezeption bewirkt hat. Diltheys Schrifttum zur Weltanschauungsanalyse kommt in diesem Zusammenhang ein exemplarischer Charakter zu. Schon früh – erstmals im Jahre 1908 – untersuchte Herman Nohl in einer Dilthey verwandten Absicht den Zusammenhang von Malerei, Kunststil und Weltanschauung. 10 (NOHL, 1908; NOHL, 1920) Karl Mannheim hat dann 1923 Beiträge zur Theorie der Weltanschauungs-Interpretation (MANNHEIM, 1923; MANNHEIM, 1964) verfasst, in denen er auf Diltheys Studie “Die Typen der Weltanschauung und ihre Ausbildung in den metaphysischen Systemen” (1911) und auch auf Nohls Stil und Weltanschauung (1920) Bezug nimmt. Aber bereits 1919 erschien die Monographie Psychologie der Weltanschauungen von Karl Jaspers, (JASPERS, 1919; JASPERS, 1971) die vor allem bei Psychologen und Kulturphilosophen auf große Resonanz stieß. Ein halbes Jahrhundert nach Jaspers hat Ernst Topitsch seine “Weltanschauungsanalyse” unter wiederholter Bezugnahme auf Dilthey entwickelt; (TOPITSCH, 1972) auf sie wird später noch kurz Bezug genommen werden.

    Jede Komparatistik hat von bestimmten Klassifikationen und Typenbildungen auszugehen, um einerseits Konstantes im Wandel, andererseits auch Gleichförmiges im Verschiedenartigen nachweisen zu können. Max Scheler hat in dieser Absicht im Anschluss an Dilthey typologische Bestrebungen verfolgt, so zunächst in seiner 1922 erschienenen Abhandlung “Weltanschauungslehre, Soziologie und Weltanschauungssetzung”. 11 (SCHELER, 1963). Mit ihr legte er eine allgemeine Typologie von Weltanschauungen vor, auf die drei Jahre später seine berühmt
    gewordene Unterscheidung von drei “Wissensformen”– von “Erlösungs-“, “Bildungs-” und “Herrschafts”- oder “Leistungswissen” – folgte, 12 (SCHELER, 1960, S. 15-190, 191-382) mit welcher Unterscheidung Scheler die von “emanzipatorischem”, “praktischem” und “technischem Erkenntnisinteresse” bei Jürgen Habermas 13 vorwegnahm. Diese Wissensformen bzw. Erkenntnisinteressen sind Diltheys Weltanschauungstypen ähnlich: dem “Idealismus der Freiheit”, dem “objektiven Idealismus” und dem “Naturalismus”.

    Unter Bezugnahme insbesondere auf den seinerseits unmittelbar von Dilthey beeinflussten Eduard Spranger und dessen als Monographie erstmals 1921 publiziertes Werk Lebensformen hat im Hans Leisegang im Jahr 1928 sein Buch Denkformen veröffentlicht. Mit seiner Unterscheidung von drei Typen der Weltanschauung und mit der Kritik an der monistischen Vereinseitigung derselben kommt Leisegang Diltheys Intentionen sehr nahe. 14

    Weltanschauung als politische und als wissenschaftliche Orientierung

    Zur Herausbildung und zum Wissenschaftlichkeitsanspruch
    der sogenannten Weltanschauungsparteien

    Wenn, wie beispielsweise bei Max Weber, von „Weltanschauungsparteien“ die Rede ist, so sind darunter gesinnungspolitische Organisationen gemeint, „welche […] der Durchsetzung inhaltlicher politischer Ideale dienen wollen“. (WEBER, 1972, S. 839) 15 Die Proponenten einiger dieser Parteien verstanden sich dabei nicht allein als Vertreter bestimmter normativer Orientierungen, vielmehr sollten diese Orientierungen selbst wissenschaftlich begründet sein. Diese Art der Verwissenschaftlichung der Politik, die etwa in der Weltanschauung des „wissenschaftlichen Sozialismus“ – im Unterschied zum bloß utopischen oder ethischen – bei Friedrich Engels ihre spezifischeAusprägung erfahren hat, geht ideengeschichtlich vor allem auf das Gedankengut der Saint-Simonisten zurück.

    Saint-Simon wandte sich, wie auch sein später mit ihm zerstrittener Sekretär Auguste Comte, gegen das, was dieser als „revolutionäre Metaphysik“ bezeichnete, nämlich ein Denken in den Kategorien des bloß Möglichen: gegen die reine Utopie der in der Großen Revolution von den sogenannten „Freunden des Volkes“ dekretierten Ideen von Mensch und Welt. 16

    Nach Ansicht der frühen Positivisten sollte unter ihrer Ägide der Ausgang aus dem utopischen Reich des Möglichen in die wissenschaftlich abgesicherteWelt des Wirklichen erfolgen – und doch machte sich auch unter ihnen eine erstaunliche Einseitigkeit geltend. Sie bestand darin, die Methode der empirischen Wissenschaft weit über das Gebiet hinaus auszudehnen, auf das sie vernünftig anwendbar ist. Comtes im Jahre 1824 erschienenes System der positiven Politik und die in diesem Buch dargelegte neue Wissenschaft der Sozialphysik (physique sociale) wollte dazu dienlich sein, die natürlichen und unausweichlichen Gesetze des kulturellen Fortschritts aufzudecken. In dem nun angebrochenen, von der Erfahrungswissenschaft geleiteten Zeitalter, in dem, wie schon Saint-Simon verkündet hatte, letztlich die „Herrschaft über Menschen“ durch die „Verwaltung von Sachen“ ersetzt werde, komme es nach Comte darauf an, jedem Einzelnen und jeder Nation jene wissenschaftlich bestimmbare Tätigkeit zuzuweisen, für die sie geeignet sind. Die moralische Ordnung sei durch ein System der Ideen und Gebräuche sicherzustellen, das notwendig sei, um die Einzelnen in die soziale Ordnung einzuführen, unter der sie im Geiste des Positivismus ihr Leben gestalten. John Stuart Mill, der zwei Jahrzehnte lang unter dem Einfluss von Comtes Ideen stand, wurde durch diese Ansichten zur Konversion veranlasst; er sprach von ihnen als dem „vollständigsten System eines geistlichen und weltlichen Despotismus, das jemals – vielleicht mit Ausnahme desjenigen von Ignatius von Loyola – einem menschlichen Gehirn entsprungen ist“. (MILL, 1873, S. 213). 17 Der Erfolg der Lehren von Saint-Simon und Comte war dennoch beträchtlich; ihr Einfluss erstreckte sich unter anderem auf so bedeutsame Politiker wie Louis-Auguste Blanqui, den Vorläufer von Lenins Theorie der Avantgarde-Partei, 18 auf Étienne Cabet sowie Friedrich Engels, aber auch auf so namhafte Gelehrte wie Pierre Leroux, Frédéric Le Play und Adolphe Quételet.

    Von besonderer Wirkung auf Seiten der politischen Linken waren bekanntlich die sich auf Erkenntnissen der politischen Ökonomie berufenden Lehren des Marxismus-Leninismus; ihr antagonistisches Pendant hatten sie im politisch rechten Lager vor allem in Gestalt der Doktrinen eines biologisch argumentierenden Sozialdarwinismus. Arthur Schnitzler stellte in seinem Roman Der Weg ins Freie im Blick auf die verschiedenen Parteigänger fest, dass bei ihnen „Weltanschauung nichts als eine höhere Art von Gesinnungstüchtigkeit“ sei. 19 Für sie war, wenn auch in unterschiedlichem Umfang, das charakteristisch, was Max Weber als das „Zusammenzwingen“ der Sphäre der „Geltung eines praktischen Imperativs als Norm“ und jener der „Wahrheitsgeltung einer empirischen Tatsachenfeststellung“ kritisierte, wodurch der spezifischen Dignität jeder von beiden Abbruch getan werde. (WEBER, 1968, S. 501). Die letzten Werte unseres Handelns in einer Wissenschaft zu fundieren oder den Sinn des Weltgeschehens aus dem Ergebnis einer empirischen Durchforschung ablesen zu wollen, erschien ihm widersinnig. Es sei das „Schicksal einer Kulturepoche, die vom Baum der Erkenntnis gegessen hat […], wissen zu müssen, daß ‘Weltanschauungen’ niemals Produkt fortschreitenden Erfahrungswissens sein können, daß also die höchsten Ideale, die uns am mächtigsten bewegen, für alle Zeit nur im Kampf mit anderen Idealen sich auswirken, die anderen ebenso heilig sind, wie uns die unseren.“ (WEBER, 1968, S. 154). 20 Hans Kelsens Demokratietheorie schließt hier an, zumal für ihn die große Frage lautet, „ob es eine Erkenntnis absoluter Wahrheit, eine Einsicht in absolute Werte gibt.“ Er kontrastiert dann diese absolutistische Erkenntnis- und Wertlehre mit der des „Kritizismus und des Positivismus, sofern man darunter jene Richtung der Philosophie und Wissenschaft versteht, die vom Positiven, das heißt vom Gegebenen, Erfassbaren, von der wandelbaren und stets sich wandelnden Erfahrung ausgeht […]“. „Diesem Gegensatz der Weltanschauungen“, so fügt Kelsen ergänzend hinzu, „entspricht der Gegensatz der Wertanschauungen, speziell der politischen Grundeinstellung. Der metaphysisch-absolutistischen Weltanschauung ist eine autokratische, der kritisch-relativistischen die demokratische Haltung zugeordnet.“ (Kelsen, 1929, S. 100 f.) Von einem wissenschaftlich abgesicherten ultimativen Konsens im Blick auf die Inhalte der Politik ist bei Kelsen an keiner Stelle die Rede, vielmehr verlagert sich die Konsensforderung von der Ebene der politischen Ziele auf die der Verfahren zur Austragung von Konflikten über diese.

