Ein Gleichnis über Bienchen und Blümchen

Nicht viele Bienenarten bilden Bienenvölker. Eine der wenigen Arten, die wohl am besten gekannt wird, ist die westliche Honigbiene. Die meisten Bienenarten sind Wildbienen, von denen viele alleine leben und sich ohne die Hilfe vieler anderer Bienen fortpflanzen. Im Folgenden wird die bekannte, staatsbildende Honigbiene als Bild verwendet, um eine bestimmte Idee zu veranschaulichen, und dieses Bild ist eine Art Gleichnis. Wäre es mehr eine Geschichte, wäre es wohl eine Parabel; wäre es kürzer, wäre es wohl eher ein Vergleich.

Nehmen wir für dieses Gleichnis an, unser Bienenvolk wäre bevölkert mit zu Rationalität fähigen Bienenbürgerinnen, mit eigenen Meinungen und Denkarten – als wären sie im Geiste Wesen wie wir Menschen. Das heisst, in diesem Vergleich sind unsere Bienen dazu fähig sich ein Bild von sich selber und der Natur zu machen, das sowohl der Natur wie auch ihrem eigenen Wesen widersprechen kann (falsch sein kann). Dafür können die menschenartigen Bienen dieses Bildes aber auch über die Natur hinausgehen, was nicht-rationale Wesen (etwa gewöhnliche Bienen) nicht können.

Der schlechte Honig der rationalen Biene

Dieses rationale Bienenvolk findet sich in einer schlechten Situation: der Honig dieses Volkes ist nicht mehr so gut wie früher. Die Bienen fragen sich nun: was können wir tun, um unseren Honig wieder zu einem Zustand zu bringen, der gut ist? Müssen wir etwas Neues tun, oder müssen wir zu etwas zurückfinden, das wir vergessen haben? Brauchen wir bessere Waben, eine bessere Königin, bessere Bienenschulen, bessere Wiesen? So überlegen sich die Bienen, was sie im Laufe der Jahre vielleicht falsch gemacht haben, oder inwiefern sich die Gegenwartsumstände veränderten. Haben sie die Waben falsch gebaut, braucht es mehr Ecken in den Zellen der Wabe; sind sechs Ecken vielleicht zu wenig Ecken? Haben sie am falschen Ort Nektar und Pollen geholt? Haben sie den Nektar falsch verarbeitet? Kurz, sie fragen sich: wo in unserem Prozess ist etwas schief gelaufen?

Dieses rationale Bienenvolk investiert wegen der aufkommenden Probleme nun viel intellektuelles Kapital darin, herauszufinden und methodisch zu systematisieren wie Honig hergestellt wird, welche chemischen Prozesse stattfinden, wie und in welchen Verhältnissen Nektar und Honigtau verarbeitet werden müssen usw, um die richtigen Schlüsse für eine Lösung des Problems zu finden. Mit dem Ziel genügend guten Honig herzustellen um überleben zu können, machen sie sich an die Sache den Honig besser zu verstehen. Auch der Welt gegenüber fühlen sie sich verpflichtet, denn sie denken alle den Gedanken: “Eine Welt ohne Bienen ist eine trostlose Welt, die unweigerlich zum Stillstand kommen muss.” Und so finden sich sehr viele Bienen dieses rationalen Bienenvolkes zuhause in der Wabe, und diese Bienen studieren mit viel Ernst, Pflichtgefühl und Sorgfalt an ihren kleinen Bienenbüchern, an denen sie nun alle fleissig schreiben. Sie treffen sich zu kleinen Bienenseminaren, in denen systematisch alte Bienenmythen analysiert werden. Sie nehmen alle möglichen Honigarten an ihre Bienentagungen, und begutachten mit allem aufwendbaren Feingefühl selbst die subtilsten Unterschiede. Und sie wissen: wenn sie das Problem vom schlechter werdenden Honig nicht lösen können, wird es wohl ihr Untergang sein.

Es werden immer weniger Bienen die den Bienenstock verlassen, und es werden immer mehr die sich hinter die Bienentexte machen, und dennoch scheint sich das Problen nur weiter zu verschlimmern; immer mehr von ihnen studieren das Problem, das, wie es scheint, fast schon existenziell geworden ist. Sie setzen sich mit anderen rationalen Bienenvölkern in Kontakt und es stellt sich heraus, dass auch diese anderen rationalen Bienenvölker das Problem vom schlechter werdenden Honig haben. So beginnen auch die anderen Völker den Honig zu studieren und an neuen Methoden zu theoretisieren, und die rationalen Bienenvölker tauschen sich miteinander aus, um vielleicht gemeinsam zu einer Lösung kommen zu können.

Drei rationale Strömungen im Bienenvolk

Manche Bienchen wissen sehr genau wo das Problem liegt: es sind die Pollen, deren Eiweisse die Bienen brauchen, die nicht mit genügend Vorsicht genutzt werden. Sie sagen: “Wacht auf ihr anderen Bienen, ihr müsst eure Augen öffnen. Es ist etwas an den Pollen, und dadurch an den Eiweissen. Die Eiweisse sind überall in uns, und wenn man sich das genauer anschaut so sieht man, dass da etwas nicht zu stimmen scheint. Stimmt etwas mit unseren Eiweissen nicht, ist alles nach uns Kommende notwendigerweise unstimmig.” Diese Gruppe sucht nach den tieferen Ursachen der Dinge. Dieser Teil des Bienenvolkes scheut sich nicht, die versteckten Gründe auszugraben und zu benennen.

