Ist die Anthroposophie eine Weltanschauungsgemeinschaft? Unabhängig davon wie die Antwort ausfällt – sollte sie eine sein? Oder wäre das gegen das Interesse der Anthroposophie?
Der Begriff ‘Weltanschauung’ muss abgegrenzt werden von Begriffen wie Ideologie, Weltbild und Gesinnung. Die Ideologie hat die Schönheit ihres Begriffes (die ‘Ideenlehre) verloren, so könnte man sie heute eher beschreiben als eines von vielen idealistischen Programmen des Zeitgeistes, ein Verstandesprogramm, dem ein Mensch folgen kann. Das Weltbild ist dagegen eine individualisierte Weltanschauung. Die Gesinnung wiederum ist eine sittliche Grundhaltung des Menschen.
Spiritualismus
Wohin gehört hier die Anthroposophie? Möchte man sie mystifizieren, so müsste man sagen, dass sie nirgendwohin gehört. Jedoch hat die Anthroposophie durchaus einen bestimmten Weg, der sich von anderen unterscheidet. Sie hat erstens den Menschen zum Zentrum ihrer Studien, und sie hat ein bestimmtes Bild vom Menschen, als ein Wesen, das in seinen Anteilen eher geistig als materiell ist. Sie interessiert sich zweitens mehr für das Geistige der äusseren Welt, als für das Materielle derselben. Und zuletzt interessiert sie sich für die Synthese dieser zwei Dinge, den geistigen Menschen, und die geistige äussere Wirklichkeit, nämlich was dieser Mensch in der geistigen, äusseren Wirklichkeit erkennt, und wie sich dies dann als Weisheit zeigt. Eine Synthese ist etwas Neues, das entsteht, wenn zwei unterschiedliche Dinge vermischt werden.
Weil die Anthroposophie das Geistige vorzieht, setzt sie sich in den Spiritualismus. Vielleicht ist sie in diesem Sinne stark von Rudolf Steiner gefärbt, und es mag sein, dass es nicht wirklich die Idee der Anthroposophie ist, sich so zu spezialisieren. Auf der anderen Seite kann man nicht immer nur über den Dingen sein, wenn man etwas bewirken will. Und dem Spiritualismus zugehörig zu sein, tut der Anthroposophie und deren Ideen überhaupt keinen Abbruch.
Spiritualismus als Gegenwartsaufgabe
Nur sollte die Anthroposophie mehr noch als den Spiritualismus die anderen WA im Blick haben, im Versuch, diese durch den Spiritualismus zu bereichern. Der Anthroposophie ginge etwas verloren, wenn sie sich im Verwenden spiritualistischer Methodik allein auf den Spiritualismus beschränken würde, weil der Mensch, der Dreh- und Angelpunkt der Anthroposophie, mehr ist und mehr betrifft, als nur Geistiges. Es ist für die Wirkungen, welche die Anthroposophie in der Welt erfüllt sehen möchte, eine gute Sache, wenn sie eigentlich weniger in der geistigen Welt selber zu wirken versucht, sondern eher die geistige Welt auf alles andere überträgt. Und das ist auch, was die Anthroposophie der Gegenwart macht: da wird wenig wirklich neues Übersinnliches dazu gezogen, sondern mehr in anderen WA gearbeitet, und was sich dort findet, durch bereits bestehende spiritualistische Erkenntnisse oder Ideen bereichert.
Braucht die Anthroposophie ein offenes Bekenntnis zum Spiritualismus, um nicht immer im Verdacht, dem Spiritualismus angehörig zu sein, operieren zu müssen, und offener sprechen zu können? Ein solches Bekenntnis würde unschwer missverstanden. Es würde ein solches Bekenntnis wohl auch für die meisten Anthroposophen schnell einmal fälschlicherweise bedeuten, dass man die Untersuchungen, die Arbeiten, die Studien usw, innerhalb des Spiritualismus ausführen sollte.
Es ist stets eine Überlegung wert, wie die Dinge falsch gedeutet werden können, um Kosten und Nutzen einer Aussage treffend abzuwägen. Ein Bekenntnis zum Spiritualismus hätte wohl weit mehr Risiken, missverstanden zu werden, als dass es etwas nützt, und so sollte es wohl besser nicht gemacht werden. Für uns hier reicht es, zu wissen, dass die Anthroposophie zwar der WA des Spiritualismus zugehört, ohne dass die Anthroposophie sich nur noch im Spiritualismus bewegen darf.
Eine WA wird auf dieser Webseite andernorts definiert als “eine absolute Wahrheit für einen bestimmten Bereich”. In anderen Worten verliert eine WA an Wahrhaftigkeit, je weiter sie sich von ihrem Bereich entfernt. Was geschieht nun mit dem Spiritualismus, wenn man ihn in anderen WA anwendet? Hat man da dann nicht das Problem, dass er fast zur Lüge wird, wenn man einmal auf der anderen Seite, bei der Opposition des Spiritualismus, beim Materialismus, angelangt ist?
Der Spiritualismus hat unter all den WA die Eigenschaft, für alle anderen WA am durchlässigsten zu sein. Der Materialismus hingegen hat die Eigenschaft, dass er unter all den WA am meisten zu Problemen führt, wenn er ausserhalb seines Bereichs wirkt. So ist der Spiritualismus jene WA, deren Bereich sich am ehesten noch auf alle anderen WA ausstreckt. Und für die Anthroposophie gilt wohl, dass sie vor allem dort wirken sollte, ausserhalb des Spiritualismus, aber trotzdem mit dem Spiritualismus.