    Der Anspruch auf Einheit der Wissenschaft und die Vielfalt
    der “Sprachspiele”

    Die Emphase, die auf dem Ausdruck “Wirklichkeit” liegt, führte in der Geschichte des philosophischen Denkens der Neuzeit dazu, bestimmte “Erscheinungen” als eine Realität von zweitrangiger Bedeutung anzusehen und nur Beschreibungen und Erklärungen echten Erkenntniswert zuzusprechen, die im Sinne des mos geometricus, des geometrischen Denkstils, formuliert sind. Dagegen bezog bereits Blaise Pascal Stellung. Nach ihm besteht bekanntlich im Denken zwar alle Würde des Menschen, wie er in den Pensées ausführt, aber es umfasst nach ihm nicht allein den Bereich des Verstandes, sondern auch die durch Gefühl und Willen mitbestimmte Vernunft. sei. Und so spricht Pascal bekanntlich von einer “Logik des Herzens”, und findet, das Herz habe Gründe, die der Verstand nicht kennt. (PASCAL, 1840).

    Die Philosophen des Wiener Kreises vertraten in ihrer Mehrheit eine von derartigen Ideen abweichende philosophische Position. Obwohl sich etwa Moritz Schlick, Karl Menger und Victor Kraft mit Fragen der Moralphilosophie und der wissenschaftlichen Wertlehre beschäftigt hatten und sich Bela Juhos als ein später Vertreter dieser Richtung in seinem Buch Das Wertgeschehen und seine Erfassung intensiv mit Fragen einer von der Logik der naturwissenschaftlichen Erkenntnis unterschiedenen geisteswissenschaftlichen Methodologie beschäftigte, (JUHOS, 1956) dominierte im Logischen Empirismus der naturwissenschaftliche Denkstil; und dies nicht nur in Bezug auf die rechtfertigungslogischen, sondern insbesondere auch auf die heuristischen und forschungstechnischen Verfahren. (Siehe dazu exemplarisch STADLER, 1982) Wissenschaftssoziologisch betrachtet ist das Selbstverständnis der Vertreter des Logischen Empirismus, Proponenten einer „wissenschaftlichen Philosophie“, ja einer „wissenschaftlichen Weltauffassung“ zu sein, vor allem erklärbar unter Hinweis auf die in Anbetracht der schon seit der Zeit um 1900 brüchig gewordenen Kriteriologie der nicht-naturwissenschaftlichen Fächer. Halt im Sinne von Erkenntnissicherheit schienen die logischen und empirischen Überprüfungsverfahren zu bieten, wie sie im Bereich der Formal- und Naturwissenschaften entwickelt worden waren. 21

    Doch wie schon Wilhelm Dilthey, Heinrich Rickert und Max Weber gegenüber dem methodologischen Naturalismus gewisser ihrer in den Kulturwissenschaften tätigen Kollegen Kritik übten, so auch nun Philosophen und andere Kulturwissenschaftler gegenüber dem Neopositivismus. Nicht die Form der durch Forschungstechniken und Methoden verbürgten Sicherheit für sich genommen erschien ihnen als das Entscheidende, sondern das, worüber wir jeweils Sicherheit suchen. Die Wahrheit über den jeweils in Betracht stehenden Forschungsgegenstand zu gewinnen, sei das Ziel, nach dem sich die wissenschaftliche Methode als der Weg dorthin zu richten habe. Daher sei auch die Frage nach einem Methodenkanon der Wissenschaften, wie er der neopositivistischen Idee der „Einheitswissenschaft“ zugrunde lag, der Frage nach der Wahrheit nachgeordnet.

    Der namhafteste Kritiker einer solchen philosophischen Orientierung der „wissenschaftlichen Weltauffassung“ mit ihren im Sinne einer „Einheitswissenschaft“ universalisierten Wahrheitskriterien war Ludwig Wittgenstein. Gegen die logischen Empiristen des Wiener Kreises, die als Realisten der Ansicht waren, es gebe eine erfahrbare Welt, die unabhängig von den menschlichen Überzeugungen und Sprachgewohnheiten bestehe, vertrat er die antirealistische Auffassung. Alle Erkenntnis, auch die der Naturwissenschaften bzw. der durch sie festgestellten Tatsachen sei eingeschmolzen in unsere Sprachspiele (language games) und habe dort ihre Grundlage. Die Sprachspiele konstituieren jenen Bezugsrahmen (frame of reference), innerhalb dessen jeweils die Wahrheit von Aussagen feststellbar ist. (WITTGENSTEIN, 1977; WITTGENSTEIN, 1969) Sie selbst ruhen nicht abermals auf einer tieferen Erkenntnisgrundlage auf. Zwischen den Sprachspielen der Wissenschaft, der Magie, der Kunst etc. Hierarchien der Rationalität zu bilden sei ein Unding. Sprachspiele können nicht im Vergleich als vernünftiger oder unvernünftiger, rationaler oder irrationaler angesehen werden – sie seien, wie Wittgenstein sagt, einfach da wie unser Leben. Und so ist es für ihn auch naheliegend, die Idee der Wahrheit und der Gewissheit mit dem Begriff des Gesellschaftlichen, oder genauer: der Lebensform (form of life) zu verbinden. 22

    Wittgensteins Spätphilosophie läuft wie Diltheys Weltanschauungsanalyse auf eine Pluralität von Anschauungen der Welt hinaus, aber auch von dem, was uns in der Anschauung Gegenstand der Betrachtung wird. Wie für Dilthey wäre es auch für Wittgenstein nur schlechte Metaphysik, wollte man der Kunst, dem Recht, der Ethik Erkenntnisfunktionen einfach deshalb absprechen, weil sie weder reine Formal- noch Naturwissenschaften sind. Seine frühen Auffassungen über die Prinzipien der Wissenschaft, wie er sie im Tractatus entwickelt hatte, wurden später in die Idee von Regeln umgewandelt, welche verschiedene Sprachspiele beherrschen. Die Bilder, die wir uns auf ihrer Grundlage von der Natur und der Gesellschaft machen, seien ein Produkt unserer Gesellschaft, weil unserer Lebensform. Aber: Gesellschaft und Lebensform – modelliert in welcher Art von „Bezugsrahmen“ – in einem oder in mehreren? Und wenn mehrere möglich sind: Welche Lebensform ist wiederum für das Urteil konstitutiv, dass dieser und nicht ein anderer Bezugsrahmen der zutreffende ist? So scheinen Wittgensteins Überlegungen eher eine Forschungsrichtung anzuzeigen, als dass sie uns schon den Weg gewiesen hätten.