Eine zweite Gruppe hat etwas anderes gefunden: es ist die Art der Lagerung und die Art des Konsums. Denn es gab einst eine wichtige Biene die sagte: “Lagert richtig!”; und die gleiche wichtige Biene sagte auch: “Konsumiert richtig!” Die Bienengrüppchen rund um die hinterlassenen Botschaften jener wichtigen Biene beschäftigen sich intensiv mit der Frage, was damit nur gemeint sein mag. Soll nun mehr gelagert werden, oder soll mehr konsumiert werden? Ist da nicht ein Widerspruch? Denn wenn mehr konsumiert wird, wird weniger gelagert. Muss folglich generell mehr produziert werden, und dann wie viel mehr? Mehr als was? Oder ist ‘richtig’ gar nicht ‘mehr’, sondern ‘nicht falsch’? Was wäre dann falsch? Oder ist da eine Nachricht drinnen versteckt, die man nur herauslesen muss? So gibt es intensive Argumente unter diesen Bienen darüber, was die wichtige Biene gemeint haben mag.

Eine dritte Hauptgruppe findet sich schliesslich mit dem Problem ab, und die diese Strömung vertretenden Bienen sagen abgeklärt: “Es wurde vorausgesagt dass der Honig schlecht wird; und es wurde gesagt: wenn der Honig schlecht wird, gehen wir alle zurück zur grossen Biene.” Diese Bienen sind die weisen im Bienenvolk, sie haben sich auf die Ebene des Gleichmuts und der Gelassenheit erhoben; sie üben sich in der Akzeptanz des Unvermeidlichen.

Die drei Gruppen finden sich unter den Bienen vermischt, manche sind in mehreren Gruppen tätig, andere machen ihr eigenes Ding.

Die von der Biene abhängige Pflanze

Es fliegen nun kaum noch Bienen aus den Stöcken, und so werden viele Pflanzen nicht mehr bestäubt weil die Bienen die Pollen nicht mehr mit sich herumtragen, denn sie sind alle mit dem Studium des Honigmachens und dem Studium des Bienenseins beschäftigt.

Und so kommt ein Pflanzensterben in die Welt, denn eine Pflanze wird nicht dadurch bestäubt, dass Bienen nur noch unter Bienen sind, und mit all ihrem Intellekt über das Bestäuben nachdenken. Die wenigen Bienchen die noch ausfliegen berichten von der düsteren Lage da draussen, und die Bienengeschichtsstudenten und Prozessanalysten und welche weiteren Spezialitäten sie auch immer gefunden haben mögen, werden in ihrem Glauben weiter bestärkt, dass alles am Zugrundegehen ist. Dazu kommen Krankheiten im Bienenvolk, weil alle Bienchen nur noch in der Wabe sind und die Luft dick und tüppig warm wird, anstatt dass sie sich der Welt, mit all deren Gefahren und bienenfremden Dingen, aussetzen. Die Bienen fühlen sich durch das Honigproblem schon grundlegend genug bedroht, da brauchen sie nicht auch noch Wespen, Vögeln, Unwettern, und allergattungen anderer, möglicher Todesfallen der Natur ausweichen zu müssen. In ruhigen Momenten sagen sie zueinander: “Es ist die Zeit in der wir leben. Wir hatten gute Zeiten, und nun haben wir eine schlechte Zeit; es sind sehr schwierige Aufgaben vor uns, und die müssen wir irgendwie bewältigen, koste es was es wolle.” Vielleicht haben sie gar einen Namen für ihr finsteres Zeitalter.


Schluss

Die Bienen haben trotz all ihrer genialen Debatten, trotz ihrer beeindruckenden Klugheit und trotz ihrem tugendhaften Fleiss nicht sehen können, dass es nicht reicht, den alten, perfekten Honig hin- und herzureichen um ihn zu begreifen; dass sie stattdessen neuen Nektar brauchen, dass sie alle ausfliegen müssen, und schliesslich, dass ihre grossen und komplizierten Gedanken ohne die daraus folgende Beteiligung an, und den Austausch mit der Welt nie fruchtbar sein können, nie getestet werden können. Je mehr sie den Honig intellektuell verstehen lernen, ohne ihn gleichzeitig weiter neu zu schaffen und zu verdauen, desto mehr geht ihnen das Gefühl für das Wesen des Honigs verloren. Der Honig wird zu etwas Abstraktem, er fragmentiert sich in verschiedene Ideenteilchen, und sie sehen das Lebensmittel ob all der Tröpfchen nicht mehr.

Dass die ganze belebte Welt die Bienenarbeit an den Pflanzen braucht – nicht nur die Pflanzen selber zur Bestäubung, sondern auch die Tiere die die Pflanzen fressen, und all die anderen Insekten und sonstigen Krabbeltiere die die Pflanzen in verschiedensten Arten brauchen, auch das haben die Bienen nicht aus dem Honig herauslesen können.

Alles Gute braucht Wechselwirkung um gut zu sein, und in der Natur ist das überall zu sehen. Ohne Wechselwirkung mit anderem Guten verschlechtert sich selbst das Beste bald – auf beiden Seiten, denn ohne Wechselwirkung wird rundum weniger vom Guten vorhanden sein. Und so ist die Lösung schlechter Zustände meist nicht die krampfhafte Verbesserung der einen Seite, sondern die Wiederherstellung und Pflege der Wechselwirkung.

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