Bis jertzt geschieht das Wirken der Anthroposophie noch sehr in diesem Sinne: dass der Spiritualismus angewandt, aber wenig weiterentwickelt wird. Manchmal scheint dies zum Verdruss der Anthroposophen zu sein, die mehr wollen, als immer nur Steiner zu zitieren. Mit der Zeit wird sich die Anthroposophie sicherlich unabhängiger von Steiner bewegen können, aber es wird nie wirklich notwendig sein, dass die Anthroposophie den Spiritualismus entwickelt, sie hat ihn nur in der Welt umsetzen. Und da könnten oder können viele Anthroposophen bestimmt sehr viele nützliche Dinge sagen.
Man soll sich nicht vom Begriff ‘Geisteswissenschaft’ einschüchtern lassen, und denken, man bräuchte einen bestimmten Level in Eingeweihtsein, Hellsichtigkeit, oder dergleichen, um den Mund öffnen zu dürfen. Solche Ideen führen zu Elitismus, wenn nicht-Eingeweihte schweigen sollen, und es schadet dem Reichtum an Ideen. Für die meisten Dinge, mit welchen die Anthroposophie arbeitet, ist der gesunde Menschenverstand nützlicher, als z.B. die Behauptungen einer Person, welche sich selbst als eingeweiht bezeichnet. Es gibt eine einfache Art, zu testen, ob ein solcher Mensch etwas von Bedeutung zu sagen hat: man schaue genau auf die Worte, und versuche zu sehen, was denn wirklich gesagt wird: ist da wirklich irgendwas Neues, oder wird einfach Konventionelles genommen, und dann umgestülpt, um laut “das ist alles falsch” sagen zu können? Andere nehmen ein Prinzip mit einer Anzahl Kategorien und addieren dann weitere Kategorien hinzu. Solche sich wichtig machende Menschen sagen oftmals wenig Positivistisches (d.h. etwas, das für, und nicht nur gegen anderes ist). Von den wenigen eigenen Ideen finden sich da zumeist lediglich einzelne Gedankenfetzen, die sie dann aufblähen, und davon behaupten, sie hätten höhere Gültigkeit, Weisheit, oder dergleichen.
Die Weltanschauung Spiritualismus hat die Aufgabe, den Spiritualismus zu entwickeln, das ist nicht die Aufgabe der Anthroposophie. Diese Aufgabe soll der WA aufgeschultert werden, dafür ist sie da. Es kann jedoch gut möglich sein, dass es Menschen gibt, welche sowohl im Spiritualismus wie auch in der Anthroposophie arbeiten, jene, aus der Sicht der Anthroposophie echten Geisteswissenschaftler, welche auch noch mit anthroposophischem Hintergrund forschen, nämlich. Die zwei Dinge, Spiritualismus und Anthroposophie, unterscheiden sich jedoch, und sie sollten nicht als dasselbe gesehen werden. Man kann beide getrennt untersuchen, und doch beiden gleichermassen angehörig sein.
Für den Begriff ‘Weltanschauungsgemeinschaft’ ist das eine gewisse Schwierigkeit, wenn man eine WA nur ausserhalb ihres eigentlichen Platzes anwenden soll. Durch die Eigenheiten des Spiritualismus ist es dennoch möglich, so zu wirken, und nicht unangemessen zu sein. So kann man die Anthroposophie zwar als spiritualistische Weltanschauungsgemeinschaft bezeichnen, jedoch mit einem kleinen ‘Caveat’, dass sie eben nicht im Spiritualismus selber wirken sollte, wie das z.B. anno dazumals in der grossen Zeit der mittelalterlichen Gnostik der Fall war, und die Spiritualisten wirklich den Spiritualismus (und den Pneumatismus) untersuchten. Kann man diese Gedanken vereinigen, hält man die beiden wohl in rechter Weise auseinander.
Zukunftsaufgabe
Das war nun viel Text zum Spiritualismus. Was die Anthroposophie der Gegenwart zu erledigen hat, ist das Eine, etwas anderes sind Zukunftsaufgaben. Und hier wird wohl weit über den Spiritualismus hinausgegangen werden müssen.
Die Anthroposophie hat dann die (zum jeweiligen Zeitgeist dann konträre) Aufgabe, jene Weltanschauungen zu stützen, die unterdrückt werden. Denn die Aufgabe der Anthroposophie ist es nicht, bestimmte Themen in bestimmter Weise zu behandeln, sondern dem eigentlichen Menschen seinem Wesen nach zu dienen. Und hat ein Mensch eine WA im Herzen, die in seiner Umwelt keinen Anhaltspunkt finden kann, so leidet der Mensch, und er findet nie die Worte zu all den Dingen, die sein Herz bewegen. Er bleibt stehen. Und hier wird im Sinne der Liebe zum Menschen etwas geboten werden müssen, das dem Menschen Entwicklung ermöglicht.
Die ferne Zukunftsaufgabe
Das Weltanschauungsprinzip hat grob vier Kategorien. Die unterste sind die dutzend Weltanschauungen, die oberste ist der Anthropomorphismus. Sind die dutzend Weltanschauungen in dieser oder jener Weise manchmal ein steinerner (..) Weg, der ausgeformte Anthropomorphismus (es gibt auch einen sehr einfachen) ist dagegen eine vertikale, glatte Felswand. Und dort hinauf gehört meiner Meinung nach die Anthroposophie einer fernen Zukunft. Über die sieben Visibilitätsstufen und die drei Seelentöne drüber, hinauf zum ausgestalteten Anthropomorphismus.