    Echte Erkenntnisse als rational gerechtfertigte Kenntnisse müssen, wie man annehmen muss, in Eigenschaften der Welt begründet sein, in welcher wir als Beobachter und Analytiker einen bestimmten Platz einnehmen, und nicht allein im Charakter und in den sozialen Verkehrsformen von Menschen, denen eine solche Rechtfertigung als gültig oder ungültig erscheint. Es scheint, dass wir hier unversehens mit einem infiniten Regress konfrontiert sind, wie er mit der Selbstanwendung des soziologischen Relativismus verbunden ist. Roger Trigg charakterisiert ihn folgendermaßen: “If science is socially constructed, so is social theory, and our theory of social theory and so on. Only if there are causal connections, as opposed to mere beliefs projecting them, can any social constructivist thesis gain a purchase on the real world.” (TRIGG, 1993, S. 168) Die Bindung der Methode an die inhaltlichen Merkmale des jeweiligen Bezugsrahmens sowie an die ihm korrespondierende Lebensform führt, so scheint es, dazu, dass die Methode jene Inhalte letztlich auch bestätigen muss, mit denen sie sich ursprünglich verbunden hat. 23

    Dieser Dominanz des Prozeduralen gegenüber dem Resultat, dem Anschauen gegenüber dem Angeschauten, der Frage gegenüber der Antwort, die heute unter anderem in der inflatorischen Rede vom „Entwurf“, vom „Erfinden“ und von „Projekten“ zum Ausdruck kommt, entspricht auch das mitunter geradezu manische Diskursivieren in philosophicis. Der diskursiv hergestellte Konsens gilt bekanntlich verschiedenen deutschen Philosophen als Quelle und Garant der normativen Geltung, und damit als Grundlage der (lebens)praktischen Weltanschauung. 24 Damit scheint die alte Hoffnung verbunden zu sein, wonach das Eine – im Sinne des Geeinigten und Einheitlichen – und das Wahre austauschbar sind; auch Voltaire hat einer besonderen Variante des Prinzips unum et verum convertuntur gehuldigt,wenn er meinte: „Es gibt nur eine Moral, wie es nur eine Geometrie gibt.“ (VOLTAIRE, 1994). Die Herstellung des Konsenses ist gleichwohl an bestimmte Vorbedingungen gebunden, die einer „bloß“ empirischen Geltung der durch ihn statuierten Normen vorbeugen sollen: an die „Herrschaftslosigkeit“ des Diskurses, an die Beteiligung aller von der Anwendung der Normen Betroffenen, an deren rationale Kompetenz sowie an deren gute oder wohlwollende Gesinnung. Den nicht Konsentierenden einen Mangel an Kompetenz oder hinreichend guter Gesinnung vorzuwerfen erschien daher immer wieder als ein probates Mittel der Konsenssicherung. Schon Voltaire stellte die von der „Vernunft“ Abweichenden vorwurfsvoll vor die Alternative fou ou fripon – Narr oder Betrüger. 25 Zudem mutet eine solche der Konsensfindung vorausgehende Einigung bezüglich der Art und Weise, wie man Diskurse über Tatsachen zu führen und nicht gleich über die Tatsachen selber zu sprechen hat, oft geradezu wie eine Form der diskursphilosophischen Selbstvergessenheit an. Diese geißelte einmal Robert Spaemann mit den Worten: „Konsens kann auf Irrtum beruhen. Dann kann er tödlich sein. Und ob er tödlich ist oder nicht, das wird durch Tatsachen entschieden und nicht durch Diskurse.“ (SPAEMANN, 1994, S. 257)

    Mehrseitige Weltanschauung, selektive Wissenschaft, einseitige Ideologie

    Im Englischen findet man für den Ausdruck „Weltanschauung“ nur vereinzelt die Lehnübersetzung „world view“; im Allgemeinen verwendet man hier dafür, wie etwa auch im Italienischen und im Französischen, die Bezeichnungen „ideology“ bzw. „ideologia“ und „idéologie“. Auch im Deutschen findet sich mitunter eine Gleichsetzung der Ausdrücke „Weltanschauung“ und „Ideologie“. Der von dieser neutralen Verwendungsweise mehrheitlich abweichende Gebrauch des Wortes „Ideologie“ nötigt zu einer differenzierteren Betrachtung, wodurch sich wiederum auch einige neue Seiten des Bedeutungsspektrums des Begriffs der Weltanschauung erschließen.

    Die wissenschaftliche Segmentierung der Welt und die
    ideologische Festlegung auf bestimmte erklärende Variablen

    Die Begründung des Wissens erfolgte in der Epoche der Säkularisierung nicht mehr unter Bezugnahme auf eine transzendente Autorität, sondern auf einen Faktor innerhalb der Welt, von dem man meinte, er besitze einen stärkeren Anspruch auf unsere Loyalität: auf die Rasse, die Klasse, die Evolution oder die Triebe. In dieser Art zu denken hat, wie Niklas Luhmann gezeigt hat, (Luhmann, 1976) eine bestimmte Variante von Ideologie ihren Ursprung. Diese nimmt das unbefangene Denken und Erleben nicht mehr ernst, oder jedenfalls nicht mehr zum alltäglichen “Nennwert”, sondern sucht nach einem dahinterliegenden “Realwert”, indem sie es als Wirkung von Ursachen außerhalb des bewussten Erlebens erklärt. Ideologisches Denken ist in diesem Sinne ein reduktionistisches Denken, durch welches die vermeintlich originären Tatsachen des menschlichen Bewusstseins und Handelns auf ihr “wahres” Sein zurückgeführt werden sollen. Dazu bemerkt Luhmann: “An dieser Stelle hat Marx seinen geschichtlichen Ort. Er arbeitet mit solchen destruierenden Kausalerklärungen. Ihnen verdankt er seine polemische Wucht. Ganz ähnlich verfahren andere Denker. Durkheim und die von ihm angeregte französische Wissenssoziologie leiten die Ideenwelten einschließlich ihrer Logiken aus den sozialen Verhältnissen einer Gesellschaft ab; Darwin bezieht den Sinn des Verhaltens auf seine Funktion für das biologische Überleben, Freud auf seine Funktion für die Befriedigung ursprünglicher oder verdrängter Libido, Veblen auf seine Funktion für die Befriedigung des Bedürfnisses nach sozialem Ansehen. Der gemeinte Sinn des Handelns wird durch solche Erklärungen zu einer vordergründigen ‘Rationalisierung’ der eigentlichen Motive.” (Luhmann, 1976 S. 38)

    Diese Art der „Dekonstruktion“ von Alltagswissen durch Hinweis auf eine bestimmte von der Wissenschaft aufgedeckte, „tiefer“ liegende Schicht relativiert das Gewicht des ursprünglichen Erfahrungsinhalts. Zur Ideologie werden solche wissenschaftlichen Weltauffassungen, sobald ihren Proponenten das Bewusstsein dafür abhanden kommt, dass es sich hier um eine einseitige Auszeichnung von bestimmten Wirklichkeitselementen oder Faktoren innerhalb eines umfänglicheren Phänomenbestandes handelt. Dann kommt auch jene Warnung zum Tragen, die – wenn auch ohne Angabe entsprechender Quellen – immer wieder Alexander von Humboldt in den Mund gelegt wird: „Die gefährlichste Weltanschauung ist die Weltanschauung derer, die die Welt nie angeschaut haben.“ Das Erfordernis, im Gefüge von Bedingungen, die unser individuelles und kollektives Leben beeinflussen und in gewissem Maße steuern, Hauptursachen zu erkennen und aus ihm herauszuarbeiten, verführte immer wieder zu monokausalem Denken. Die Auszeichnung ganz bestimmter Bedingungen oder Variablen bildete dann die Leitidee der jeweils am Werk befindlichen „wissenschaftlichenWeltanschauung“.

    Exemplarisch für das hier Gemeinte ist der vor allem seit den 1960er Jahren wieder heftig entbrannte Streit zwischen Milieutheoretikern (Environmentalisten) und Nativisten (Genetizisten). Vertraten Nativisten die Ansicht, das Verhalten der Menschen werde so gut wie zur Gänze durch ihre Erbanlagen bedingt, so verallgemeinerten die Vertreter der Milieutheorie den Einfluss, den Kultur und soziale Umwelt auf uns ausüben, zur Behauptung, unser Verhalten würde so gut wie ausschließlich durch unser kulturelles und soziales Umfeld bestimmt. Im populären psychologischen Schrifttum bestimmten für Jahrzehnte milieutheoretische Vorstellungen die öffentliche Meinung. Eine eigentümliche Pendelbewegung setzte mit dem Triumph der modernen Molekularbiologie ein, insbesondere seit der erfolgreichen Sequenzierung des Humangenoms, die im April 2003 zum Abschluss gelangte. Eigentümlich deterministische Auffassungen schufen sich Gehör, wonach die Biologie unser „Schicksal“ sei. Karl Kraus hätte hier – angesichts des Pendelschlags von einer vornehmlich von Behavioristen und gewissen Marxisten vertretenen radikalen Milieutheorie zu einem radikalen Nativismus – vielleicht von der Ablösung eines konvexen Irrsinns durch einen konkaven gesprochen.

    Heute wird kaum mehr jemand der von John B. Watson in seinem Buch Behaviourism (1926) geäußerten Aufforderung folgen: “Give me a dozen healthy infants, well-formed, and my own specified world to bring them up and I’ll guarantee to take any one at random and train him to become any type of specialist I might select – doctor, lawyer, artist, merchant-chief and, yes, even beggar-man and thief, – regardless of his talents, penchants, tendencies, abilities, vocation, and race of his ancestors.” (WATSON, 1930, S. 104). Heute vertreten aber noch immer nicht wenige die der Ansicht Watsons entgegengesetzte Ansicht, dass wir Sklaven unserer Gene sind. Mittlerweile ist jedoch klar geworden, dass die Annahme des genetischen Determinismus nicht haltbar ist. Einerseits gilt, dass ein menschliches Merkmal oft das Resultat vieler Gene ist, wie umgekehrt mehrere Merkmale durch ein einziges Gen gesteuert werden können, andererseits sind Gene nicht unabänderlich, sondern können sich, wie die Forschungen zur Epigenetik zeigen, als Antwort auf die Umwelt oder unseren Lebenswandel verändern. (SCHATZ, 2012, S. 108).

    Dieses Beispiel aus der jüngsten Wissenschaftsgeschichte zeigt, dass von der modernen Molekularbiologie erarbeitete Wissensinhalte ein dogmatisches Festhalten weder am klassischen Behaviorismus noch am orthodoxen Genetizismus als den vermeintlich wissenschaftlich gestützten anthropologischen Komponenten unserer Weltanschauung zulassen. Monokausale Theorien haben sich in der Biologie als unhaltbar erwiesen, und hier, wie auch anderswo, war der Erfolg letztlich jenen beschieden, die die Ursachen sorgfältig suchten und nicht einfach nur postulierten

    Zum pejorativen Verständnis von Ideologie: Ideologie als
    defizientes Wissen

    Zwei Denkweisen sind es neben der soeben erörterten Kritik an der apriorischen Festlegung auf bestimmte erklärende Variablen, die Gegenstand der Ideologiekritik wurden: die Kritik an dem Zurückbleiben von Beschreibungen, Deutungen und Erklärungen der gesellschaftlichgeschichtlichen Welt hinter dem bereits aktualisierbaren Wissensstand (a), und dann, damit in gewisser Weise zusammenhängend, die Konfundierung von Erkenntnisinhalten mit Wertbekenntnissen, wodurch jene verfälscht werden (b).

    Zur ideologischen Retardierung von Weltanschauungen

    Bei den um eine ganzheitliche Weltdeutung bemühten religiösen und metaphysischen Weltanschauungen wie bei verschiedenen ihrer politischen Ersatzbildungen handelt es sich – in den Worten von Ernst Topitsch – um „plurifunktionale Führungssysteme“, in denen Informationsvermittlung, Handlungssteuerung und emotionale Wirkung weithin ungeschieden sind. (Siehe dazu TOPITSCH, 1988) Sie sind gewissermaßen emotional getönte Weltdeutungen mit eingebauter Gebrauchsanleitung. Für Topitsch, der sich in seinem Schrifttum immer wieder auch den phylogenetischen und emotionalen Grundlagen menschlicher Weltauffassung zugewandt hat, (Siehe dazu TOPITSCH, 1996) bildet den Ausgangs- und Schlüsselpunkt der Analyse von Weltanschauungen die langsame Verselbstständigung des Erkennens gegenüber den anderen Formen unserer Weltauffassung: den normativen und emotional-werthaften Funktionen. Wie er ausführt, erweitert das allmählich wachsende Wissen um Tatsachen und ihre Wechselbeziehungen „zunächst seinen autonomen Bereich im Rahmen der plurifunktionalen Führungssysteme, bis es diesen schließlich sprengt. Dann treten die grundsätzlichen Unterschiede zwischen Sein und Sollen, Tatsachenaussage und Werturteil hervor. Damit wird aber auch jene vermeintliche Einheit von Erklärung und werthaft-normativer Deutung des Universums unhaltbar, die das menschliche Denken so lange Zeit hindurch nahezu unangefochten beherrscht hatte.“ (TOPITSCH, 1988, S. 10).

    Dennoch wird im Falle von Weltanschauungen oft für alle ihre Komponenten „Wahrheit“ in einem emphatischen Sinn behauptet. Aus dem Bestreben um Homogenisierung ihrer Inhalte heraus wird erst gar nicht der unterschiedliche logische Status ihrer einzelnen Komponenten in Betracht gezogen: eine Differenzierung der Wahrheit von Informationen, der Richtigkeit (Zweckmäßigkeit) von Handlungen und der Angemessenheit von Emotionen unterbleibt vielfach zugunsten der Beschwörung der „Ganzheit“ der Weltanschauung und des zwischen ihren Komponenten bestehenden „dialektischen“ Zusammenhangs. Die “Ganzheit” hat dabei ihren Vorstellungsund Begriffsinhalt weitgehend eingebüßt und ist zu einem Wortzeichen geworden, das keine intellektuellen Funktionen, sondern nur mehr Gefühle auslöst – und nicht einmal bestimmte Gefühle, die sich auf konkrete Gegenstände beziehen, sondern eher vage und damit solche, deren Auslegung dem Belieben des jeweiligen Lesers oder Hörers überlassen blieb. (TOPITSCH, 1960). Die sich auf solche Ganzheiten berufenden oder sogar auf ihnen beruhenden Weltanschauungen fallen damit hinter das Erkenntnismögliche zurück und in dieser Retardierung werden sie zur Ideologie. Diese Ansicht bezüglich des unzeitgemäßen, weil bereits überholten Bewusstseinszustands von Ideologien teilt Topitsch mit dem noch zu erörternden Karl Mannheim.

    Tatsachenaussagen, Werturteile und vorgefasste Meinungen

    Mit dem von David Hume thematisierten und analysierten kategorialen Unterschied von Sein und Sollen wurde auch auf das Verhältnis und die Wechselbeziehungen zwischen subjektiven gefühls- und interessenbedingten Wertungen auf der einen, und objektiven theoretischen Erkenntnissen auf der anderen Seite aufmerksam gemacht. Zu einer Purifizierung von Wissenschaft sollte es, wie man meinte, dadurch kommen, dass als Tatsachenaussagen getarnte Wertungen aufgezeigt und so in ihrem Einfluss auf die wissenschaftliche Urteilsbildung neutralisiert wurden. Nach Theodor Geiger ist sogar jedes Werturteil eine ideologische Aussage, da es „ein subjektives Verhältnis des Sprechenden zu einem Gegenstand“ objektiviere und so „dieses Pseudo-Objektiv zum Aussagebestandteil eines Satzes von der Form einer theoretischen Sachaussage“ mache. (GEIGER, 1968, S. 5; Siehe auch GEIGER, 1962). Er findet, dass auch Kunstwerken jegliche Erkenntnisintention und Erkenntnisleistung abzusprechen sei. (GEIGER, 1949, S. 415).

    Von der Auffassung Theodor Geigers deutlich abweichend hat es Joseph Schumpeter in einer Abhandlung mit dem Titel „Wissenschaft und Ideologie“ (SCHUMPETER, 1987) für wichtig befunden zu betonen, „daß wissenschaftliche Arbeit als solche von uns nicht verlangt, unsere Werturteile aufzugeben oder dem Geschäft eines Befürworters eines bestimmten Interesses zu entsagen.“ So könne jemand Anwalt eines bestimmten Interesses sein, aber dennoch redliche analytische Arbeit leisten, denn, wie er sagt, „das Motiv für den Beweis eines Arguments zugunsten des Interesses, dem er Gefolgschaft schuldet, beweist an sich überhaupt nichts für oder gegen die Qualität der analytischen Arbeit: Um es offener zu sagen, Parteinahme impliziert nicht die Lüge.“ (SCHUMPETER, 1987, S. 118). Andererseits lassen sich auch viele Beispiele dafür anführen, dass Ökonomen Behauptungen aufgestellt haben, für deren aus ihnen gezogene Schlussfolgerungen sie nicht die geringste Sympathie empfanden. Exemplarisch verweist Schumpeter auf die Ableitung der logischen Konsistenz der Bedingungen (Gleichungen), die eine sozialistische Ökonomie beschreiben. Von den meisten Menschen werde sie als Argument für den Sozialismus gewertet; sie sei jedoch von Enrico Barone vorgebracht worden, einem Mann, der alles eher als ein Parteigänger sozialistischer Ideale oder Gruppierungen gewesen ist. Daher sollte es nach Schumpeter in den Wirtschaftswissenschaften darum gehen, sich in höherem Maße als bisher den „vorgefaßten Meinungen über den ökonomischen Prozeß“ zuzuwenden, die für den wissenschaftlichen Charakter der einschlägigen Bemühungen oft viel gefährlicher, weil außerhalb der Kontrolle in einem Sinne sind, in dem dies Werturteile nicht sind. Obwohl mit diesen meist verbunden, würden diese vorgefassten Meinungen es verdienen, unter dem Namen „Ideologie“ von den Werturteilen getrennt erörtert zu werden. (SCHUMPETER, 1987, S. 119).

    Ideologien sind nach Schumpeter „aufrichtige Aussagen über das, was jemand zu sehen glaubt“, wobei jeder sich selbst sieht, wie er sich zu sehen wünscht, samt einer schutzgewährenden Rechtfertigung seines Denkens und Handelns. (SCHUMPETER, 1987, S. 121). In der Ökonomik, so führt Schumpeter aus, bilde „unsere prä- und extraanalytische Vision des ökonomischen Prozesses und dessen, was daran – kausal oder teleologisch – von Bedeutung ist, den Ursprung der Ideologie“. Normalerweise werde diese Vision dann einer wissenschaftlichen Untersuchung unterzogen und durch die Analyse entweder verifiziert oder verworfen, so dass das ideologische Element in gewissem Umfang verschwinde. (SCHUMPETER, 1987, S. 124). Doch der vorwissenschaftliche Akt, den Schumpeter als Vision bezeichnet, ist umfassender als das, was jeweils rationalisiert werden kann. So bleibe als Ergebnis nichts anderes als „die Feststellung, daß es irgendeine Ideologie immer geben wird […].“ Das sei aber kein Unglück. Nach Schumpeter hat diese Unvermeidlichkeit in der Natur des Verhältnisses von Vision, Ideologie und Wissenschaft ihren Grund: „Jener vorwissenschaftliche kognitive Akt, der der Ursprung unserer Ideologien ist, ist auch die Voraussetzung für wissenschaftliches Arbeiten; ohne ihn ist kein neuer Anfang in einer Wissenschaft denkbar. Durch ihn bekommen wir neues Material für unsere wissenschaftlichen Bestrebungen und etwas zu formulieren, zu verteidigen und anzugreifen.“ (SCHUMPETER, 1987, S. 133).

    Man könnte Schumpeters Auffassung auch folgendermaßen umschreiben: Der vorwissenschaftliche Akt der Weltanschauung – das, was er als „unsere prä- und extraanalytische Vision“ bezeichnet –, ist der psychische Bereich, dem unsere fixen Ideen oder „vorgefassten Meinungen“ entspringen. Diese können zum Gegenstand der Analyse werden, gleich wie jene Vision – diese aber immer nur in beschränktem Umfang. Denn in der selbst von einer „prä- und extraanalytischen Vision“ geleiteten Wissenschaft kann nicht alles erklärt oder bewiesen werden, da jeder Beweis von grundlegenden Annahmen abhängt, die als Voraussetzungen des Beweises nicht abermals vollständig bewiesen werden können.

    Der Streit zwischen den Ideologien und die Weltanschauungsanalyse als Streitbeilegungsverfahren

    Im Verlauf moralisch-politischer Konfrontationen und Kontroversen ist es immer wieder üblich gewesen, das Wort „Ideologie“ als eine Art „magische Formel zur Entwertung gegnerischer Behauptungen“ (GEIGER, 1968, S. 5) anzusehen. In verschiedener Hinsicht an Marx anknüpfend hat so etwa Werner Hofmann jenes Wort in negativer Bedeutung verwendet: „Ideologien sind unzutreffende Auffassungen und Aussagen, an deren Entstehen, Verbreitung und Bewahrung sich gesellschaftliche Interessen […] knüpfen.“ (HOFMANN, 1968, S. 55).

    Eine Einstellungsänderung gegenüber Ideologien und einer allein auf die Weltanschauung des politischen Gegners abzielenden Ideologiekritik nahm Karl Mannheim in seinem Buch Ideologie und Utopie vor. Im Blick auf die Weltanschauungen des Konservativismus, des Sozialismus und des Liberalismus suchte er zugleich mit deren Grundmerkmalen ihre soziogenetischen Ursprünge aufzudecken. Dies geschah in der Absicht, den antinomischen Charakter der politischen Ideen und Interessen rational zu deuten und ursächlich zu erklären, um auf diese Weise den Kontrahenten in der politischen Arena den jeweiligen Gegner in seinem Denken, Fühlen und Handeln verstehbar zu machen. So wie Wittgensteins „Sprachspiele“ – zum Beispiel die Religion und die Wissenschaft – ihren angeblich völlig „inkommensurablen“ Charakter in gewissem Umfang verlieren, sobald sie auf uns wechselseitig verständliche lebenspraktische Verhältnisse bezogen werden, aus denen sie entsprungen sind, sei es nach Mannheim auch in Bezug auf die zueinander antinomischen Ideologien oder politischen Weltanschauungen möglich, sie ihren Proponenten wechselseitig verständlich zu machen. Nach Mannheim sollte eine Weltanschauungstypologie in praktischer Absicht erfolgen und damit anderes sein als das, wofür sie beispielsweise Odo Marquard hält: für „emeritierte Antinomien“. (MARQUARD, 1982, S. 120).

    Mit dem in seinem Buch Ideologie und Utopie entwickelten “Relationismus” trägt Mannheim den historisch-sozial wandelbaren Bedingungen unserer Weltanschauungen Rechnung. Sie alle sind in Relation zu bestimmten sozialen Lebensformen zu sehen und zu interpretieren. Viele geistige Produkte und Handlungen sind entweder als “Ideologie” oder als “Utopie” zu verstehen. Bringen nach Mannheim die „Utopien“ eine Zukunftsorientierung des Denkens und Handelns zum Ausdruck, so die „Ideologien“ einen überholten Bewusstseinszustand; sie tragen das Merkmal des schlechten Unzeitgemäßen, des Zurückgebliebenen. Der Ausdruck “Ideologie” wird nun von Mannheim als „partikular“ bezeichnet, wenn er sich auf einzelne Ideen bezieht, die dem „Sein“ der diese Ideen vertretenden Gruppe unangemessen sind; als „total“ wird der Begriff Ideologie bezeichnet, wenn die gesamte Gedankenwelt des Gegners unter dieses Urteil fällt: “Während der partikulare Ideologiebegriff nur einen Teil der Behauptungen des Gegners – und auch diese nur auf ihre Inhaltlichkeit hin – als Ideologien ansprechen will, stellt der totale Ideologiebegriff die gesamte Weltanschauung des Gegners (einschließlich der kategorialen Apparatur) in Frage und will auch die Kategorien vom Kollektivsubjekt her verstehen.” 26 traditionelles Eingelebtsein bestimmter Gehalte verdeckt wird, daß nämlich jeder historische Standort partikular ist.“ (MANNHEIM, 1929, S. 76.) Diese Auffassung wurde als „Panideologismus“ bezeichnet und in den 1930er Jahren einer zum Teil eminent heftigen Kritik unterzogen] (MANNHEIM, 1929, S. 54; Vgl. auch S. 228)

    Mannheim unterscheidet sich von den Marxisten dadurch, dass er die “Seinsgebundenheit” des ideologischen Denkens zum Charakter alles sozialen Denkens erklärt und folgerichtig auch von den Marxisten verlangt, sich die Relativität ihres eigenen Denkens einzugestehen. Er bleibt aber dem Marxismus insofern verbunden, als er der Utopie, dem über die vorhandene Lebensordnung hinausstrebenden Wunschbild aufsteigender Klassen, eine besondere Bedeutsamkeit zuschreibt. Diese utopische Hoffnung ist allerdings für Mannheim nicht das Erzeugnis nur einer ganz bestimmten Klasse, weswegen es verschiedene Formen utopischen Denkens gebe. Dies hat nicht selten eine wechselseitige Paralysierung dieser Utopien zur Folge, und dennoch erfordert es nach Mannheim die Passion für das Denken, in der Wissenssoziologie jeder ideologischen Erstarrung einer Weltanschauung in Einseitigkeit vorzubeugen. Mannheim geht es nicht darum, die Perspektivität zu vertuschen und zu entschuldigen, sondern danach zu fragen, wie unter der Voraussetzung solcher Perspektivität Erkenntnis und Objektivität möglich sind: “Bei dem visuellen Bilde eines Raumgegenstandes ist es ja ebensowenig eine Fehlerquelle, daß der Raumgegenstand wesensmäßig nur perspektivisch gegeben sein kann, und das Problem besteht nicht darin, wie man ein unperspektivisches Bild zustande bringen könnte, sondern wie man vielmehr durch das Gegeneinanderhalten der verschiedenen Sichten das Perspektivische als solches zu sehen bekommt und damit eine neuartige Objektivität erreichen könnte.” (MANNHEIM, 1929, S. 255). Der wissenssoziologische Forschungsimpuls könne in der Folge so geleitet werden, “daß er nicht zur Verabsolutierung der Seinsverbundenheit führt, sondern daß gerade in der Entdeckung der Seinsverbundenheit der vorhandenen Einsichten ein erster Schritt zur Lösung von der Seinsgebundenheit gesehen wird. Indem ich den Sichtindex zu einer sich als absolut nehmenden Sicht hinzufüge, neutralisiere ich in einem bestimmten Sinne schon die Sichtpartikularität.” (MANNHEIM, 1929, S. 259). Im Falle des seinsverbundenen Denkens werde Objektivität etwas anderes und Neues bedeuten: […] „daß, wenn man […] in verschiedenen Aspektstrukturen steht, die ‘Objektivität’ nur auf Umwegen herstellbar ist, indem man nämlich hier das in beiden Aspektstrukturen richtig, aber verschieden Gesehene aus der Strukturdifferenz der beiden Sichtmodi zu verstehen bestrebt ist und sich um eine Formel der Umrechenbarkeit und Übersetzbarkeit dieser verschiedenen perspektivischen Sichten ineinander bemüht.” (MANNHEIM, 1929, S. 258). Wie nach Kenntnis der Gesetze der geometrischen Perspektive ein Bild in eine andere Projektion übertragbar sei – obwohl auch dieses immer ein Bild in einer bestimmten Perspektive ist –, und wie man durch die Vielheit der Perspektiven zu einer immer größeren “Fassungskraft”, einer immer größeren “Fruchtbarkeit dem empirischen Material gegenüber” gelangen könne, (MANNHEIM, 1929, S. 259) so erreiche man auch im Verlauf entsprechender sozialwissenschaftlicher Forschungen weitere und tiefere Erkenntnisse.

    Mannheims „Relationismus“ geht davon aus, dass nicht nur die Sozialwissenschaftler, sondern auch die politischen Akteure bereit sind, relational denken zu lernen. In Mannheims Absicht lag es, dass sich die Anhänger der einander immer wieder bekämpfenden Weltanschauungen, wenn auch nicht inhaltlich, so doch bezüglich ihres Existenzrechts wechselseitig anerkennen. „Politisch-formaler Ausdruck dieser Ausgangslage“ ist, wie Sven Papcke im Hinblick auf Mannheims Bestreben bemerkte, „die Demokratie, weil nur sie im Wettbewerb um Sinnentwürfe und Führungspersonen die wirkliche Vielschichtigkeit der soziokulturellen Muster angemessen spiegeln und schützen kann.“ (PAPCKE, 1985, S. 176). Damit stellte sich Mannheim in Gegensatz zu den politischen Auffassungen jener nicht eben wenigen seiner Zeitgenossen, denen die Mehrparteiendemokratie nichts anderes bedeutete als entweder Relativismus und Anarchie oder eine Verschleierung der Macht- und Eigentumsinteressen weniger. Ähnlich den Auffassungen über die Möglichkeit von Kultursynthesen, wie sie von Ernst Troeltsch und Max Scheler formuliert worden waren, konzipierte Mannheim seine Lehre von der Möglichkeit einer Synthese von bestimmten Elementen der schichtspezifisch herausgebildeten Denkinhalte. So sehe jede soziale Schicht, aber auch jede Gesellschaft einen Teil der geschichtlich-gesellschaftlichen Welt auf angemessene Weise, zugleich aber einen anderen in charakteristischer Weise verzerrt oder doch unterbelichtet. Da es aber Mannheim zufolge nicht einer sozialen Schicht oder einer politischen Partei, gleich wie bei Troeltsch und Scheler nicht einer Nation und Kultur allein, möglich sei, alle Partikularsichten in sich zu einer Weltanschauung im vollen Sinne des Wortes zu vereinen, sondern nur allen sozialen Gruppierungen und politischen Parteien bzw. Nationen und Kulturen gemeinsam, lehnt Mannheim jede Einseitigkeit in der Erfahrung und Beurteilung der geschichtlichgesellschaftlichen Wirklichkeit ab.

    Diese Synthese der verschiedenen partikularen Aspekte kann jedoch Mannheim zufolge nur durch eine Gruppe von Menschen geleistet werden, die zur Enthüllung der in den verschiedenen Weltanschauungen enthaltenen Voraussetzungen fähig ist. Mannheim sieht diese Möglichkeiten in der schon von Alfred Weber so bezeichneten “sozial freischwebenden Intelligenz” angelegt. Auf die nicht unbedenkliche Unterschätzung der sozialen Abhängigkeit der Intellektuellenschicht ist in der zum Teil äußerst heftigen Kritik an der Mannheimschen Wissenssoziologie hingewiesen worden; sie reicht von Max Horkheimer, Georg Lukács und Karl August Wittfogel bis zu Joseph Schumpeter, Karl Popper und Theodor Geiger. Fraglos hat Mannheim den Zusammenhang zwischen Erkennen und Handeln überschätzt, da er geglaubt zu haben schien, dass jenes geradezu notwendig dieses zur Folge haben müsse. Doch Erkennen und Wollen, aber auch Wollen und Handeln sind bekanntlich oft weit voneinander entfernt. Aber bringt vielleicht Mannheims Darstellung der Intelligenz weniger einen deskriptiven Befund als vielmehr eine normative Erwartung zum Ausdruck? Wer Ideologie und Utopie so versteht, wird in dem Buch vor allem auch eine Verteidigung und Rechtfertigung eines bestimmten Typus des unparteiischen Intellektuellen im Augenblick vor dessen durch die politischen Verhältnisse bewirktem Verschwinden sehen können. An seine Stelle traten Ideologen, die das ihren Interessen konforme Prinzip der Parteilichkeit mit einem geschichtsphilosophisch verbürgten Wahrheitsanspruch koppelten.

    Man wird eine grundlegende Schwäche von Mannheims unorthodoxem Ansatz dennoch nicht übersehen können: sie hat nicht sosehr mit seiner Erwartung zu tun, dass die Intelligenz sich auf die Umrechnung der verschiedenen schichtspezifischen Perspektiven und damit auf das Geschäft der Mediation zwischen den politischen Lagern verstehen könnte, sondern mit dem Ausblenden der für ein solches Agieren maßgeblichen politisch-institutionellen Bedingungen. Nicht die Intellektuellen, so stellte im Hinblick darauf Sven Papcke fest, sondern „einzig die demokratische Organisation des öffentlichen Raumes vermag vielleicht den ‚Relationismus’ zu gewährleisten.“ (PAPCKE, 1985, S. 178). Das aber setzt voraus – und darin liegt die weiterwirkende Bedeutung von Mannheims Beitrag –, dass sich jede Theorie der Mehrparteiendemokratie gewissermaßen auf eine Weltanschauung höherer Ordnung einlässt, welche durch ihre Verfassungsgrundsätze die „Seinsgebundenheit“ der „Ideologien“ und „Utopien“ und der mit ihnen verbundenen Wertorientierungen anerkennt. Dies besagt, mit anderen Worten, die durch die Verfassung – das funktionale Äquivalent von Mannheims äquidistanten Intellektuellen – verbürgte Anerkennung der Einsicht, dass jeder moralisch-politische Absolutismus unhaltbar und in seiner Geltung relativ, weil nicht universell, sondern partikular ist. (PAPCKE, 1985)

    Schlussbetrachtung: Universalismus, Relativismus, Toleranz

    Universalismus, Relativismus und Toleranz bilden, wie Panajotis Kondylis in einer anregenden Abhandlung zu diesen drei zentralen Begriffen der gegenwärtig in der sogenannten westlichen Welt dominierenden weltanschaulichen Orientierung ausführt, zusammengenommen einen Gedankenkomplex, der sowohl epistemologische als auch politische Aspekte hat. (KONDYLIS, 2001) Dieser Zusammenhang ist auch in den Ausführungen zu Kelsen und Mannheim offenkundig geworden. Kondylis geht bestimmten geschichtlich neuartigen, auch politisch brisanten Konsequenzen nach, die sich aus der Verknüpfung der Toleranzforderung mit universalistischen und mit relativistischen Positionen ergeben.

    Aus westlicher Sicht gilt es seit der Aufklärungsphilosophie als ausgemacht, dass in den Menschenrechten die Forderungen der Einen Vernunft in ihrer Anwendung auf das Verhalten zwischen den Menschen und Staaten konkrete Gestalt angenommen haben. Nun meint Kondylis, dass allerdings auf der materiellen und sozialpsychologischen Basis der geschichtlich beispiellosen westlichen Wohlstandsgesellschaften jener „staatlich geschützte Pluralismus der Glaubens- und Lebenshaltungen“ entstanden sei, „vor dessen Hintergrund die ehedem Eine Vernunft ihre universelle kognitive und ethische Kompetenz verlieren musste“. 27 (KONDYLIS, 2001, S. 46). Als eine Folge dieser Entwicklung stecke die bislang als universell verstandene Vernunft nicht mehr die Grenzen des zu Tolerierenden ab, sondern sie selbst werde nur mehr als eine Einstellung neben anderen toleriert. Auf diese Weise werde die Vernunft dem mit ihr ursprünglich eng verknüpften Toleranzgebot untergeordnet und so das vormals universell Geltende partikularisiert. 28 Gleichzeitig damit wurde aber der Anspruch auf Universalisierung der Toleranz gegenüber partikulären Ansprüchen formuliert.

    Hier, vor dem Hintergrund dieser Toleranzforderung, zeigt sich nun die widersprüchliche Koexistenz von Universalismus und Relativismus in dreifacher Hinsicht: Zunächst soll Toleranz als ethisch-politisches Gebot ebenso universell sein wie die (alte) Vernunft, das aber, was zu tolerieren ist, kann partikulär und relativ sein. Die universelle Anerkennung des Partikulären findet allerdings eine Grenze insofern, als das zu tolerierende Relative und Partikuläre sich in dem Maße einzuschränken hat, wie dies die Toleranz gegenüber anderem Partikulären und Relativen erfordere. Angesichts dieser Ambivalenz wird verständlich, warum Universalismus und Relativismus sich einerseits als die jeweils besten Hüter der Toleranz präsentieren, andererseits aber einander wechselseitig einer intoleranten Gesinnung verdächtigen. – Sodann laufen, zweitens, Relativisten und Universalisten im Verlauf ihrer Bezugnahme auf das Höchstideal der Toleranz Gefahr, in bestimmter Hinsicht logisch inkonsistent zu werden: die Relativisten und Partikularisten dadurch, dass sie durch die These von der Relativität aller Standpunkte und Werte einem einzigen Standpunkt und Wert, nämlich dem der Toleranz und des Friedens, dienen wollen; die Universalisten dadurch, dass sie zwar das Ideal der Toleranz als ein anthropologisches Universale betrachten, aber dennoch die kulturgeschichtlich und soziologisch nachweisbare Tatsache nicht leugnen können, dass Toleranz als Wert und Postulat das Produkt eines bestimmten Kulturkreises – oder auch einiger, aber gewiss nicht aller Kulturkreise – ist. Während also die Universalisten die Toleranz in Anbetracht ihrer Genese als etwas Partikuläres anzusehen haben, müssen sich Partikularisten fragen lassen, wie sie es anstellen wollen, dass der allgemeinen Geltung des Wertes der Toleranz die gebührende Anerkennung gesichert wird, ohne nicht doch im Sinne der Universalisten zu argumentieren. – Und schließlich stößt, drittens, das Prinzip der Gleichheit der Kulturen, welches von den Partikularisten als Vorbedingung interkultureller Toleranz anerkannt wird, (Dazu BURGER, 2001; DEMANDT, 2005) selbst bei den meisten ihrer Anhänger dann auf Grenzen, wenn sich – beispielsweise angesichts bestimmter Terror-Attacken in verschiedenen Regionen der Welt – die Frage stellt, ob, wann und wie man auch Feinde der Toleranz tolerieren soll.

    Die Toleranz ist zum Grundwert der für die westliche Welt als verbindlich angesehenen moralisch-politischen Weltanschauung geworden. Sofern Toleranz der Rechtfertigung der an der Macht Befindlichen und ihrer politischen Orientierung gleichermaßen dient wie der Legitimierung des gegen die Herrschenden gerichteten politischen Kampfes, ist sie sogar zur universell nutzbaren Rechtfertigungsideologie avanciert. Und so kann auch in diesem Fall – obschon es bereits wiederholt proklamiert wurde – von einem Ende der Ideologie nicht die Rede sein

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    Referenzen, Anmerkungen

    1. Anm. steinerschüler: https://philpapers.org/rec/ACHWBE
    2. Anm. steinerschüler: HTML Version des PDF unter https://e-revista.unioeste.br/index.php/aoristo/article/view/21567/13787
    3. Anm. steinerschüler: https://www.britishphenomenology.org.uk/aoristo-international-journal-of-phenomenology-hermeneutics-and-metaphysics/
    4. Anm. KA: Hier heißt es: “Das gegebene Unendliche (…) ohne Widerspruch auch nur denken zu können, dazu wird ein Vermögen, das selbst übersinnlich ist, im menschlichen Gemüthe erfordert. Denn nur durch dieses und dessen Idee eines Noumenons, welches selbst keine Anschauung verstattet, aber doch der Weltanschauung, als bloßer Erscheinung, zum Substrat unterlegt wird, wird das Unendliche der Sinnenwelt in der reinen intellektuellen Größenschätzung unter einem Begriffe ganz zusammengefaßt, obzwar es in der mathematischen, durch Zahlenbegriffe nie ganz gedacht werden kann.”
    5. Anm KA, im Folgenden immer Anm. durch KA: Solche hatte Jean Paul, wenn auch mit ungleich umfassenderem Anspruch und in naturgemäß anderer Absicht, in seiner 1804 erschienenen Vorschule der Ästhetik dem Genie vorbehalten. – (PAUL, 1963, §10)
    6. Zitiert nach (BETZ, 1981, S. 24)
    7. Siehe dazu vor allem (DILTHEY, VIII 1977, S. 73-118, S. 220-226 und S. 227-235); siehe vor allem auch DILTHEY, V 1974, S. 403)
    8. Die anthropologische Dreigliedrigkeit der Seelenvermögen – Verstand, Gefühl und Willen – ist nicht allein auf die begriffliche Erfassung des “Was” und des “Wie” der geschichtlich-gesellschaftlichen Wirklichkeit bezogen, sondern auch auf die Frage “Warum?”. Die Antwort darauf kann abermals entweder durch das naturwissenschaftliche Erklären vom Verstand her gegeben werden oder durch ein – vor allem auf Inhalte der Religion oder der Kunst bezogenes – Verstehen auf der Grundlage gefühlsmäßiger Beziehungen.
    9. Gewisse Varianten des Materialismus, Idealismus und Psychologismus können dafür als Beispiele genannt werden.
    10. Ähnlich auch. (WACH, 1932)
    11. Zur Weltanschauungsanalyse von Nationalideen siehe Schelers Abhandlung “Nation und Weltanschauung”, in: (SCHELER, 1963, S. 115-219)
    12. Zeitlich vorangegangen ist Scheler in dieser Hinsicht Karl Mannheim mit seinem Versuch einer “Typologie der Erkenntnistheorien”. Siehe (MANNHEIM, 1922; wiederabgedruckt: 1964, v.a. S. 224-235)
    13. Vgl. (HABERMAS, 1965, abgedruckt in: Ders. 1968, S. 146-168)
    14. Vgl.: (LEISEGANG, 1928; LEISEGANG, 1951, v. a. S. 446-454). So heißt es beispielsweise auf S. 447: “Man kann wohl sagen, daß alle Absurditäten und Ungeheuerlichkeiten, auf die wir in der Philosophie-, Religions- und Wissenschaftsgeschichte treffen, darauf beruhen, daß eine an einem bestimmten Wirklichkeitsbereiche ausgebildete Denkform auf die ganze Welt mit allen ihren Erscheinungen übertragen wird, als ob sie alle von derselben Struktur wären, wie dieses eine in sich geschlossene Gebiet. Die großen einseitigen Weltanschauungen sind alle aus einer ungerechtfertigten Übertragung entstanden.” – Von besonderer Bedeutung für die Folgezeit waren Diltheys typologische Bestrebungen in seiner “Philosophie der Philosophie” auch für das, was man später Philosophische Systematologie oder Metaphilosophie nennen sollte. In ausdrücklichem Anschluss an Dilthey, aber auch in der Nachfolge früherer weltanschauungsanalytischer Bestrebungen von Heinrich Gomperz, bei dem er sich habilitierte, verfasste Franz Kröner im Jahre 1929 eine Untersuchung, die, wie bereits deren Titel anzeigt, ein für Diltheys Weltanschauungslehre signifikantes Thema betrifft: Die Anarchie philosophischer Systeme (KRÖNER,1929; 1970). – Siehe dazu (ACHAM, 2001, S. 373-410).
    15. Wie Weber ausführt, seien Weltanschauungsparteien an abstrakten Prinzipien orientiert und ähneln in mancher Hinsicht den Glaubensparteien, wobei, wie bei diesen, der Zwist über die Inhalte der Weltanschauung die Form der Häresie annehmen kann. (WEBER, 1972, S.167 f.)
    16. Die frühen Positivisten misstrauten im Namen der Wirklichkeit der bloßen Beschwörung von utopischen Möglichkeiten und jenen Menschenfreunden – angefangen von Mirabeau und Lafayette –, die bestimmten, wer unmenschlich oder undemokratisch handelte und dachte. Wie schon Rousseau gegen die Mehrparteiendemokratie Stellung bezogen hatte, so war auch den Hauptexponenten der Französischen Revolution die angeblich durch den politischen Pluralismus gleichermaßen wie durch die Gewaltenteilung bewirkte Zersplitterung des Volksgeistes ein Gräuel. Der Konsens der Vernünftigen sollte für alle nicht Arglistigen die allgemein angesonnene Einstellung und Handlungsweise festlegen; und so war es nur konsequent, wenn aus Sicht der radikalen Revolutionäre nicht erst die Tat, sondern bereits der abweichende Gedanke einen Bürger verdächtig machte, nicht fest genug zur Wertegemeinschaft der wahrhaft Aufgeklärten zu stehen.
    17. Zur Kritik der frühpositivistischen Lehren siehe insbesondere auch (HAYEK, 1979, v. a. Teil 2 und 3). (Dieses Buch ging aus sechs Artikeln hervor, die von 1941 bis 1944 in der Zeitschrift Economica abgedruckt wurden und erstmals 1952 unter dem Titel The Counter-Revolution of Science in Glencoe, Ill., als Buch erschienen sind.)
    18. Dieser Ansicht zufolge soll es möglich sein, dass in politischen Belangen eine aufgeklärte Minderheit ihre Interessen mit Zwang auch gegenüber der Mehrheit durchsetzen kann. Wie Lenin ausführte, gebe es Situationen, in denen die Avantgarde des Proletariats besser wisse, wie die Probleme der Gesellschaft zu lösen sind als das Proletariat selbst; wenn nämlich die Mehrheit ein falsches Bewusstsein habe, sei es nötig, als Minderheit aktiv gegen deren Willen vorzugehen. Chinas KP schloss hier an, und so war es möglich, die von der Mehrheit der chinesischen Bevölkerung als bedrückend empfundenen Maßnahmen Mao Zedongs unter Hinweis darauf zu rechtfertigen, dass dieser – so etwa auch in der im Jahre 1957 erfolgten Selbstkritik Zhou Enlais – als “Vertreter der Wahrheit” betrachtet und dadurch als zur Durchführung solcher Maßnahmen autorisiert erschien
    19. Siehe dazu und zur Bezugnahme von Viktor Klemperer auf Schnitzler die Ausführungen von Werner Betz: (BETZ, 1981, S. 22 f.)
    20. Nicht die sogenannten letzten „Wertaxiome“ stehen nach Weber der logischen und empirischen Kritik offen, wohl aber die aus ihnen abgeleiteten Argumente. Gewiss hat deren stringente Kritik nicht automatisch eine Änderung der normativen Orientierung des Kritisierten zur Folge. Seine Auffassung als begründet auszugeben, sie aber selbst bei erwiesener Unhaltbarkeit beizubehalten, gibt Aufschluss darüber, dass man argumentative Konsistenz und ihre Respektierung nicht als einen Wert ansieht. Im Willen zur Rationalität steckt ja in der Tat mehr Moralität als viele wahrhaben wollen.
    21. Stephen TOULMIN ist diesen Zusammenhängen in seinem anregenden Buch Cosmopolis: The Hidden Agenda of Modernity (1990) nachgegangen; (TOULMIN, 1994)
    22. “‘So sagst du also, daß die Übereinstimmung der Menschen entscheide, was richtig und was falsch ist?’ – Richtig und falsch ist, was Menschen sagen; und in der Sprache stimmen die Menschen überein. Dies ist keine Übereinstimmung der Meinungen, sondern der Lebensform.” – (WITTGENSTEIN, 1960, 389; Vgl. WITTGENSTEIN, 1960, S. 300 (§23) und S. 296 (§19)). Vgl. zur Wirkungsgeschichte dieser Auffassung die Ausführungen in Kap. 10 („Geschichtstheorie“) (WITTGENSTEIN, 1960).
    23. Beim „späten Wittgenstein“, so meinte daher auch Jean Améry, poche „das Vokabular auf sich selbst“ und wolle sich „als Sprachspiel seine Legitimität affirmieren“. (AMÉRY, 1971, S. 34)
    24. Die „Wahrheit“ von Normen wird dabei als Ergebnis eines realen historischen Prozesses zunächst einmal eher vorausgesetzt als theoretisch einsichtig gemacht, eher als einer bestimmten Situation angemessen akzeptiert, denn als wahr geglaubt. Diese Variante der Kritischen Theorie statuiert in den jüngeren ihrer gesellschaftstheoretischen Darlegungen eine Einstellung, der zufolge es – im Unterschied zu früheren Überzeugungen – nicht mehr darum gehe, den Glauben an normative Propositionen als wahr zu erweisen, sondern darum, für ihre Geltung nach Maßgabe bestimmter Bedingungen und Gesichtspunkte Anerkennung zu finden. (HABERMAS, 1973).
    25. So schreibt VOLTAIRE im Art. «Locke», ebd.: „Il y a des gens, à la vérité, qui prétendent qu’un homme qui se vantait d’avoir un génie familier, était indubitablement un peu fou ou un peu fripon.“
    26. Darüber hinaus ist nach Mannheim noch eine weitere Spezifizierung der Bedeutung des Ideologiebegriffs von Wichtigkeit: Speziell ist die Verwendung des Ideologiebegriffs, wenn ein bestimmter Gegner in seinen Auffassungen verunsichert werden soll, allgemein hingegen, wenn man den Mut hat, nicht nur die gegnerischen Standorte, “sondern prinzipiell alles, also auch den eigenen Standort, als ideologisch zu sehen”. Oder in anderen Worten von Mannheim: „Bisher hat man bestimmte Gehalte bekämpft, dafür aber umso hartnäckiger die eigenen verabsolutiert; jetzt gibt es zu viele gleichwertige, auch geistig gleichmächtige Positionen, die sich gegenseitig relativieren, als daß sich ein einziger Gehalt oder eine einzige Position dermaßen verfestigen könnte, daß sie sich absolut nehmen dürfte. Nur diese sozial aufgelockerte Situation macht die Tatsache sichtbar, die sonst durch […
    27. Dies heißt nicht weniger, als dass sich aus der auch von Jürgen Habermas beschworenen „Einheit der Vernunft“ die „Vielheit ihrer Stimmen“ gelöst hätte. Dazu dessen nicht ganz unkomplizierte, aber in ähnlichem Zusammenhang geäußerte hoffnungsfrohe Bemerkung: „Meine Überlegungen laufen auf die These hinaus, daß die Einheit der Vernunft allein in der Vielheit ihrer Stimmen vernehmbar bleibt – als die prinzipielle Möglichkeit eines wie immer okkasionellen, jedoch verständlichen Übergangs von einer Sprache in die andere. Diese nur noch prozedural gesicherte und transitorisch verwirklichte Möglichkeit
      der Verständigung bildet den Hintergrund für die aktuelle Vielfalt des einander – auch verständnislos – Begegnenden.“ – (HABERMAS. 1988, S. 2)
    28. So gilt z. B. ungeachtet der oft bizarren Inhalte von Produkten der sogenannten Kulturindustrie Toleranz ihnen gegenüber als Gebot höherer ethisch-humanistischer Vernunft. Vgl. in diesem Zusammenhang (BURGER, 2001)

    bookmark_border3.5.1.3-15 PZS-5: Relation

    In der Prinzipienzusammensetzung (PZS) wurde dem allgemeinen Begriff Prinzip einige (sieben) Bestandteile (“Klassen”) zugeschrieben. Diese werden in kommenden Artikeln näher angeschaut und umgrenzt, sobald sich mir die Ideen dazu etwas umfangreicher zeigen. Dieser Artikel handelt von der 5. Klasse der Prinzipienzusammensetzung, von der ‘Relation’. Hier noch einmal die Übersicht:

    Unterkategorien der Relation (REL)

    1. Beziehungsart
      • Ideale
        • einstellig (einfache Arität, d.h. eine Verknüpfung reicht aus für eine bestimmte ideale Relation)
        • zweistellig (zweifache Arität)
        • k-stellig (>0)
      • Morphe
      • Reale
    2. Einwirkung
      • Interpenetration
      • Kopplung
      • Reflexivität
    3. Wechselwirkung
      • Beteiligung
        • einzel zu einzel
        • einzel zu mehreren
        • mehrere zu mehreren
      • Austausch
        • informativer
        • substanzieller
        • vermögender
      • Richtung
        • einseitig (in eine Richtung)
        • beidseitig (in beide Richtungen, “Reziprozität”)
        • mehrseitig (in mehrere Richtungen)

    bookmark_border3.5.1.3-14 PZS-4: Kategorie

    In der Prinzipienzusammensetzung (PZS) wurde dem allgemeinen Begriff Prinzip einige (sieben) Bestandteile (“Klassen”) zugeschrieben. Diese werden in kommenden Artikeln näher angeschaut und umgrenzt, sobald sich mir die Ideen dazu etwas umfangreicher zeigen. Dieser Artikel handelt von der 4. Klasse der Prinzipienzusammensetzung. Hier noch einmal die Übersicht:

    Unterkategorien der ‘Kategorie als Klasse’ (KAT)

    1. Kategorand (was wird in einer Kategorisierung wie benannt; nach aristotelischer Kategorienlehre)
      • Akzidens/Proprium
      • Art/Gattung (die äussersten Grössen sind bei der PZS Substanz/System: Substanz ist unterste Art, System ist oberste Gattung)
      • Differenz (siehe 5. Klasse Relation [noch in Arbeit])
    2. Kategorie (wie wird kategorisiert)
      • Gruppierung (Zuteilung nach Zugehörigkeit)
      • Hierarchisierung (Verteilung nach Rang)
      • Sortierung (Einteilung nach Verschiedenheit)
    3. Kategorator (wer oder was schafft die Kategorie und deren Regeln)
      • Kategorieeigenes
      • Kategoriefremdes
      • Kategorienahes